„Tut mir leid, Herr Pfarrer ...“ Sie hob, auch wie beim vorigen Mal, die Schultern, wobei sich ihre fast bedeutungslosen Schulterstücke wölbten. „Ihr Antrag wurde ablehnend entschieden. Da kann ich nichts machen.“
„Aber wieso?“, fragte ich und konnte nicht glauben, was ich hörte. „Ich muss zu meiner kranken Mutter. Es liegt schließlich ein ärztliches Attest vor. Sie hat Krebs ...“
Die Frau, offensichtlich bemüht, meinen „Fall“ so schnell wie möglich abzuschließen, unterbrach mich. „Attest ... Was glauben Sie, wie oft ein solches Attest auf meinem Schreibtisch landet? Heute noch sind die Leute todkrank und bedürfen dringend Hilfe und Pflege und kurze Zeit später wollen die Todkranken dann selbst hier zu Besuch einreisen .... Haben wir alles schon gehabt. Nee, Herr Pfarrer, das ist für uns kein glaubwürdiger Grund.“
„Was muss denn noch geschehen, damit Sie mich reisen lassen? Benötigen Sie erst den amtlichen Totenschein? Damit ich zum Begräbnis meiner Mutter fahren kann?“
„Das wünsche ich nicht für Sie, glauben Sie mir. Aber die Leute sind trickreich.“
„Sehe ich so aus? Glauben Sie etwa, ich ...“ Ich deutete auf meine Kleidung.
„... würde mich eines solchen Tricks, wie Sie es nennen, bedienen? Denken Sie vielleicht, ich würde nicht zurückkommen. Denken Sie das?“
„Wer weiß ... Wenn Sie wenigstens verheiratet wären ... Aber in solchen Fällen wie Ihrem hat man wahrscheinlich Bedenken.“
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Hatte ich es mit völlig ungebildeten Leuten zu tun, die nicht Bescheid wussten? Oder war ihnen einfach jede Begründung recht, gleich wie klug oder dumm sie ausfiel?
Die Frau blickte ungeduldig zur Uhr und ließ mich erkennen, dass sie unser Gespräch für beendet hielt.
„Verheiratet ...“, sagte ich empört und achtete auf die Hand der Polizistin, die bereits in Lauerstellung lag, um den bewussten Knopf zu drücken. „Ich bin katholischer Pfarrer und lebe im Zölibat, das bedeutet Ehelosigkeit, das sollten Sie wissen. Das ist aber etwas anderes, als wenn jemand nur zufällig nicht verheiratet ist.“ Ich stützte mich auf die Absperrung und beugte meinen Kopf hinüber. „Glauben Sie etwa, ich würde dort bleiben und hier meine Gemeinde im Stich lassen? Glauben Sie das wirklich?“
Die Uniformierte sah mich verunsichert an. Zum ersten Mal glaubte ich eine Regung bei ihr wahrzunehmen.
„Was ich glaube, ist nicht entscheidend. Ich habe Ihnen nur mitzuteilen ...“
“Und daran lässt sich absolut nichts ändern? Ich meine, wenn Sie mit Ihren Vorgesetzten sprechen würden ...“
„Dazu habe ich keine Befugnis, Herr Pfarrer. Die endet nämlich dort, wo Sie jetzt stehen.“ Wieder ihr Blick zur Uhr. „Und nun muss ich Sie dringend bitten ...“
„Lebt Ihre Mutter noch?“
Erstaunt blickte sich mich an und nickte.
„Können Sie sich vorstellen, dass unsere Rollen vertauscht wären? Dass ich mich dort auf Ihrem Platz befände und Sie hier an meiner Stelle stehen würden? Dass Ihre Mutter schwer erkrankt ist und Sie ...“
„Kann ich nicht, Herr Pfarrer. Denn meine Mutter ist wohlauf und lebt außerdem in unserer Stadt ... Gott sei Dank!“
„Da haben Sie recht! Dafür können Sie IHM wirklich danken ...“ Ich nahm meine Tasche, wandte mich brüsk um und verließ grußlos den Raum. Im gleichen Augenblick ertönte der tiefe Summton, und ich sah, dass sich draußen ein älterer Mann erhob, sodass ich die Tür für ihn geöffnet ließ.