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Der Friede im Osten. Erstes Buch. Am Fluss von Erik Neutsch
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
18.04.2013
ISBN:
978-3-86394-397-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 594 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane, Familienleben, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
Hitlerjugend, 2. Weltkrieg, Sowjetische Besatzungszone, NKWD, Abtreibung, FDJ, Werwolf
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Das Haus, mit Fichten und Kiefern im Hintergrund, lag am Hange der Wachwitzer Höhen. Er sah eine Frau im Garten, mittleren Alters, hoch in einem Baum, auf einer Leiter. Sie pflückte Äpfel, ihr Kopftuch leuchtete, und so er sich recht erinnerte, war sie Elisas Mutter. Freude überkam ihn. Also hatte der Krieg sie verschont, waren die Bombennächte an ihnen vorübergegangen. Doch er rührte sich nicht, stand am Zaun, scheute das erste Wort. Er verfolgte ihre Bewegungen, sah, wie sie die Äpfel behutsam von den Zweigen brach und in einen Korb legte, und er hoffte auf irgendein Zeichen, das ihm Auskunft geben würde, wie sie, die Eltern und ihre Tochter, während der letzten zwölf Jahre gelebt hatten. Von Elisas Vater, einem Gelehrten der Ingenieurwissenschaften, wußte er, daß er sich einst, zum Verdruß seiner Fachkollegen, der Sozialdemokratie angeschlossen und sofort nach Hitlers Machtantritt Berufsverbot erhalten hatte.

Plötzlich wandte die Mutter ihm ihr Gesicht zu. Es war, als habe sie seine Blicke gespürt. Ihre Augen waren so groß und so klar wie die Elisas, klarer, empfand er, was aber wohl daran lag, daß sie sich hell von dunkler Sonnenbräune abhoben. Doch sie begriffen nichts. Sie sahen nur, daß da ein Mann stand und wortlos wartete.

»Ich bin ...«, begann er, beinahe flüsternd. »Ich bin ...« Er wollte seinen Namen nennen. Aber seine Zunge war wie wund.

Elisas Mutter stieg von der Leiter. Er bemerkte, daß sie beunruhigt und erstaunt zugleich sein Gesicht absuchte. Sie ahnt etwas, dachte er, doch sie erkennt mich nicht. Die Brille, das schüttere Haar, Spuren der Qual im Stollen, der Auspeitschungen und der Dunkelzellen, alt mußt du geworden sein, Matti. Er riß die Brille von seinen Augen, schloß die Lider.

Da stieß sie einen kleinen Schrei aus. »Matthias, Matthias, du bist es? Du lebst?«

»Ja«, sagte er und versuchte ein Lächeln. »Wie Sie sehen ... Und ich suche Lies.«

Nachdem er seine Brille wieder aufgesetzt hatte, entdeckte er in ihren Augen den Schimmer nur schwer unterdrückter Tränen. Sie klinkte die Gartentür auf, nahm seine Hand und lud ihn ein, über Nacht zu bleiben. Ihr Mann und auch Lies würden bald kommen. Er unterrichtete Lehreranwärter, und sie teilte in irgendeiner Küche Mahlzeiten an Obdachlose aus.

Auf der Veranda stand ein Kinderwagen. Ein Säugling lag darin, dem sie aus einer Flasche zu trinken gab. Gierig saugten die Lippen.

»Ich kümmere mich um das Kleine«, sagte sie. »Diesmal ist es ein Junge.«

»Ist sie ... Sie ist ...«, stammelte er.

»Ja.« Sie beugte sich über den Wagen und sah nicht, wie sein Gesicht versteinerte. »Sie hat lange auf deine Rückkehr gewartet. Aber dann ... Dann gab sie die Hoffnung auf.«

Ein zweites Mal schloß er die Augen. Er hörte das Schnaufen und Schmatzen des Kindes. Ihres Kindes. Von einem anderen, einem, der nicht wie er verfolgt worden war. Der nicht gegen Hitler ... Den die Gestapo nicht ... Aber stimmte es denn? Warum ein solcher Verdacht? Und seit wann haßte er wieder die Siechen und nicht die Seuche? Doch so sehr er sich auch zu wehren versuchte, er kam dagegen nicht an. Die Enttäuschung, der Haß. So große Qual, dachte er, habe ich nicht einmal im Stollen gelitten. Heraus, heraus, befrei dich von diesen Trümmern. Die Brust tat ihm weh. Und er stand auf und ging, sah in das erschrockene Gesicht von Elisas Mutter und fand nicht einmal ein Wort des Abschieds.

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