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Spur der Steine. Roman von Erik Neutsch
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Preis E-Book:
10.99 €
Preis:
10.87 € (Film)
Veröffentl.:
20.07.2012
ISBN:
978-3-86394-392-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 1165 Seiten, Film: 129 Min., 1 DVD
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Fantasy, Belletristik/Liebesroman/Spannung, Belletristik/Politik, Belletristik/Familienleben
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Fantasy (Romance, Dark Romance), Familienleben, Belletristik: romantische Spannung
DDR, Bauarbeiter, Ehebruch, Parteisekretär, Sozialismus, Baustelle, Parteidisziplin, .Moral
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Endlich blickte er auf, wiegte bedächtig den Kopf hin und her und sprach: "Seit Wochen verlangt man von mir nun schon eine Erklärung, lieber Kollege. Anfangs glaubte ich noch, die Angelegenheit einfach unterdrücken zu können, ich maß ihr keine Bedeutung bei. Sie entsinnen sich, wie damals, als Sie nackend auf dem Marktplatz badeten. Wieviel Überredungskünste kostete es, die Polizei zu beschwichtigen! Doch diesmal wurde die Beschwerde hartnäckig wiederholt, und ich muß nun leider einsehen, daß es ein sehr schlechtes Licht auf die Baustelle würfe, wenn ich Sie weiterhin schützte. Ich muß schon sagen, lieber Freund, Sie haben uns da in eine miserable Lage gebracht, wahrhaftig..."

Balla begehrte auf. "Was soll das eigentlich heißen? Ich kapiere kein Wort..."

Trutmann war ehrlich erstaunt. "Ach... Sie können es sich wirklich nicht denken?"

"Nein."

"Sie Unschuldsengel..." Trutmann spöttelte und zirpte vergnügt mit der Zunge. "Natürlich betrifft es die Bakelitplatten, die Sie mit einem Komplicen aus der Presserei gestohlen haben."

Überrascht und wütend sprang Balla auf. "Was soll ich? Das soll natürlich sein? Ich soll geklaut haben?"

"Ja."

"Nein."

"Bestreiten Sie es etwa?"

Balla begriff die volle Tragweite dessen, was ihm vorgeworfen wurde. "Diebstahl...", stammelte er. "Ich und ein Dieb... Hören Sie!" Er erzählte, was geschehen war, hastig und verworren. Nur den Technischen Direktor des Chemiewerkes erwähnte er nicht.

Trutmann blieb ungerührt. Er durfte sich nicht beirren lassen. Immerhin war er auch für die Erziehung verantwortlich. "Nun ja", sagte er. "Ihre Motive in Ehren. Es mildert die Umstände, daß Sie nicht aus Eigennutz gehandelt haben, sondern das Bakelit für die Schalttafeln verwenden wollten. Aber, aber... Vergehen am Volkseigentum bleibt Vergehen am Volkseigentum. Oder haben Sie etwa eine Genehmigung gehabt?"

"Ja."

"Wie... Von wem?" Trutmann kramte ein Schriftstück hervor und las nach. "Von diesem Pätzoldt wohl, oder?"

Es klang verächtlich, und Balla antwortete schroff: "Ich sag es nicht. Ihnen jedenfalls nicht. Ich reiß keinen rein. Vielleicht sag ich es Horrath. Der ist nicht von Anfang an überzeugt, daß ich geklaut hab..."

Balla konnte nicht ahnen, daß er mit dieser Auskunft den Oberbauleiter tief in seiner Eitelkeit verletzte. Es wirkte, als hätte er nun doch mit der Faust auf den Tisch geschlagen, Trutmann spürte die Mißachtung seiner Person, seiner großzügigen Güte. Mit aller Deutlichkeit mußte er dem Brigadier zeigen, daß nur er über ihn zu befinden hatte, niemand anders. An seine Rivalität mit Horrath erinnert, geriet er in Zorn und drohte: "Für Disziplin und Moral auf der Baustelle zu sorgen, obliegt allein der Oberbauleitung. Das sollten Sie wissen. Und da es mit beidem ohnehin nicht am Wasserwerk zum besten bestellt zu sein scheint, muß ich mir wirklich überlegen, ob auch Sie noch für ein derartiges Objekt taugen."

Balla ging bis dicht an den Schreibtisch heran. Drohungen schüchterten ihn nicht ein. Im Gegenteil, sie reizten ihn am meisten. "Heraus mit der Sprache! Los!" sagte er, völlig respektlos. "Was das heißt, will ich wissen... Jetzt, da wir bald über den Berg sind..." Nach all den Erlebnissen war ihm die Chemikalienstation, ohne daß er sich dessen bewußt geworden war, ans Herz gewachsen. Er hätte es jetzt merken müssen, wenn ihn seine Wut nicht erneut daran gehindert hätte.

Trutmann ertrug nicht, daß Balla vor ihm stand. Er erhob sich ebenfalls. "Ich verbitte mir Ihren Ton..."

Erbost gab Balla zurück: "Und ich verbitte mir, daß Sie mich einen Dieb nennen."

Trutmann schrie: "Ich lasse Sie von der Baustelle entfernen!"

"Abservieren, was? Strafversetzen wie die Ingenieurin, wie?" Balla verteidigte sein Recht. Er tat es, wie er es gewohnt war. Er tastete nach dem Hammer im Gurt. "Aber mit uns springen Sie nicht so um. Die Chemikalienstation ziehen wir hoch. Ich bleibe... Und die Ingenieurin bleibt auch... Ende."

Was selten geschah, Richard Trutmann verlor jede Beherrschung. In seiner Not suchte er nach einem Halt. Er stemmte sich zu voller Größe auf und umklammerte die Kante des Schreibtischs. Er schnappte nach Luft und ließ sich hinreißen. "Halten Sie den Mund!" brüllte er. "Sie... Sie Lümmel!" Dabei hob er mit beiden Händen den Schreibtisch an, als wollte er ihn umstürzen.

Streit mit den Fäusten war Ballas Stärke. Er hob den Tisch von der anderen Seite an. Das schwere Möbel schwankte unter ihren Händen hin und her. Balla dachte: Dir geb ich's, wie ich's noch keinem gegeben hab. Und wenn du der Minister wärst, beleidigen laß ich mich nicht... Die Fältchen um Augen und Mund spreizten sich vor Angriffslust. "Von Ihnen laß ich mir gar nichts verbieten."

Der Tisch entglitt Trutmanns Händen. Krachend schlug das Holz auf die Dielen. Der Oberbauleiter hatte mit einem solchen Widerstand nicht gerechnet. Ernüchtert zweifelte er, ob er der Mahnung Horraths gefolgt war: Mach deine Sache gut... Erschöpft sank er in seinen Sessel, stöhnte und fuhr sich mit der Hand zur Brust. Die Zornröte seines Gesichts war einer plötzlichen Blässe gewichen. Schweißperlen traten aus den Poren der schlaffen Haut.

 

Spur der Steine. Roman von Erik Neutsch: TextAuszug