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Zwei leere Stühle. Novelle von Erik Neutsch
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
09.04.2013
ISBN:
978-3-86394-405-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 143 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Politik, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane, Familienleben, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
Pädagogik, Erziehung, Zensurenhascherei, Ehrlichkeit, Heuchelei, Freundschaft, Verrat
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»Energie sparen, Bruderherz. Ist doch völlig unökonomisch, dieser Unsinn. Nach uns kommt keiner mehr hier herauf. Doch schau dir das an: Hunderte Kubikmeter wertvolles Gas verbrennen, verpuffen für niemanden und nichts und gehen der Volkswirtschaft verloren. Erinnere dich mal an den Vortrag im Bergbaumuseum, wie schwer es die Kumpel haben, die Kohle zu fördern. Sie schuften und rackern sich ab. Was aber macht denn der Lampenputzer von Burgstädt? Er schläft, schläft, schläft... «

Natürlich war es eine Schnapsidee, und wir konnten sie keineswegs billigen. Uwe Tolls jedoch muß sie in diesem Moment so hell eingeleuchtet haben, wie er sofort sich bemühte, die Laternen dunkel zu schalten. Dazu stieg er von einer zur anderen.

Womit aber beide selbst bei aller Nüchternheit nicht gerechnet hätten, war, daß sie von Anfang an von zwei Volkspolizisten beobachtet wurden. Die waren soeben auf ihrem Streifengang am oberen Ende der Straße angelangt und entdeckten nun, wie die Lampen in regelmäßigen Abständen von einer Minute erloschen. Da sich die seltsame Erscheinung jedoch auf sie zubewegte, fanden sie keinen triftigen Grund, ihr entgegenzugehen. Sie brauchten sich nur ein Versteck zu suchen und dort zu warten, bis sich das Rätsel von selber löste. So taten sie es, und vielleicht war das ihr Fehler. Denn aus dem Spaß (und nennen wir es ruhig wie damals: groben Unfug) wurde im Handumdrehen fast blutiger Ernst.

Tolls wollte seine Energiesparaktion gerade beenden, rutschte vom vorletzten Pfahl herunter und wurde von Lichtenfeld in die Arme genommen und mit Beifall bedacht, als sie sich plötzlich im Lichtkreis der letzten Laterne von den Volkspolizisten und einem knurrenden Schäferhund gestellt sahen.

»So, meine Herren. Nun wollen wir euch mal die Quittung präsentieren. Und glaubt nicht, wir sind von der Gasanstalt. Die Personalausweise, bitte.«

Wolfgang begannen die Knie zu zittern. So wird es gewesen sein. Uwe aber, noch in dem naiven Bewußtsein, etwas Nützliches geleistet zu haben, gebrauchte alle Argumente, die er noch kurz zuvor von seinem Freund und Anstifter gehört hatte.

»Halten Sie gefälligst den Mund.«

Der Ton wurde schärfer. Auch der Hund knurrte lauter. Er zerrte schon ungeduldig am Lederzeug und bellte.

Ein Wort muß das andere ergeben haben. Und während Lichtenfeld bereitwillig kuschte, wohl auch angab, er habe seinen Begleiter vor jeder Laterne zu warnen versucht, setzte der sich zur Wehr und verschlimmerte somit nur seine Lage.

»Erst nehmen Sie mal das Vieh weg«, schrie er. »Oder ich bringe es um.«

Doch er bewirkte das Gegenteil. Der Hundeführer lockerte die Leine. Das kräftige und für Verfolgungen abgerichtete Tier gebärdete sich wie wild. Es duckte sich, stemmte seine Vorderpfoten in den weichen Boden am Wegrand, wühlte ihn auf, sprang, nur eine Armlänge entfernt, vor Uwe auf und ab.

Er zog aus der Hosentasche ein Waidmesser und ließ die Klinge aufschnappen.

Einer der beiden Männer griff nach dem Gummiknüppel, doch der andere sprach beschwichtigend auf ihn ein. Sie verständigten sich beide und gingen schließlich, nur dem Hund noch Befehle erteilend, davon.

Wenig später jedoch, kaum daß sich Lichtenfeld und Tolls in der Herberge bei Mathematik-Müller zurückgemeldet hatten, traf ein Streifenwagen mit rotierendem Blaulicht ein. Lehrer und Klasse gerieten in hellste Erregung. Was aber hätte denn ich in dieser fatalen Situation an Müllers Stelle getan?

Widerstand gegen die Staatsgewalt, und man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, sie blieb es.

Die Genossen nahmen ein Protokoll auf und baten auch den Lehrer um eine Einschätzung seiner beiden Schüler. Er stellte sich demonstrativ hinter Lichtenfeld, lobte ihn wegen seiner sonstigen Besonnenheit und fügte hinzu, er könne sich den bedauerlichen Vorfall nur so erklären, daß Wolfgang von Uwe verführt worden sei. Auf Tolls warf er dann alle Schuld, zumal der, aus falsch verstandener Kameradschaft gewiß, bereit war, die volle Verantwortung zu tragen. Müller tat sogar noch mehr, viel mehr, und als ich ihn danach fragte, nach seinen Gründen, antwortete er mit aller Überzeugung, deren er fähig war: »Na, hören Sie, Chef. Ein Delinquent in der Klasse hat mir gereicht. Indem ich Lichtenfeld schonte, habe ich nur den Ruf - bitte, notieren Sie das - unserer Schule retten wollen. Und außerdem: Um Tolls war es ja wohl nicht schade. Es ist doch wirklich ein himmelweiter Unterschied zwischen den beiden.« Ich widersprach ihm natürlich. Doch er berief sich auf seine pädagogischen Pflichten und wiederholte, worüber er, soweit es Uwe anging, auch schon der Burgstädter Volkspolizei, wie er sich ausdrückte, reinen Wein eingeschenkt habe.

Alle Kleinkariertheit der deutschen Schulmeister kam da zum Vorschein, und mit Pädagogik hatte es so wenig gemeinsam wie ein Dreschflegel mit der Erziehung der Hirse: Haartracht wie die Beatles, Vorliebe für schräge Musik und - wie man soeben in flagranti habe studieren können - für Alkohol, hemmungsloser Oppositionsgeist, Jeans zum Blauhemd!

Er hatte ein Bild von ihm entworfen, das dem eines Wegelagerers, eines Asozialen glich und das ihm Uwe seither wohl niemals verzieh.

Inzwischen völlig ernüchtert, zeigte er sich zwar einsichtig und bereute seine Tat, aber es half zunächst nichts; die Genossen nahmen ihn mit auf die Wache und behielten ihn noch zwei Tage bei sich. Von ihnen erfuhren wir dann übrigens aus einem Begleitschreiben, warum sie ihm mildernde Umstände zuerkannt hätten: Er war bereits einmal als Kind von einem Hund angefallen und verletzt worden.

 

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