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Schäfers Stunde. Erzählungen von Joachim Nowotny
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
24.06.2013
ISBN:
978-3-86394-183-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 243 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Politik
Abenteuerromane, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories, Kriegsromane, Familienleben
2. Weltkrieg, Nachkriegszeit, Geisterbeschwörung, Zimmermann, Schlesien, Gefallene, Flugzeugabsturz
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Ich und pokern, empörte sie sich. Was glauben Sie von mir. Meine Zahlen bedeuten etwas. Ich weiß es noch wie heute. Die Wally, was die Verkäuferin in unserem Dorfkonsum war, kam gerannt und rief: Komm schnell, Telefon, dein Manfred ist am anderen Ende. Was ist bloß passiert, denke ich, und renn’, so wie ich bin, ohne Kopftuch und in Schürze ’rüber. Nicht so schlimm, sagt mein Junge, beruhige dich, ich hör’ ja per Draht, wie du pustest. Bloß, Andrea ist ein bisschen krank. Angina oder so. Sie hat Fieber. Nicht hoch. Neununddreißig. Wir haben gedacht, es geht ’runter, weil wir doch ans Schwarze Meer wolln. Der Arzt sagt, wir können das Kind nicht mitnehmen. Soll die Reise nun verfallen? Oder könntest du ...? Natürlich kann ich, sag’ ich, fahrt ihr mal. Es ist zwar schade, dass Andrea nicht mitkann, aber ich freu mich auf sie. Hab’ doch niemanden mehr, den ich betun kann, seit Albert ... dein Vater unter der Erde ist. Du müsstest zu uns kommen, Mama, sagt Manfred, für Andrea wäre es zu anstrengend. Sie hat neununddreißig Fieber, weißt du. Na sicher, sag’ ich. Und er: Aber dann müsstest du gleich losfahren, unser Flugzeug geht morgen früh. Wir haben bis zuletzt gewartet, weißt du. Aber mit neununddreißig ... Junge, sag’ ich, mach dir doch keine Sorgen. Ich komme, sobald ein Zug fährt ... Und als ich merke, dass er sich beruhigt, als er mir die Abfahrtszeiten durchgibt, da hab’ ich Schaf doch tatsächlich keinen anderen Gedanken im Kopf als das Geld. Kriegst du denn was zurück, wenn Andrea nicht mitfliegt? Mal sehen, sagt Manfred, wir haben uns vom Arzt ein Attest geben lassen. Bis bald.

Ich hänge auf und denke: Dann ist ja alles in Ordnung. Also fahr’ ich hin, mein Sohn und meine Schwiegertochter machen sich auf die Reise, und Andrea sitzt schon am selben Mittag im Bett und verlangt Eierkuchen, meine Spezialität. Abends messe ich Fieber. Siebenunddreißig sechs. Ich streichle das Mädchen und sag’: Da werden wir uns ein paar schöne Tage machen. Ha!

Hanna zog die Tasche mit einem Ruck vor die Brust. Sie schwieg, starrte an Rudi vorbei in die Dämmerung, wo sie die Konturen auflöste, und sprach schließlich mit der Stimme einer Fremden weiter.

Das Geld ist dann auch gekommen, sagte sie. Das Geld ... Was sonst kam ... die Särge, die waren nicht zu öffnen. Sie werden vielleicht davon gelesen haben. Es war wohl das erste Flugzeugunglück überhaupt bei uns. Und gleich alle tot. Die Urlauber und die Besatzung ...

Herr Seifert, voreilig zufrieden, hatte sich schon vor diesen Sätzen auf den Weg hinter die Ladentafel gemacht. Nun blieb er stehen. Stand auf eine Art, die erkennen ließ, dass es ihm schwerfallen würde, den nächsten Schritt zu tun. Doch die Tür schepperte, ein Kunde kam. Da musste er schon. Aber etwas von Herrn Seifert blieb am runden Tisch; er vereinigte sich erst wieder zu dem ganzen Mann, nachdem der Kunde bedient und gegangen war.

Furchtbar, sagte Herr Seifert. Dann schwieg auch er. Sah hinüber zu Rudi. Der fuchtelte nicht, hatte auch dem Tischbein keine Botschaft mitzuteilen. Die Rettung musste aus Herrn Seifert selber kommen. Er besann sich auf heilende Wirkung der Zeit. Warten Sie mal, grübelte er, das ist doch auch schon seine fünfzehn Jahre her. Oder sechzehn?

Er forschte in Hannas Gesicht nach einer Antwort.

Die saß immer noch aufrecht, die Tasche zwischen den knochig gespannten Fingern, die Augen auf die Wand gerichtet, alle Falten vom Schatten ausgefüllt und die Lippen im Mund verborgen.

 

Schäfers Stunde. Erzählungen von Joachim Nowotny: TextAuszug