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Die Lüge von Herbert Otto
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
08.03.2015
ISBN:
978-3-95655-315-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 478 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Politik, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Verbrechen, Belletristik/Thriller/Politik, Belletristik/Liebesroman/Militär
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane, Kriminalromane und Mystery, Politthriller/Justizthriller, Liebesromane
2. Weltkrieg, Kriegsverbrechen, Kriegsgefangenschaft, Sowjetunion, Mord, Folter, Partisanen
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Ein Offizier stand breitbeinig auf der Schwelle, ein Major. Alfred erhob sich schnell und machte Meldung. Er starrte dieses Gesicht an. Er erkannte das Gesicht! Er hatte es neben der Bank gesehen, neben dem Mädchen, das nackt auf die Bank geschnallt war ... auf dem Flugblatt war es abgebildet, dasselbe Gesicht ... Es sah aus, als habe der Mann keinen Mund, nur eine Narbe statt dessen.

„Wo ist dieser Weiß?“, fragte der Major.

„Der Schütze Weiß?“, fragte Haferkorn verblüfft. Das Ganze war peinlich unerwartet gekommen, zumal für eine Ausrede.

„Antwort!“

Es erleichterte Alfred, dass er innerlich etwas gegen den Mann aufzubieten hatte.

„Ich weiß nicht, Herr Major!“, sagte er überraschend laut.

Der Major blickte angewidert an ihm vorbei, über die Strohsäcke am Boden und an den Wänden hin zur Decke hinauf. „Wo schläft dieser Weiß?“

„Hier, Herr Major!“

Auf dem Strohsack lagen Gepäckstücke verstreut, der geöffnete Wäschebeutel, ein Schreibblock.

„Wann haben Sie den Mann zuletzt gesehen?“

„Gestern Abend, Herr Major!“

„Sie! Grüner!“, schrie der Major in den Gang.

Ein Feldwebel stand stramm. Sein rosiges Gesicht erinnerte an einen Himbeerpudding. „Den Fähnrich ins Auto schaffen!“, befahl der Major im Tonfall eines Menschen, der endlich einer Sache überdrüssig ist. „Und Sie kommen mit!“, sagte er zu Haferkorn. „Gewehr und Stahlhelm! Aber bisschen flott!“

Er zupfte seine Handschuhe zurecht und ging.

Alfred war entschlossen, alles abzuleugnen. Wer wollte ihm etwas nachweisen und was? Das Flugblatt samt den Briefen, zwischen denen es steckte, schob er hastig unter seinen Strohsack.

Draußen am Auto war man damit beschäftigt, einen Mann, der offenbar verunglückt und ohne Bewusstsein war, in das Wageninnere zu befördern. Der Major stieg ein und knallte die Wagentür zu.

Alfred musste auf das Trittbrett steigen, ebenso wie der Feldwebel an der anderen Seite, und es ging in rasender Fahrt die Dorfstraße hinunter. Die Sonne, knapp über dem Horizont, bot ein sinnverwirrendes Schauspiel: sie schien hinter Bäumen und Gehöften hinzurollen, im Wettlauf mit dem Fahrzeug, schien zu hüpfen und Freudensprünge aufzuführen ...

An der ehemaligen Polizeistation hielt der Wagen. Eine Gruppe Soldaten stand ungeordnet im Garten vor dem Haus, alle mit Gewehr und Stahlhelm, alle in der gleichen erwartungslosen Neugier dem Auto zugekehrt.

Jemand hatte sie dort aufgestellt. Mit menschlichen Wesen schienen sie nichts gemein zu haben. Sie erweckten in Haferkorn den Eindruck fabrikmäßig hergestellter Gegenstände, die sich voneinander nicht unterscheiden durften, es sei denn durch abweichendes Körpermaß. Dieser Eindruck wurde noch vertieft, als das „Achtung!“ des Feldwebels sie in äußerste Erstarrung versetzt hatte.

Der Feldwebel ließ antreten, und wenn Alfred es auch nicht wahrhaben wollte, dass er dazugehörte, stand er doch in einer Reihe mit ihnen, und wenn er sich innerlich dagegen wehrte, seinen Willen aufzugeben, den der Mann vor der Front ihm gleichsam abverlangte, sichtbar wurde davon nichts.

„Die Augen - links!“

Dort wippte der Major auf den Zehenspitzen. Er nahm die Meldung hin, stand wieder spreizbeinig, die Hände hinter dem Rücken, und ließ auf sich warten.

Alfred hörte das Auto vor dem Hause abfahren. Wenn er links am Kopf des Majors vorbeiblickte, sah er das vergitterte Fensterviereck am Seitenflügel und einen Posten vor der Tür, der auf etwas zu warten schien.

„Sie haben sich bereit erklärt, eine vaterländische Pflicht besonderer Art zu erfüllen!“, begann mit feierlich gehobener Stimme der Major, den Blick über die Stahlhelme der Soldaten hinweg ins Leere gerichtet. „Sie können stolz darauf sein! Das Vaterland braucht uns heute mehr denn je!“ Der Major wurde nach jedem Satz grimmiger. „Unsere Feinde bedrängen uns von allen Seiten! Sie haben sogar versucht“ - sein lippenloser Mund verengte sich jetzt zu einer winzig krausen Öffnung -, „... das Leben des Führers anzutasten!“ Er sprach von Lebensrechten, die man streitig zu machen versuche, vom Osten wie vom Westen her. Da ihm noch treffendere Worte nicht einfallen wollten, ließ er eine Pause einfließen und schloss dann: „Wir sind unerbittlich gegen den Feind! - Grüner! Übernehmen Sie das Kommando!“

Die Gewehre wurden geladen und gesichert. Major Krebs ging gemessenen Schrittes, nachdenklich vor sich hin sehend, auf und ab. Da fiel Alfreds Blick auf die drei Gefangenen, die aus dem niedrigen Bau heraustraten. Er erschrak und begriff zugleich. Alles, was vorgegangen war, erhielt plötzlich auf abscheulich eindeutige Weise seinen Sinn. Er versuchte herauszubekommen, was ihn gewaltsam in der Reihe festhalte, weshalb er sich eigentlich hindern lasse, einfach wegzutreten. Man fesselte die Gefangenen. Hinter ihnen, dicht über dem Horizont, stand die Sonne und heftete feine Silberstreifen um die Konturen ihrer Körper. Der Kopf des Mädchens, ihr Haar, schien aufgeflammt, wie in der Nacht, im Lichtkreis der Taschenlampe. Der Posten schnürte ihr die Hände auf dem Rücken aneinander, stemmte mit einem Knie und zerrte an dem Strick, sodass ihr Körper sich, verhalten und widerwillig zwar, doch sichtbar aufbäumte und ihren Schmerz für Augenblicke zu erkennen gab.

Die Lüge von Herbert Otto: TextAuszug