und züchtiget sie
Diesen Vorgang haben wir in den Dörfern ungezählte Male beobachtet: Eine Horde Jungen tummelt sich beim Spiel, lustig und laut. Kleine Mädchen schauen aus respektvoller Entfernung dem Treiben zu. Sie wissen bereits, dass sie nicht mitspielen dürfen, und hier zu stehen, ist schon Ungehorsam. Die Jüngsten aber, die das mit ihrer kleinen Erfahrung noch nicht glauben können, wagen sich doch an die Jungen heran, zögernd, wieder ein Schrittchen. Das geht eine Zeitlang gut. Dann werden sie plötzlich davongejagt, laut und grimmig, wie man Hühner aus dem Erdbeergarten verjagt.
Das ist der Anfang.
In der Schule falls sie den Unterricht überhaupt besuchen sitzen die Mädchen streng von den Jungen getrennt. Schon bald müssen sie auf dem Felde mitarbeiten oder Pflichten im Haus übernehmen: bei der Pflege der kleineren Geschwister, beim Brotbacken. Sie tragen auf ihren Köpfen Wasser heran, decken den Tisch für die Männer und essen danach in der Küche, was übrig geblieben ist.
Niemals haben wir ein verliebtes Pärchen gesehen, in der Abenddämmerung etwa und am Rande des Dorfes, Arm in Arm. Es gälte als böse Provokation. Es ist völlig undenkbar. Die Liebe, wo sie sich einstellt, gehört ins Haus. Dann und wann darf der Bräutigam die Angebetete besuchen, unter Kontrolle der Familie natürlich. Auch nicht minutenlang ließe man die beiden allein.
Meist aber gedeiht die Liebe auf dem tauben Boden der ökonomischen Berechnung. Schließlich wird das Mädchen verkauft, und die Eltern haben stets eine klare Vorstellung davon, wie viel dieses Geschäft einbringen muss. Der Vater des Bräutigams hat den Kaufpreis für die Braut zu entrichten, je nach Vermögen und nach Güte des Gegenstands: zwei Schafe oder fünf oder auch drei Kilo Gold. Manchmal noch mehr.
Nun wird die Frau dem Manne untertan. Geselligkeit ist ihr nur selten gestattet und auch nur unter ihresgleichen. Sie darf nicht ins Café und nicht mit den Gästen des Hausherrn sitzen und plaudern. Sie muss eine zweite Frau neben sich im Hause dulden oder eine dritte und vierte, wenn dem Manne das gefällt und seine Mittel dafür ausreichen. In der Moschee des Dorfes zu beten ist ihr verboten. Das muss sie in der Küche tun oder in einem anderen Winkel des Hauses. Ihre Rechte sind bescheiden. Wenn der Mann sie verstößt, darf sie mitnehmen, was sie auf dem Körper trägt: ihre Kleider, ihren Schmuck. In der vierten Sure des Korans steht:
Männer sollen vor Frauen bevorzugt werden, weil auch Gott die einen vor den anderen mit Vorzügen begabt und auch weil jene diese unterhalten. Rechtschaffene Frauen sollen daher gehorsam und verschwiegen sein, auf dass auch Gott sie beschütze. Denjenigen Frauen aber, von denen ihr fürchtet, dass sie durch ihr Betragen euch erzürnen, gebet Verweise, enthaltet euch ihrer, sperret sie in ihre Gemächer und züchtiget sie. Gehorchen sie euch aber, dann suchet keine Gelegenheit, gegen sie zu zürnen; denn Gott ist hoch und erhaben. Diese Weisungen gelten noch. Sie scheinen unsichtbar in die Gemäuer zahlloser Hütten gemeißelt, Gesetz für die Männer, unanfechtbarer Urteilsspruch für die Frauen.
Zur gleichen Zeit aber praktizieren im Lande schon Hunderte von Ärztinnen. Tausende von Schwestern sind tätig und Lehrerinnen, gebildet, selbstbewusst. Sogar in der Armee leisten Frauen als Offiziere Dienst für ihr Land. Das Ringen um die Befreiung der Frau ist im Gange, erbittert und langwierig.
Dabei geschieht es zuweilen, dass die alte Lebensart sich drohend aufbäumt und noch einmal, in der Sterbestunde, ihre fühllose Macht zur Schau stellt. Es ist dann, als zeichnete die Gegenwart, widerstrebend, doch gefügig, ein grausames Märchen der Vergangenheit auf.
Es geschah in diesem Dorf, vor Jahresfrist, an einem späten Abend im September. Am Hause des Grundbesitzers pocht jemand dringlich an die Pforte.
Der Alte geht, um zu öffnen. Ein Mädchen steht da, atemlos und sichtlich erschöpft. Sie bricht vor der Tür zusammen, noch ehe sie ein Wort über die Lippen bringt. Man trägt sie ins Haus und bettet sie. Ein heißer Tee wird eilig bereitet. Das Mädchen ist jung, siebzehn Jahre vielleicht. Zu sich gekommen, berichtet sie das Vorgefallene, stockend und immer wieder unterbrochen von ihren Tränen. Sie stammt aus dem Nachbardorf, Tochter wohlhabender Eltern, und liebt einen Burschen, dessen Vater nennenswerte Reichtümer nicht besitzt. Die Liebe bleibt geheim. Dann und wann gelingt es, sich zu treffen, nachts, wenn das Dorf schläft, im schwachen Lichte der Gestirne und hinter Mauern verborgen. Diese wenigen Nächte sind ein ganzer Himmel, Sterne und Glück. Das Leben scheint ein guter Traum zu sein. Aber der Tag kommt, da sie weiß, dass sie ein Kind erwartet. Damit endet das Glück, denn der Umwelt preisgegeben, muss ihr Glück sich ins Gegenteil kehren. Das Dasein ist plötzlich eine grimmige Last. Nach Wochen qualvoller Verschwiegenheit vertraut sich das Mädchen der Mutter an. Rettung bedeutet das nicht. Stattdessen nimmt jetzt das Unheil seinen Lauf. Die strafende Hand der Familie streckt sich nach ihr aus. Was bleibt, ist die Flucht. So kommt sie in dieses Haus, Asyl und Hilfe zu erbitten.
Der Alte sichert ihr beides zu. Er trachtet in den nächsten Tagen, die Schande auf gütlichem Wege zu tilgen. Er begibt sich ins Nachbardorf und verhandelt mit den Parteien. Ein Ausweg bliebe: die sofortige Heirat der jungen Leute. Aber Standesdünkel und lange Debatten um den Preis der Braut verzögern die Einigung. Inzwischen wächst in der Familie des Mädchens der stumpfsinnige Zorn heran; ein wildes, hirnloses Ungeheuer.
Die Katastrophe tritt wenige Tage nach der Flucht des Mädchens ein. Es mag gegen zehn Uhr abends sein. Die Männer des Dorfes sitzen noch wie immer beim Gespräch. Plötzlich schreckt sie gellendes Kreischen auf, Schreie aus dem Haus des Grundherrn, Hilferufe. Die Männer, eilig herbeigelaufen, finden das Mädchen durch Messerstiche getötet.