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Die letzte Zeugin von Heiner Rank
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
05.06.2015
ISBN:
978-3-95655-400-1 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 232 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Familienleben, Belletristik/Moderne Frauen, Belletristik/Liebesroman/Spannung, Belletristik/Krimis & Detektivgeschichten/Polizeiprozesse, Belletristik/Thriller/Spannung
Kriminalromane und Mystery: Polizeiarbeit, Thriller / Spannung, Familienleben, Belletristik: romantische Spannung
Heiratsschwindler, Erpresser, Giftmord, Ermittlung, Kriminalpolizei, Krimi, Spannung, Thriller
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Sie faltete die Hände auf dem Tisch und sah mich aufmerksam an. „Also, was haben Sie auf dem Herzen?“

Ja, was hatte ich auf dem Herzen? Sollte ich den ganzen Unsinn aufgeben und ihr erzählen, worum es mir wirklich ging? Es wäre mir das liebste gewesen, aber ich konnte mich nicht dazu entschließen. Sie machte einen so kühlen, so unnahbaren Eindruck, dass ich fürchtete, sie würde kein Verständnis aufbringen für meine Hirngespinste und mir sehr übel nehmen, dass ich ihre kostbare Zeit in Anspruch genommen hatte.

„Was für Fragen wollen Sie mir stellen?“, drängte sie.

„Ja — nun — vielleicht erzählen Sie erst einmal Ihren Lebenslauf“, stotterte ich. „Nur in Stichpunkten. Damit wir einen Anfang haben.“

„Da gibt es nichts Besonderes zu erzählen. Ich bin hier in Magdeburg geboren. Mein Vater war Ingenieur bei Junkers. Leider ist er noch fünf Minuten nach zwölf ums Leben gekommen. Als Volkssturmmann, im Mai fünfundvierzig, auf eine völlig überflüssige und tragikomische Weise. Er wollte die weggeworfenen Waffen ordnen. Dabei explodierte eine Panzerfaust. Aber vielleicht war es auch die göttliche Gerechtigkeit. Als Antwort darauf, dass er unsere Mutter jahrzehntelang mit seiner Pedanterie und seinem zynischen Unglauben gequält hatte.

Nun, wir kamen auch ohne ihn aus, was zuvor völlig undenkbar schien. Neunzehnhundertneunundvierzig machte ich das Abitur, darauf folgte ein Medizinstudium in Halle. Während des Studiums lernte ich meinen Mann kennen, er war ebenfalls Mediziner. Neunzehnhundertdreiundfünfzig haben wir geheiratet und waren sechzehn Jahre lang sehr glücklich.“

Sie machte eine Pause, sah mir ruhig in die Augen und sagte dann: „Im Winter vor drei Jahren ist er tödlich verunglückt. Mit unserem Auto.“

Ich schwieg. Ich wusste nicht, wonach ich sie noch hätte fragen können, ohne taktlos zu sein.

„Sagen Sie bitte, wie sind Sie eigentlich gerade auf mich gekommen?“

Mit Gegenfragen hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Zu meinem Glück setzte just in diesem Moment Musik ein, und ich konnte mich einen Augenblick umdrehen. Auf dem Podium geigten vier alte Herren in schwarzen Fräcken. Die Melodie klang dünn und zittrig.

Doktor Zimmermann sah mich erwartungsvoll an.

„Ihre Anschrift habe ich von meiner Redaktion“, schwindelte ich drauflos. „Ich habe noch mehr Namen, eine ganze Liste. Wir interessieren uns für das Schicksal alleinstehender, berufstätiger Frauen. Wir würden zum Beispiel gern von Ihnen erfahren, wie Sie mit Ihrem Leben fertig werden. Und vor allem, was Sie von der Zukunft erwarten.“

„Von der Zukunft?“ Sie zuckte die Achseln. „Beruflich habe ich keine Sorgen. Die Urologie ist ein interessantes Arbeitsgebiet, und ich fühle mich wohl in meinem Kollegenkreis.“

„Und wie steht es mit dem Privatleben?“

„Ich weiß nicht recht. In erster Linie muss ich mich um meine zwei Mädchen kümmern, sie haben ja nur noch mich. Das Hauptproblem ist im Augenblick die Schule. Wenn sie nicht wenigstens einen Durchschnitt von eins Komma fünf bringen, haben sie ja heutzutage kaum noch Aussicht auf einen anständigen Beruf. Wer nicht selbst schulpflichtige Kinder hat, kann sich nicht vorstellen, wie viel Zeit und Mühe das auch von den Eltern, verlangt.“

„Sie sind doch noch viel zu jung, Frau Doktor Zimmermann, um nur für Ihre Kinder zu leben.“

„Meinen Sie wirklich?“, fragte sie und sah mich skeptisch an.

Ich nickte.

„Möglicherweise haben Sie recht. Ich zerbreche mir nämlich schon lange den Kopf über diese Frage.“

„Ja?“, sagte ich erwartungsvoll.

„Ich denke, ich sollte es Ihnen erzählen. Als Außenstehende können Sie mir vielleicht einen Rat geben, der nicht allzu sehr durch Vorurteile getrübt ist.“

„Wenn ich es kann, sehr gern.“

„Vor etwa sechs, sieben Monaten bin ich in eine ziemlich komplizierte Geschichte hineingeraten, und ich weiß immer noch nicht, wie ich mich entscheiden soll.“

„Handelt es sich um einen Mann?“

Sie neigte den Kopf und errötete. „Ja, es handelt sich um einen Mann. Ich lernte ihn auf einem medizinischen Symposium des Instituts für Körperkultur und Sport kennen. Zuerst interessierte er mich natürlich nur rein fachlich, aber als ich dann seine Lebensgeschichte näher kennenlernte, erregte er meine Teilnahme und — ich gebe es zu — auch meine Neugier. Sein Schicksal ist wirklich ungewöhnlich. Trotz einer verworrenen Kindheit, trotz der Tatsache, dass er schon früh seine Eltern verlor, hatte er es geschafft, die Sportschule zu besuchen, das Abitur zu machen und ein ausgezeichneter Leichtathlet zu werden. Nach jahrelangen Mühen stand er dann endlich vor seinem ersten großen Erfolg. Und ausgerechnet in diesem Moment erlitt er beim Training einen Herzmuskelriss. Hätte ihn dieser Schicksalsschlag nicht getroffen, wäre er wahrscheinlich ein paar Tage später Europameister im Zehnkampf gewesen. — Als er Monate danach aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war er nur noch ein halber Mensch. Von Sport keine Rede mehr. Jede körperliche Anstrengung, jede Aufregung musste er vermeiden. Doch am schwersten zu ertragen war wohl für ihn die unsagbare Enttäuschung. All die Entbehrungen, die Selbstdisziplin, die harte, auf ein einziges Ziel gerichtete Arbeit, all das war vergeblich gewesen, alle seine Hoffnungen waren zunichte. Ich begann mich um ihn zu kümmern, versuchte ihn zu trösten, ihm neuen Lebensmut zu geben. Denn Wolfgang und ich, wir sind ja beide Pechvögel, und das verbindet auf eine gewisse Weise. Ich glaube sogar, ich liebe ihn. Verstehen Sie das?“

„Ja“, sagte ich, „ich verstehe das.“

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