Jan beschäftigte sich indessen mit praktischen Fragen, nämlich mit der Handhabung der Konsolen und Pulte. »Ich komme nicht klar mit den vielen Änderungen hier im Steuerraum«, beklagte er sich. »Die meisten Pulte sind in letzter Zeit umgebaut, verbessert worden, provisorisch aber nur.« Er studierte Konstruktions- und Schaltpläne, die mit zahlreichen Hinweisen auf Überarbeitungen versehen waren. »Was die hier so alles im Kaltschlaf erfunden haben, ist genial«, stellte er bewundernd fest. »Zum Beispiel der Außenlaser: Seine Leistung ist enorm. Mit so einem Laser könnte ich von hier aus KAP ADIEU verdampfen und dem Mond einen Krater vertiefen. Über eine derart leistungsstarke, weitreichende Wirkung verfügt nicht einmal der Raumkreuzer BUMERANG, und der ist immerhin nagelneu«, berichtete er Cora. »Meteore können der STERNENSTEIGER kaum was anhaben. Ich lege mich demnächst auch mal für einige Zeit ins Kyrotron und meditiere. Dann werde ich bestimmt genauso ein As wie die hier«, fügte er ironisch hinzu.
Cora merkte daran, dass er sich gegenüber den technischen Verbesserungen im Steuerraum noch hilflos fühlte. Natürlich wusste sie, dass er diese Neuerungen nicht wirklich dem Kälteschlaf zuschrieb. Cora überlegte, ob die Unordnung im Steuerraum etwas damit zu tun hatte, dass die Besatzung in aller Hast einen Defekt behoben hatte, um den Anflug bis vor die Haustüre der Erde zu bewältigen. Die Beseitigung des betreffenden technischen Fehlers mochte gelungen sein. Doch dann war man vermutlich vom Ausbruch der Krankheit überrascht worden, deretwegen sie sich die Quarantäne selbst auferlegt hatten. Zum Aufräumen war keine Zeit mehr geblieben. Gab es überhaupt eine Krankheit, die derart schlagartig ausbrechen konnte wie in diesem Fall?
Jan war weiterhin rastlos. »Wie soll ich das schaffen, auf Luna zu landen, wenn ich nicht weiß, was passiert, sobald ich hier irgend eine Funktion aktiviere?«, beschwerte er sich erneut. »Wenn ich einige Monate Zeit hätte, würde ich eventuell herausfinden, wie alles funktioniert. Ich kann doch nicht einfach auf gut Glück handeln.«
»Experimente solltest du nicht machen«, warnte Cora. »Warte noch ein paar Stunden. Du brauchst die Unterstützung der Besatzung, zumindest Hinweise. Vielleicht bekommst du sie morgen schon.« Beim Aufräumen bemerkte Cora eine handgeschriebene Liste mit Dateinamen, die den Eindruck machten, als enthielten sie protokollartige Aufzeichnungen all jener Veränderungen, die im Statusregime der Raumschiffsteuerung und seiner sonstigen technischen Anlagen vorgenommen worden waren.
»Denen verpasse ich ein Disziplinarverfahren, wenn ich erst mal wieder auf der Erde bin«, räsonierte Jan. »Verantwortungslos, mich allein herumwursteln zu lassen. Am besten, ich gehe selbst auf die Suche nach der Besatzung.«
»Das lässt du bleiben«, widersprach ihm Cora energisch. »Wir müssen es ihnen überlassen, wann und wie sie uns begrüßen wollen. Es genügt, wenn Doktor Mahiro erst einmal Ogilvie behandelt. Dann werden wir unsere Arbeit fortsetzen je nach Situation.«
Jan sah sie verblüfft an. Seit wann stoppte Cora Initiativen? Das war gegen ihre bisherigen Gewohnheiten. »Das verstehe jemand anders. Ich nicht«, brummte er verdrossen.
»Im Augenblick geht es noch nicht um die Steuerbarkeit der STERNENSTEIGER durch dich oder das Einschwenken auf eine andere Parkbahn«, versuchte Cora ihm zu erklären. »Es geht jetzt erst um das Wohlbefinden der Besatzung. Betachte ihre Lage: Sie waren viele Jahre unterwegs und sind aufeinander eingeschworen. Das hier ist ihre Welt. Die Erde und die Menschen sind für sie nur eine Legende. Aber plötzlich erscheinen wir. Die Freude über unsere Ankunft hält sich in Grenzen, denn wir sind Fremdlinge, Eindringlinge, denen man nicht gleich um den Hals fällt; denen man schon als Gesunder misstraut, geschweige denn, wenn man nicht gesund ist. Das Verhalten von Menschen ist vielschichtig.«
»Dann haben wir bei ihnen die unterste Schicht erwischt«, spottete Jan.
»Wir müssen einfühlsam sein und rücksichtsvoll.«
»Da bin ich froh, dass ich es nur mit technischen Problemen zu tun habe. Die sind schon schwierig genug. Psychologie ist nicht mein Fall«, gab Jan gerne zu.
»Ich erwarte von dir nur etwas Geduld«, sagte Cora. »Mach deine Arbeit. Um alles andere kümmern Mahiro und ich mich.«
»Geduld kostet Zeit. Zeit können wir uns erst leisten, wenn wir auf eine Parkbahn geschwenkt sind und nicht, wenn wir auf einer Warteposition weit jenseits von Luna verharren müssen. Bis dahin brauche ich für die anstehenden Flugmanöver angesichts des ganzen Genialschlamassels, den ich hier vorgefunden habe, jede Hand und jeden erreichbaren Verstand aus der Besatzung.«