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Früh und spät von Jutta Schlott
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
06.10.2014
ISBN:
978-3-95655-082-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 115 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Familie/Eltern, Kinder-und Jugendbuch/Jungen und Männer, Kinder-und Jugendbuch/Leser/Mittleres Niveau, Kinder-und Jugendbuch/Soziale Fragen/Freundschaft, Kinder-und Jugendbuch/Soziale Fragen/Werte und Tugenden
Kinder/Jugendliche: Gegenwartsliteratur, Kinder/Jugendliche: Familienromane, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Familie, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen. Freunde und Freundschaft, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen
Schwerin, Schichtarbeit, Kinder, Ladendiebstahl, Borna, Umzug, Schulversagen
10 - 99 Jahre
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Olaf wollte den Groschen auf den Zahlteller legen, als ihn jemand an die Schulter fasste.

„Was hast du da in deiner Tasche?“, fragte eine strenge Frauenstimme.

Olaf rührte sich nicht. Er sah auf den Fußboden. Er war staubig.

,,Na los, zeig her, was du da hast!“

Als Olaf sich nicht rührte, zog ihm die Frau die Hand aus der Tasche. Die Zigaretten fielen hinunter. Es war eine Schachtel Klub.

„So ein Früchtchen!“ Die Kassiererin war empört. „Kauft sich scheinheilig einen Lutscher und klaut dabei Zigaretten!“

An den benachbarten Kassen waren die Leute aufmerksam geworden. Alles sah zu Olaf.

„Kollegin Warnke! Kollegin Warnke!“, rief die Kassiererin. „Kommen Sie schnell! Ein Diebstahl!“

Olaf zuckte bei dem Wort zusammen. Ein Diebstahl!

Eine Frau in rosa Kittel kam. „Machen Sie weiter“, sagte sie zur Kassiererin an der Schnellkasse.

„Du kommst mit!“, herrschte sie Olaf an.

„Moment, warten Sie mal!“, rief eine andere Frau. Sie stellte sich neben die Frau mit dem rosa Kittel. „Ich kenne den Jungen“, sagte sie.

Die beiden Frauen redeten leise miteinander. Olaf verstand nicht, was sie sagten. In seinem Kopf gab es nur ein Wort: Ein Diebstahl! Ein Diebstahl!

„Du bist doch einer von den Rolandjungens“, fragte die Frau, die gesagt hatte, sie kenne ihn.

Olaf nickte stumm.

„Ich kümmere mich darum“, sagte sie zu der Frau im rosa Kittel. „Sie können sich darauf verlassen.“

Wieder flüsterten die Frauen miteinander, dann fasste sie ihn am Handgelenk und zog Olaf mit sich. Vor der Tür sagte sie: „Ich bin die Frau Lanschow. Ich wohne im gleichen Aufgang. Zwei Treppen über euch.“Die Frau trug in der einen Hand einen Einkaufsbeutel, ein Netz und ihre Handtasche. Mit der anderen Hand hielt sie Olaf fest, als habe sie Angst, dass er ihr davonlaufe. Sie sprach nicht mehr mit ihm. Sie fragte nicht einmal, warum er die Zigaretten stehlen wollte.

Der Weg von der Kaufhalle bis nach Hause war Olaf noch nie so weit vorgekommen. Er schien ihm kilometerlang. Olaf wagte nicht, nach links und rechts zu sehen. So, wie die Frau ihn anfasste, wurden in Kriminalfilmen Verbrecher abgeführt.

Vor der Wohnungstür stellte die Frau ihre Sachen ab und klingelte.

Die Mutter öffnete. Olaf sah nur ihre Füße in Hausschuhen, höher wagte er den Blick nicht zu heben.

„Guten Tag“, sagte die Frau, „ich heiße Lanschow, ich wohne zwei Treppen über Ihnen ...“

„Hat er was angestellt?“, fragte die Mutter sofort. „Vielleicht lassen Sie mich besser rein?“

„Ach ja, natürlich, kommen Sie bitte“, entschuldigte sich die Mutter.

Im Flur sagte die Frau: „Nehmen Sie’s mal nicht so tragisch, Frau Roland, Ihr Junge hat in der Kaufhalle was mitgehen lassen.“

„Was!“, schrie die Mutter. „Du hast geklaut!“

„Er hat sich ganz dumm angestellt“, sagte die Frau beruhigend zur Mutter, „er hat an der Kasse einfach eine Schachtel Zigaretten in seine Tasche gesteckt.“

„Waaas! Du rauchst!“ Die Mutter war entsetzt.

„Frau Roland“, fing die Frau wieder an, „regen Sie sich doch nicht so auf, sie machen doch alle mal eine Dummheit ...“

Die Mutter machte die Tür zum Wohnzimmer auf und schubste Olaf hinein. „Da bleibst du und rührst dich nicht von der Stelle.“

Olaf setzte sich auf die Kante von einem Sessel. Im Flur hörte er die Frauen reden. Die Nachbarin verabschiedete sich.

Die Mutter riss die Tür zum Wohnzimmer auf. Sie fasste mit der Hand unter Olafs Kinn und hob sein Gesicht hoch. Olaf machte die Augen zu.

„Du rauchst?“, sagte die Mutter leise und böse.

Olaf schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. Nichts war schlimmer, als jetzt die Mutter ansehen zu müssen.

Sie ließ ihn los. „Du sagst jetzt die Wahrheit und gibst zu, dass du geraucht hast.“

Olaf schüttelte den Kopf.

„Du sagst jetzt die Wahrheit, und wenn ich die ganze Nacht hier mit dir sitze!“, sagte die Mutter wütend.

Sie schüttelte ihn. „Wofür brauchst du Zigaretten!“, schrie sie. „Ich kriege das aus dir heraus, darauf kannst du Gift nehmen!“

Olaf krümmte sich zusammen. Er konnte nicht antworten. Er hatte keine Stimme mehr. Er wünschte sich weit, weit weg. Irgendwohin, wo ihn niemand kannte und es das schreckliche Wort Diebstahl nicht gab. Alles tat ihm weh. Die Stelle, wo das Herz schlug, der Kopf und jedes Luftholen.

Er tat sich leid, und die Mutter tat ihm leid, weil sie seinetwegen so verzweifelt war. Immer war er an allem schuld. Alles machte er verkehrt. Er fing leise an zu weinen.

Die Mutter ließ sich auf den Sessel ihm gegenüber fallen. „Warum hast du die Zigaretten geklaut!“

Mit dem Weinen war seine Stimme wiedergekommen. „Für die Lehrlinge“, piepste er.

„Für welche Lehrlinge?“ Die Mutter war verblüfft.

Olaf zog durch die Nase hoch. „Für die Lehrlinge ..., die ich kenne ...“

Die Mutter schlug mit der Hand auf den Tisch. „Wie kommen die Kerle dazu, dich Zigaretten klauen zu schicken?!“

„Sie haben mich nicht geschickt.“

„Soll das etwa heißen, du gehst freiwillig und klaust für wildfremde Leute Zigaretten?! Und warum tust du das um Gottes willen?“

„Weil sie keine mehr hatten.“

„Weil sie keine mehr hatten!“, wiederholte die Mutter, als sei das der merkwürdigste Satz, den sie je vernommen hatte.

Die Tür ging auf, Sven steckte seinen Kopf herein. „Mutti“, sagte er vorsichtig, „Mutti, du wolltest mir doch mein Zeug waschen für den Wettkampf ...“

„Was wollte ich!“ Die Mutter sprang auf. „Ich werde euch sagen, was ich will! Ich will euch nicht mehr sehen! Ich rackre mich Tag und Nacht für euch ab! Und ihr! Ihr lügt und betrügt und klaut!“

Sie fing an zu weinen. „Meine Kinder klauen! Meine Kinder sind Diebe! Verbrecher!“

Sie riss Olaf vom Sessel hoch und schubste ihn zur Tür. „Ich will euch nicht mehr sehen! Haut ab! Alle beide! Lasst euch hier nicht mehr blicken! Macht, dass ihr rauskommt!“

Sie weinte laut auf und warf die Tür hinter sich zu.

Olaf und Sven gingen in ihr Zimmer. Von nebenan hörten sie die Mutter weinen.

Olaf kauerte sich in die Ecke zwischen Doppelbett und Wäscheschrank. Wenn er doch verschwinden könnte! Wenn es ihn nur nicht gäbe, dann brauchte sich die Mutter nicht zu quälen. Er hielt sich die Ohren zu, damit er ihr Weinen nicht hörte.

Sven sprach nicht mit ihm. Er hatte sich auf sein Bett geworfen, das Gesicht zur Wand.

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