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Zu guter Letzt. Erinnerungen, Erzählungen, Essays von Wolfgang Schreyer
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
29.05.2021
ISBN:
978-3-96521-460-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 130 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Biografisch, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Literarisch, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Satire
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Seelenleben, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Tod, Trauer, Verlust, Biografischer Roman, Satirische Romane und Parodie (fiktional), Historischer Roman
Biografie, Schriftsteller, Darß, Zensur, Feminismus, Satire, Arzt, Medizin, Suizid, Freundschaft, DEFA, Krebs
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Vorsicht, Zensur!

Jeder weiß, selbst in seiner schulischen Bedeutung ist Zensur ein Reizwort. Es schmeckt nach Strenge, nach Lehrerzorn und Elternkummer. Auch mir stillem Schüler entschlüpfe, zum Spaß der Klasse, manchmal etwas, das von der Norm abwich und für den Lehrer so daneben war, dass es „Setzen, Sechs“ hieß und eine der Kopfnoten nach unten drückte, um deren Sinn man heute streitet.

Frust durch Zensur anderer Art liegt bei mir gleichfalls 70 Jahre zurück. Da öffnete ein forscher Leutnant, Vizechef der Flakbatterie am Rande meiner Heimatstadt, die Feldpost seiner Helfer – wütend drohte er uns mit der Gestapo! Hatte es manchen doch gelockt, ein Missgeschick zu beschreiben: den dummen Einzelschuss in der Nacht, als ein Wachtmeister den Befehl „Russen raus!“ – er galt den kriegsgefangenen Munitionsschleppern am Geschütz – im Kopfhörer falsch verstand und losfeuerte. In meinem Brief stand: „Jeder Schuss ein Russ’, jeder Stoß ein Franzos’.“ Das sei aber kein Jux, schrie der Leutnant, sondern Pflichtverletzung, ja Verrat!

Im Sommer 1946 dann das nächste Pech. Da schickte mir, dem von der US-Army ostwärts entlassenen Kriegsgefangenen, ein Kumpel aus Darmstadt Ami-Zigaretten. Mich kostete das Päckchen 100 Mark, in Magdeburgs Tivoli-Bar war es doppelt so viel wert. Ich zahlte wie vereinbart bar per Post, drei Scheine immer. Die Hunderter des Besatzungsgeldes der Westalliierten, schmal wie Dollarnoten, passten glatt ins gefütterte Couvert. Jeder vierte oder fünfte Umschlag aber kam grün gestempelt drüben an, geöffnet von der Militärzensur – leer bis auf das gedruckte Verbot, Geld über die Zonengrenze zu schicken ... Wie ärgerlich! Nur die apothekenreife Handelsspanne dämpfte den Verlust.

Ernster wird es sechs Jahre später; da drohte mir jene Textkontrolle, die hier das Thema sein soll. Ein Verlag lud mich nach Ostberlin, wegen meines Erstlings, atemlos trat ich dort ein. Längst erschien hier kein Buch mehr, das eben bloß unterhaltsam war. Was würde mir nun wohl abverlangt, und wo war für mich die Grenze? Stark der Wunsch, endlich gedruckt und freier Autor zu werden. Nur, wie viel Entgegenkommen war mir das wert? Doch zum Glück ging mein Argwohn ins Leere. Der Cheflektor wollte lediglich ein paar kleine Korrekturen, fern jeder Ideologie.

Warum das so lief, erfuhr ich erst später. Der Verlag, belastet mit Drucksachen für den Magistrat, machte kaum Gewinn; er konnte kein Weihnachtsgeld zahlen, das jetzt Jahresendprämie hieß. Da lag es nahe, ein Buch zu lancieren, mal ohne Bekenntnis zur neuen Zeit, wenn sich‘s nur flink verkaufte. Und eben das schaffte der einzige Krimi, der vor dem 52er Christfest bei uns im Schaufenster lag.

Das blieb nicht so, leider. Bei neuen Texten mehrte sich Einspuch von Lektoren. Sehr bald bestrebt, mich – mit streitbaren Kollegen wie Erich Loest – gegen derlei Bevormundung zu wehren, ging ich der Sache auf den Grund; penibel wie bei der Recherche zu einem historischen Roman. Da galt es, Lexika zu wälzen. Die Quellen sagten, Zensur hat Tradition. Es gab sie als geistliche Aufsicht über Leben und Lehre zumindest seit der Erfindung des Buchdrucks. Da sprach der Gebildete noch Latein: Censit, das war ihm ein Zinspflichtiger, und Centura ecclesiastica stand für Kirchenstrafe oder Buße. Censurabel bedeutete tadelnswert, auch zinspflichtig – immer etwas Unangenehmes.

Die Pein schien sogar noch viel älter, wurzelt das Verb „zensieren“ nicht im römischen censere, was begutachten, schätzen oder taxieren hieß? Also nach Prüfung aller Umstände entscheiden, ob eine Schrift der Kirchenzucht diente oder wenigstens die weltliche Ordnung stützte. Denn Censor, das war laut Looffts Wörterbuch von 1876 der Polizeichef im alten Rom; und ebenso ein „Schriftenprüfer“, dort auch „Bücherrichter“ genannt ... Mein Fazit: Herrschaftsgefährdende Bücher wurden meistens verboten, oft sogar verbrannt; und manchmal die Schreiber gleich mit.

Mit so viel Wissen aus zweiter Hand griff ich die Bücherrichter an – im linden Hauch, der als „neuer Kurs“ auf den 17. Juni 1953 folgte. Gestärkt durch Kollegenstimmen, so Stefan Heyms BZ-Kolumne Offen gesagt, schrieb ich meinem Berufsverband, keck Portius Cato zitierend: „Ceterum censeo, etwas derart Antiquiertes wie Buchzensur passt nicht mehr in unsere Zeit.“

Im Klima neuer Milde druckte das Verbandsorgan Der Schriftsteller den Text ungekürzt im Septemberheft 1954. Der Redakteur Sigrist verlor dadurch sein Amt, mich stufte man zurück vom Mitglied zum Kandidaten. Und Christa Wolf, als Lektorin damals noch ganz parteitreu, schrieb mir (und ebenso dem MfS), wie tief sie meine Haltung befremde.

Die Broschüre 250 Fragen und Antworten über die DDR zitierend, hatte ich geschrieben: „Gibt es eine Buchzensur? Nein. Die kann es nach der Verfassung gar nicht geben. Selbstverständlich achtet der Staat darauf, dass keine Literatur erscheint, die laut Verfassung verboten ist: nämlich ... zum Krieg oder dem Rassen- und Völkerhass hetzt. Aber dazu bedarf es keiner Zensur. Auf die Einhaltung der Verfassung achten die Verlage selbst. Das Amt für Literatur und Verlagswesen, das von Verleumdern der DDR gern als Zensurbehörde hingestellt wird, hat in Wahrheit den Auftrag, die Tätigkeit der Verlage zu koordinieren.“

„Wie also“, trumpfte ich auf, „kann ein Buch, das keine Spur von Rassen- oder Kriegshetze enthält, bei uns verboten werden? Bedarf es, um das Fehlen solcher Tendenzen im Manuskript zu ermitteln, eines halben Dutzends ideologischer Prüfungen? Geht es vielmehr nicht darum, für Toleranz einzutreten ... sowie Verleger, Lektoren und Autoren von der Furcht oder Einbildung zu befreien, es gäbe bei uns eine Zensur?“ – Und weiter so in Rage. Der geschasste Redakteur übrigens wies darauf hin, Vorgesetzte wie Gustav Just seien auch für meinen Text gewesen. Da strafte man Just gleichfalls ab. Und ich Greenhorn notierte naiv: Furchtbar schwer fällt es den Genossen, liberal zu sein.

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