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Ausstellung einer Prinzessin von Elisabeth Schulz-Semrau
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
30.04.2020
ISBN:
978-3-86394-366-0 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 543 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Moderne Frauen, Belletristik/Politik
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
2. Weltkrieg, Königsberg, Vertreibung, Ostpreußen, Krieg, 20. Jahrhundert, DDR, Neulehrer, Liebe
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Jetzt hat es zu schneien begonnen.

Große weiße Flocken wirbeln durcheinander. Verschwunden Straße, Hofvierecke, zu sehen gerade noch die Molkereimauer, die mir bis zu den Schultern zu reichen scheint. Von hier oben natürlich.

Da spür ich auf einmal ganz mich und die leeren fordernden Bänke hinter mir.

Genau dreiundzwanzig sind es, in drei Reihen gestellt, für jede Klassenstufe eine, das heißt, eine einzelne Bank steht abseits von den anderen. Ich hätte sie ja schon eingeordnet. Läuse-, Esels- oder Armenbank – oder wie mögen sie hier dazu gesagt haben?

„Hier, Kollegin, können Sie Schüler beaufsichtigen, die Ihnen besondere pädagogische Schwierigkeiten bereiten!“, hat Herr Bierle gleich am ersten Tag gesagt.

Was konnte ich gegen pädagogische Schwierigkeiten denn anführen, wo ich diese Komeniusse, Diesterwegs, Pestalozzis kaum auseinanderhielt?

Und erst Kollegin …

Was hatte ich hier nur zu schaffen?

Warum rannte ich nicht einfach los nach Haus, oder wenigstens über diesen See, der, wenn er zugefroren war, den Weg nach Ramzow auf zwei Stunden abkürzen sollte. Wenigstens eine halbe Stunde mit ihm reden. Sprechen über alles hier. Er würde sich die Tabaksspuren aus allen Taschen klauben, die Pfeife auf einige Züge warm ziehen und weiter endlos daran herumknaupeln, ehe er behutsam (oder war es vorsichtig?) seine Antworten herausgab. Antworten, die so anders waren …

Aber wie konnte ich loswandern, er hatte ja den verabredeten Brief nicht geschickt.

Erster Schnee!

Nun fast rhythmisch oder systematisch oder mathematisch – quatsch, ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie probieren mich solche Fremdwörter aus.

Also – da segeln diese Weißfleckchen ausgewogen hintereinanderweg, treffen, verzähneln sich zum ersten Winterteppich.

Hinter meiner Fenstersicherheit suche ich, obwohl mich fröstelt, auf einmal Verse zusammen, viertes Schuljahr kann das gewesen sein:

Und dräut der Winter

noch so sehr

mit trutzigen Gebärden,

und streut er Eis und Schnee umher,

es muss doch Frühling werden.

Genau, damit werde ich am Montag den Unterricht beginnen.

Meinen Unterricht. Wie sich das anhört.

Licht. Ich gehe zur Tafel, drehe den kleinen Hebel, die ganze Tafel und damit auch das neue Kinderzeichen mit den drei Flammen. Das muss heil bleiben, zu mühsam habe ich es mir gleich für den heutigen Nachmittag von diesem Bilderbogen abgemalt.

Ich werde es ja nun öfter brauchen, wenn ich jemals hier wegkommen will.

„Guckt mal her“, habe ich gesagt, „alle sind sie gekommen, und die meisten sogar in ihren Sonntagssachen“, Hansi Schliebhacke hatte seinen Filzkopf mit irgend’ner Pomade getränkt, sodass ich zwischendurch immer durch seifensüßliche Wolken schwamm, „habt ihr so etwas schon einmal gesehen?“

Niemand kannte es, was ich verstand, denn auch ich war ja gestern zum ersten Mal darauf gestoßen oder gestoßen worden in jener Kreisleitung. Aber ich glaub, ich hab mich dort ziemlich kundig angestellt.

„Puppenmützen“, sagte Irmtraut Krehl, wozu ihr Bernd Müller einen Vogel zeigte und erklärte, das sei Feuer, bestimmt ’n Gaskocher, und seine Tante Frieda in Berlin hätte auch so einen.

Da hab ich mal lieber angefangen zu erklären, ehe die noch sonst was ausdachten.

„Also, das große Jot seid ihr, die Jungen – die Kinder.

Das Püh bedeutet Pionier. Pioniere – also das sind Kinder, die zusammengehören. Die Flammen aber bedeuten …“ Mehr wusste ich nicht, obwohl ich doch dort so getan hab, als wär ich mindestens damit geboren … Schiete.

Und dann hab ich angefangen, ihnen die Gesetze vorzulesen.

Junge Pioniere lieben ihre Heimat. Junge Pioniere halten ihren Körper sauber und gesund. Junge Pioniere schützen. Junge Pioniere … Doch dann habe ich auf einmal an mich gedacht, wie ich darauf reagiert hätte, wenn ich gleich beim ersten Mal so unter die Nase gerieben bekäme, was ich darf und was nicht.

Und da hab ich angefangen, mit ihnen zu spielen. Ich packe meinen Affen und lege hinein … Bei Affen ist mir sofort eingefallen, dass die nicht wissen können, was das ist, Affe: – und habe auf Rucksack verbessert: Überhaupt geht Affe nicht mehr: Und Gott sei Dank: Die Affenzeit ist vorbei! War richtig davon eingenommen, dass mir so was Treffendes eingefallen ist.

Aber jetzt, wie es mir noch mal in den Sinn kommt, höre ich die dunkelbraune Stimme von Frau Mönchen: „Denken Sie nach, Christine Rachowe, wenn es nur Affen gewesen wären – die hätten nicht so gehaust!“

Wegen Frau Mönchen schon muss ich mich schleunigst erkundigen, wieso dieser Kinderbund Pioniere heißt.

Ich weiß bloß, dass das früher so halbe Soldaten waren, die nur zu schippen hatten. Oder von dem, der im Argonner Wald um Mitternacht auf der Wacht stand …

Warum nennen sie ihre Kinder so?

Endlich habe ich im Schrank noch einen Kreidekasten mit einigen Stücken entdeckt und beginne Überschrift und Dichter zu malen. Doch, ich male richtig und ganz langsam.

Wie soll denn eine, die selten ’ne Drei in Schreiben erreichte, plötzlich sogar wie’n Lehrer schreiben können?

 

Ausstellung einer Prinzessin von Elisabeth Schulz-Semrau: TextAuszug