Das sind die Rosen, die Ulli gesucht hat. Der Lange packt sie am Arm. Bist du verrückt, hier wohnt Frau Prill!
Ulli steht schon auf der Zauneinfassung, Rancherzäune sind am praktischsten.
Und ich hatte ne Vier im Diktat, gibt doppeltes Theater!
Ph!, sagt Ulli verächtlich. Kannst ja abhauen!
Das eben kann der Lange nicht. Eher wirft er sich in den Löwenkäfig,als dass er Ulli im Stich lässt. Zähneknirschend steigt er mit über den Zaun und öffnet sein Taschenmesser. Hoffentlich sitzt die Prillsche nach vorne raus!
Die hat viel zu viel Rosen, sagt Ulli und sucht bedachtsam die schönsten Knospen aus. Als Knospen und langstielig sind Rosen am feinsten. Der Lange schneidet. Ulli ist nicht bescheiden. Ist allermeist genug!, drängt er und verwünscht seine Länge. Wie ein Fernsehmast ragt er über die Rosenstöcke empor. Ulli guckt höchstens um einen halben Kopf darüber hinweg.
Wie das duftet!
Du willst doch nicht etwa alle abriechen!
Da ist es passiert. Es bellt. Der lange Rilke duckt sich sofort. Auch Ulli macht sich kleiner, bleibt aber auf Späherposten. Frau Prills schwarzer Pudel rast auf die Rosen zu. Im Haus rührt sich noch nichts. Weg!, zischt Ulli den Pudel an. Der ist ein gehorsames Tier. Erst als sie über den Zaun sind, traut sich der Schwarze heran, springt an den hölzernen Latten hoch und kläfft und jachtert sich ab.
Hau ab, du Misttöle! Der Lange reißt Ulli samt Rosen mit in das Erlengebüsch hinein. Die Äste peitschen ihnen um die Ohren, wild rauschen die Blätter. Als sie durch sind, schmeißen sich beide lang auf die Wiese. Das Herz klopft ihnen bis zum Hals. Sie lauschen und bohren ihre Blicke in die dichte grüne Deckung, die ihnen das Geschehen auf der anderen Seite verbirgt.
Baffi, was hast du, Baffi, hören sie Frau Prills Stimme, und sie kommt näher. Ulli presst die Hand des Langen, dass er all ihre Fingernägel spürt. Was ist denn, mein Kleiner, na, was hast du, mein wachsames Hündchen? Jetzt muss Frau Prill am Zaun stehen. Hier ist doch gar nichts, Baffi. Schon wollen die beiden aufatmen, da ertönt ein durch Mark und Bein dringender Schrei. Meine schönen Rosen! Wieder blafft der Köter wie verrückt. Ob die Prillsche über den Zaun klettert?
Nicht rühren, haucht der Lange. Wenn überhaupt Rettung, dann nur durch Totstellen. Es rappelt am Zaun. Schrecklich, dass Rancherzäune so praktisch sind! Der Lange verwandelt sich in ein einziges hochempfindliches Lauscherohr. Rappeln, Scharren. Aber Frau Prill schafft es nicht. Na warte, wir holen Herrchen! Schritte, die sich eilig entfernen, Blaffen, das leiser wird.
Abhauen!, stößt der Lange hervor.
Zu Königs in den Schuppen, keucht Ulli.
Sie rennen am Erlendickicht entlang, fliegen über den kleinen Pfad, den Vater König ausgehauen hat, um auf kürzestem Weg zu seiner Angelstelle am See zu kommen, reißen die Gartenpforte auf, werfen sie hinter sich zu und hechten in den Bretterschuppen, wo sie sich in der hintersten Ecke dicht beieinander hinhocken.
Keine Sekunde zu früh, denn gerade eilt Herr Prill um die letzte Biegung des schmalen Wegs zwischen Gärten und Erlengebüsch und gewinnt Überblick bis weit hinter Königs Grundstück. Ulli und der lange Rilke hören ihn durch die hölzerne Wand schrecklich nah den kläffenden Baffi anstacheln: Such, mein Hund, such!