Der alte Mann kannte seine Vögel. Es waren seine Vögel. Das machte ihn glücklich. Sie konnten fliegen, wohin immer sie wollten über der großen Stadt und auch weiter noch. Sie verschwanden im Herbst und blieben den ganzen Winter fern. Nur ihre Nester hingen da oben in den dünnen Zweigen. Aber sie kamen im Frühjahr zurück, und wieder fraßen sie dann sein Brot und erkannten ihn, wie er sie erkannte. Zwei sehr alte Krähen mit grindigen Hautstellen unter den Augen waren vor Jahren die ersten gewesen, die in seine Nähe kamen. Er hatte sie Paul und Paula genannt. Von der Straßenbahn aus las er an einem Kino: Paul und Paula. Das hatte ihm gefallen. Diese Namen gehörten zu seiner Jugend. Jetzt hießen die Kinder nicht mehr Paul und Paula. Aber seine beiden alten Krähen, die hießen nun so. Anderen Krähen gab er andere Namen, doch Paul und Paula blieben die einzigen, die immer wieder gekommen waren, die immer vertrauter wurden und ihm das Brot schließlich aus der Hand nahmen.
Und dann, an einem dieser heißen Tage, als die Stadt fast zu kochen schien vor Hitze, da waren Paul und Paula verschwunden, genau an einem Montag, Ende August.
Um diese Zeit saßen immer nur wenige Krähen in den großen Bäumen auf dem Friedhof. Wohin seine Vögel im Sommer gezogen sind, das wusste der alte Mann nicht. Sie verschwanden bis auf wenige. Paul und Paula blieben ihm immer. Er hatte sie zum letzten Male am Freitag gefüttert. Sie hatten die Köpfe schief gehalten, ihr Quork und Aaark-aark geredet, Brot gefressen und waren um ihn herumgehüpft mit ihren lustigen Hopssprüngen. Dann waren sie in die Baumwipfel zurückgekehrt.
Am Montagnachmittag saßen nur drei jüngere Krähen auf den Bäumen, und sie trauten sich nicht herunter auf die Wiese. Der alte Mann streute das Brot aus und setzte sich auf eine der Bänke zurück in den Schatten. Es war wirklich unerträglich heiß.
Der alte Mann wartete auf Paul und Paula, aber seine Vögel kamen nicht. Er wunderte sich sehr darüber, und es machte ihn traurig. Er war so sehr an Pünktlichkeit gewöhnt, an seine eigene und auch an die der Vögel. Immer flogen sie um vier zu diesem Platz. Aber vielleicht, so versuchte er sich zu trösten, waren sie in dieser großen Hitze aus der Stadt fortgezogen, zu den Feldern hinaus, wo es Seen und kleine Flüsse oder Weiher gab. Sie würden wohl zurückkommen.
Doch sicher war sich der alte Mann nicht. Er hatte das Gefühl, es müsse etwas passiert sein mit seinen Vögeln, aber er konnte es nicht benennen, so sehr er auch grübelte. Irgendetwas war anders an diesem heißen Montag!
Erst am nächsten Tag wusste er, was es war. Paul und Paula kamen wieder nicht, und auch die anderen Krähen verhielten sich scheu. Sie nahmen zwar das Brot aus dem Gras, aber sie flogen schnell fort damit und fraßen es auf den Zweigen.
Als er unter den großen Linden langsam zurückging, fiel ihm ein, was fehlte: die beiden Kinder, dieser Junge mit den schwarzen, krausen Haaren und der etwas größere. Der hatte Sommersprossen und rötliche Haare und sehr helle Augen. Die beiden mochten neun oder zehn Jahre alt sein. Das wusste er nicht genau. Er kannte auch ihre Namen nicht. Doch traf er sie oft auf dem Friedhof, in der letzten Zeit sogar jeden Tag.
Zunächst war der alte Mann misstrauisch. Er hatte die Jungen beobachtet. Vielleicht machten sie Dummheiten. Ein Friedhof ist kein Spielplatz! Kinder kamen niemals hierher oder doch nur in Begleitung von Erwachsenen.
Der alte Mann behielt die Kinder im Auge, wenn er die Wege harkte oder Gras und Unkraut von den Gräbern auf seiner Schubkarre zum Komposthaufen fuhr. Er sah sie, wie sie sich in dem Wiesenwinkel zu schaffen machten, wo in der Sonne Schmetterlinge flogen. Da hockten sie im Gras oder krochen auf den Knien umher, als suchten sie etwas. Oftmals saßen sie am Fuß der alten Linde, deren Stamm über den Wurzeln ein wenig ausgefault war. Da ging er leise zu ihnen. Die Jungen bemerkten ihn nicht. Sie betrachteten die rot und schwarz gezeichneten Insekten, die sich dort versammelt hatten. Der Junge mit den Sommersprossen hielt eine große Lupe. Damit sahen sie sich die Tiere an.