"Ein Auto, Oma, ein Auto!" Ich rannte los, zur Straße hin. Der Lichtkegel war schon ganz nahe. Er kam von Proseken her. Als ich auf der Straße war, traf mich das Licht schon voll. Ich riss die Arme hoch, winkte und blieb mitten auf der Straße stehen. Sehen konnte ich nichts, so sehr blendeten mich die Scheinwerfer. Ich hörte nur, wie der Fahrer das Gas wegnahm und schaltete. Dann wurde das Licht abgeblendet. Rutschend blieb das Auto kurz vor mir stehen. Der Motor lief weiter, und ein Mann brüllte: "Bist du verrückt geworden?"
Die Stimme klang wütend, aber ich ging trotzdem zu dem Auto.
"Helfen Sie uns!" sagte ich. "Da liegt einer!"
Der Mann antwortete nicht. Ich hörte nur, wie eine Frau sagte: "Sieh nach, was los ist, Emil!" Dann klappte eine Tür auf, und im Auto wurde es hell. Eine Frau und ein Mann saßen drin, und der Mann stieg aus. Er war ziemlich dick. Vielleicht war nicht er dick, sondern nur der Mantel aus Schaffell mit dem großen Kragen. Den hatte ich in der Kirche schon gesehen, zwei Reihen vor uns.
"Was ist los", fragte der Mann. "Wieso bist du allein hier auf der Straße um diese Zeit? Wo kommst du denn her?"
"Frag nicht soviel, Emil", rief die Frau aus dem Auto. "Sieh nach, was los ist, und beeile dich!"
"Also, was ist?" sagte der Mann. Er stand schon ganz dicht vor mir.
"Wir haben ihn gefunden", stotterte ich, "meine Oma und ich. Er kann nicht mehr laufen!"
"Nicht mehr laufen? Ach so! Pinkau, was? Besoffen!" Er lachte, und das hörte sich böse an.
"Kommen Sie", rief Oma vom Weg her.
"Ist ja dunkel wie ein Loch", murrte der Mann. Er tappte hinter mir zu den Weiden.
Oma stand neben Pinkau. Er lag noch immer auf dem Bauch.
"Na klar", sagte der Mann, "Pinkau! Und deshalb hältst du mich an, Bürschchen?"
"Nu, das möcht Menschenpflicht sein", sagte Oma.
"Ach, das ist die Frau Wachtoweit!" Der Mann lachte wieder. "Jetzt höre ich, wer Sie sind. Na, Sie machen mir Spaß. Was soll denn die Aufregung? Pinkau ist noch immer nach Hause gekommen. Das müssen Sie doch wissen! Wenn ihm kalt genug ist, findet der sein Nest."
Oma ging auf ihn zu, ganz nahe an ihn heran. Sie versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen.
"Sie sind der Emil Neubaum", sagte sie, "von der Mosterei, nicht wahr?"
"Genau", sagte der Mann, "aus Rubow. Und den Pinkau, Frau Wachtoweit, den lassen wir schön hier liegen. Soll er sich mal ausnüchtern."
"Erbarmung, ich bitt Sie, Herr Neubaum", flehte Oma. "Tun Sie ihn nach Hause fahren. Ist doch ein kleines Stück nur für Sie mit dem Auto. Weil Weihnachten ist!"
"Nee", sagte der Mann, "da hätte der eher dran denken sollen. Soll ich mir vielleicht noch das Auto versauen lassen von so einem? Nee, danke! Also, dann mal schöne Weihnachten, Frau Wachtoweit!" Er drehte sich um und stampfte zu seinem Auto zurück. Der Motor lief noch, dann flammte das Fernlicht auf, und wir standen allein im Schnee neben Pinkau, dem Fahrrad und der Posaune.
"Die Kolik soll er kriegen, der Schisser!" Oma spuckte in den Schnee.
"Du, Oma, da muss noch ein Auto kommen", versuchte ich sie zu trösten. Auch das zweite Auto, das uns auf dem Hinweg zur Kirche überholt hatte, konnte doch in Richtung Rubow zurückfahren.
"Meinst wirklich?", fragte Oma zweifelnd, doch sie ging mit mir zur Straße.
Da standen wir und warteten, und es dauerte auch gar nicht lange, da hörte ich schon wieder ein Auto brummen. Aber der Lichtschein kam nicht von Proseken her, sondern von Rubow, und ich dachte: Jetzt kommt dieser Neubaum noch mal zurück. Der hat es sich überlegt. Genau das dachte ich, und dass wir eigentlich gar nicht zu winken brauchten. Aber Oma ruderte mit ihren Armen wie ein schwarzer Vogel mitten auf der Straße, als die Scheinwerfer um die Kurve schwenkten.
Das Licht wurde gleich abgeblendet, und das Auto kam langsam heran, bis es anhielt vor uns, und ich hörte am Motor, es war nicht der Wartburg von diesem Neubaum. Das war ein Lada.
Der Motor wurde ausgeschaltet. "Wo wollen Sie denn noch hin?", fragte eine Frauenstimme. Sie klang ganz freundlich.
Oma trippelte auf das Auto zu.
"Sollen wir Sie mitnehmen?", fragte die Frau am Steuer. Sie hatte die Scheibe heruntergedreht. Erkennen konnte ich sie nicht.
"Nein", sagte Oma, "Hilfe brauchen wir. Unser Nachbar, wissen Sie, der kann nicht mehr laufen. Im Schnee liegt er."
"Und warum?", fragte eine Männerstimme aus dem Auto. "Ist er besoffen?"
"Ich bitte Sie! So kalt, wie es ist! Sie möchten's doch auch warm haben!"
"Alles richtig", sagte der Mann, "aber ich habe so meine Erfahrungen mit Leuten, die betrunken sind. Ich habe mir einmal das Auto voll kotzen lassen. Das reicht mir!"
"Sollen wir nicht doch lieber ...", fragte die Frau leise.
"Nein", sagte der Mann.
"Dann lass uns doch wenigstens die alte Frau nach Hause fahren", bat die Frau.
"Einverstanden", sagte der Mann, aber Oma trat schon vom Auto zurück.
"Ich fahre Sie", sagte die Frau noch.
Da war Oma schon neben mir, packte mich am Arm und zog mich über die Straße zum Weg hin, wo Pinkau lag. Hinter uns wurde der Motor gestartet. Nun waren wir wirklich allein.