Der Gefreite Meyhoff hatte sich schon das dritte Mal freiwillig auf Beobachtung gemeldet. Die Sache war nicht ungefährlich: man musste durch ein Gehölz, dann im Unterholz bis an den äußersten Rand kriechen. Von dort war eine Talwiese zu überschauen. Die Russen, hieß es, lägen noch vor den Erlen am Bach.
Als Begleiter kriegte Meyhoff Bader mit, und den schon das dritte Mal. Bader galt als hundertfünfzigprozentiger Nazi. Meyhoff dachte: Verfluchte Scheiße! Warum immer den? Wenn doch mal ein anderer mitginge, mit dem man ein vernünftiges Wort reden könnte! Dann fuhr ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf: Oder habe ich mich vielleicht verdächtig gemacht, dass ich mich immer melde? Warum Meyhoff diese Begleitung unangenehm war und warum ihm solche Bedenken aufstiegen, das werden wir später erfahren.
Die beiden gingen. Es war schon dämmrig, trotz des bedeckten Himmels. Sie schoben sich langsam durch das Gehölz. Kein Zweig knackte. Im Unterholz krochen sie, bis sie an die Talwiese kamen. Ein dünner Nebel hing darüber. Drüben konnte man die dichten Erlen am Bach sehen.
Jetzt glomm drüben etwas auf; es rauchte einer eine Zigarette. Bader flüsterte: Sehn Sie? Die sind noch an derselben Stelle wie neulich.
Hm, machte Meyhoff. Er überlegte.
Sie lauschten. Man hörte von drüben Worte. Bader sagte: Wie friedlich das hier ist! Kein Schuss! Haben Sie gehört, da sind gestern wieder ein paar auf Beobachtung gegangen und abgehauen! Hier vorn ist das ja auch ziemlich leicht. Ja, man soll auch bloß ganz sichere Kerle auf Beobachtung schicken!
Das wird man ja auch wohl tun, sagte Meyhoff; innerlich dachte er: aha!
Nach einer Weile sagte Bader: Was würden Sie tun, wenn Sie sähen, neben Ihnen haut auf einmal einer ab? Der ist ja mit einem Satz drüben; das sind doch keine hundertfünfzig Meter.
Meyhoff wurde es ein bisschen ungemütlich. Na, wohl dasselbe, was Sie tun würden: hinterherschießen!
Eine Weile sagte keiner was. Dann sagte Bader: Man kann wegen dem Nebel fast gar nichts mehr sehen. Ich werde mal ein Stück durch die Wiese kriechen. Das Gras ist hoch. Da kann man unbemerkt bis auf ein paar Meter rankommen.
Meyhoff sagte: Aber finden Sie auch hierher zurück? Und lassen Sie sich nicht schnappen! Die Russen haben gute Witterung. Innerlich dachte er: Gott sei Dank, dass ich den los bin! Er äugte scharf, in welcher Richtung Bader sich durchs Gras schlängelte. Dann kroch auch er los, machte aber einen Bogen.
Bald war er dicht bei den Erlen. Dort sah er sich was bewegen. Er richtete sich auf und rief: Towarischi! Da kamen zwei auf ihn zu, nahmen ihm das Gewehr ab, klopften ihm lachend auf die Schulter und sagten: Gut, gut! Sie führten ihn tief zurück in den Wald zum Stab. Als sie dort ankamen, hörte er plötzlich ein deutsches Gespräch. Er traute seinen Ohren nicht: das war Baders Stimme. Also hatten sie ihn geschnappt.
Er hörte Bader sagen: Seit vierzehn Tagen schon wollt ich zu euch abhaun, aber immer, wenn ich mich auf Beobachtung meldete, schickten sie so einen Spitzel mit, den konnte ich nicht loswerden. Heute hab ich ihn endlich sichergemacht. Der sitzt da oben am Waldrand. Ich kanns euch zeigen. Den könnt ihr da gleich abholen lassen.
Da fing Meyhoff laut an zu lachen. Den braucht ihr nicht abzuholen. Der ist schon hier! Mensch, du Idiot, ich war doch kein Spitzel, ich dachte immer, du wärst einer. Hättest doch einen Ton sagen können, da wären wir schon vierzehn Tage aus dem hungrigen Lebensraum da drüben raus.
Ja, warum habt ihr euch denn nicht früher verständigt?, fragte ein Deutsch sprechender Russe.
Kamerad, sagte Bader, in einer Armee, wo jeder jeden für einen Spitzel hält, kann man sich doch nicht verständigen. Aber wenn wir uns erst mal verständigen können, dann fällt die ganze Armee auseinander. Darauf warten wir bloß!
Diese kleine Erzählung ist einem Bändchen Zeit der Entscheidung entnommen, das 1942 im Verlag für Fremdsprachige Literatur Moskau erschien.