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Herrensalon W. Kleinekorte. von C. U. Wiesner
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
19.10.2013
ISBN:
978-3-86394-411-7 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 154 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Satire, Belletristik/Politik, Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Geschichte
Belletristik: Humor, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Satirische Romane und Parodie (fiktional)
DDR, Humor, Satire, Friseur Kleinekorte, Fußball, Ostseeurlaub, Gastronomie, 20. Jahrhundert, Humor, Kurzgeschichten, Politik, Satire, Zeitgenössisch
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Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Am besten, Sie stehn gleich wieder auf und jehn zwei Schritte nach links. Da hängen die frischen Kittel, bindense sich gleich einen um, und hinterher stellense sich den Stuhl in die gewünschte Weise ein. Kamm und Schere sehnse vor sich liegen, und denn fangense gleich an. Quatsch, ick leide nicht an Rheuma, ick mach bloß auf modern und stuckeriere mein Laden auf Selbstbedienung um. Na, nu lassense man schon, an einen alten Stammkunden soll man sich nicht mit Experimente vergreifen, sonst geht es Ihnen noch so wie neulich mein Sohn, den Schemiedokter. Wenn er seine ollen Eltern in Berlin besucht, denn lasst er sich meistens was Besonderes einfallen. Diesmal wollte er mit uns nachs Ermelerhaus piekfein essen fahren. Nehmse mal den Kopp ’n bißken runter!

Unterwegs fallt ihm ein, desser nicht mehr jenuch Benzin in sein Wartburch drinne hat. Also ran anne Tankstelle inne Prenzlauer. Aber da is nu auch schon Selbstbedienung. Ick versteh ja nu jar nischt davon. Unse Ottchen hat nu mächtig an den Schlauch mit die Zappenpistole rumjezuppelt, bis da endlich wat rauskam, und denn lief es so schnell und über sein juten Anzug, deß ick rasch meine Zijarre ausgemacht habe - da hätte ja dis jrößte Unglück passieren können. Zum Schluss hat er sich noch mit die Hände den Schweiß vons Jesicht jewischt, und der Schlauch muss woll zimmlich dreckig jewesen sind. Jedenfalls hamse ins Ermelerhaus jesagt, Leute mit Berufskleidung dürfense nicht reinlassen. Zuerst wollt ick ’n Mordskrach schlagen, aber Muttern meinte, dis is hier wirklich ’n jutes Restorang, nicht sone Selbstbedienungsfresse, wo der Dreck und Speck von die letzten Jäste noch auf die Spree-à-la-carte-Platte kleben tut, und unsern Bengel war sowieso die Laune versaut.

Anne Seiten nehm ick ’n bißken raus, wa?

Da sind wir ebent nach Hause jefahren, und Muttern hat uns Stullen jemacht und selbsteinjelegten Brathering dazu. In diese Beziehung is Muttern noch janz von die alte Schule, nicht etwa, deß jeder selber an Kühlschrank jehn dürf - Muttern macht jeden sein Abendbrotteller eijenhändig zurechte. Die Selbstbedienung, meintse, verdirbt alle juten Sitten, und im Jrunde hat der Kunde fürs selbe Jeld die janze Arbeit alleine, auch wenn se die Leute dis Gejenteil einreden wollen. Wie Otton und icke ihr grade noch von die Fortschritte von unsern Handel und Wandel überzeugen wollen, kloppts draußen. Steht Fritze Ladenthin da und murmelt völlig verstört, se ham ihm die neue Schrankwand jeliefert. Wat denn, sag ick, du freust dir woll jar nicht? Jeliefert, meint er, aber nicht aufjebaut. Die Männer konnten man jrade noch im Wechrennen dis Trinkjeld auffangen und Fritzen zurufen, mach dir man ne frohe Bastelstunde, Opa! Wackelnse doch nicht so mitten Kopp, nee, ick meine Ihnen, Herr Jeheimrat!

Oder glauben Sie etwa, der Möbelkunde hätte nicht auch sein Recht auf Selbstbedienung? Und bedient waren wir würklich nach drei Stunden, wie wir Fritzens Schrankwand noch immer nicht zusammenjefummelt hatten. Da passte nämlich nur jeder zweite Stecknüppel, und die Schrauben waren entweder zu lang oder zu kurz. Fritze wollte schon die Axt ausm Keller holen, aber ich bin ihm jrade noch in Arm jefallen und hab jesagt, wenn er Feuerholz braucht, soll er man lieber in Wald fahren. Da hat der Förster bestimmt ’n paar hundertjährige deutsche Eichen zur Selbstbedienung stehn lassen. Denn zahlt der Bürger Eintritt, kriegt ’n kleines Hackebeilchen inne Hand jedrückt und dürf nach Herzenslust losdreschen.

Aber bei Ladenthin isses noch gutjegangen. Ick hab an andern Tag Herrn Dabberkau zu ihm hinjeschickt, der is jetzt bei de Post, weil er als Tischler nicht jenuch verdient hat. Bei de Post verdient er zwar auch nicht ville, aber er schont seine Kräfte und kann nach Feierabend die Leute noch Regale bauen oder ihnen die Schrankwände richtigmachen. Die Nüppel musste er alle von Hand nachdrechseln, mit Trinkjeld kostete dis fuffzig Mark - ohne Essen und Trinken, aber dafür hat er intressant erzählt. Die Selbstbedienungspostämter sollen ein sagenhafter Erfolg sein, da sparense nicht bloß die Postanjestellten, da sparense sojar die Postkundschaft ein, weil se damit die meisten Leute dis schöne alte Posterlebnis völlig verekelt ham. Und in die Außenbezürke isses noch ville schöner. Da kriegense kein Päckchen mehr, sondern bloß noch ’n Schlüssel mit ne Nummer. Und denn könnense abends im Dustern mitte Taschenlampe lossocken und Jeheimdetektiv spielen, bis Se endlich rausjekriegt haben, in welche Boxe der jute Osterhase vonne Post die Eier verstochen hat. Ich sage zu Dabberkau, ihr macht euch die Arbeit noch ville zu komplessiert. Am besten, ihr stellt auf den jroßen Parkplatz vorm Ostbahnhof lauter Busse hin, wo nach Leipzig, Rostock oder Pankow fahren, und denn kann jeder seine Briefe oder Pakete gleich selber an die richtige Adresse bringen. Dis ham wir auch schon erwogen, meint er, aber es scheitert an die Auslandssendungen. Wenn einer nach Moskau oder nach Neu-Dehli schreibt, denn hat sein Betrieb zuville Ausfallstunden. Tschuldigense, dis is bloß ’n Kratzer, ick jeh gleich mitten Blutstüller rüber.

Unter uns gesagt, dis is jar kein Argument, da brauchense bloß die Maschinen inne Betriebe unterdessen auf Selbstbedienung laufen lassen, aber so weit isses woll noch nicht mit die Automaten. Wissense, es wird ja immer dienstliche Leistungen geben, wo ebent nicht wie ne Maschine funksjonieren, oder können Sie sich vorstellen, dass eines Tages inne Kaufhalle ein Roboter anne Kasse sitzt und fragt: Hamse nicht zwei Mark siebenunddreißig passend? Und denn noch zehn Minuten ohne heiß zu laufen wartet, bis son olles Muttchen die Fennige aus ihr Portmonneh jekratzt hat. Wenn ick Automaten höre, kommt mir sowieso die Jalle hoch. Fahr ick mitte S-Bahn. Alle Schalter zu. Alle Automaten kaputt. Bis auf einen, und in den muss ick ’n Fuffziger reinstecken statt zwanzig Fennige - oder schwarzfahren, aber dis hab ick mein Leben lang noch nicht jemacht. Aber soll ick nu die Reichsbahn dreißig Fennige schenken? Nee, also was mach ick? Statt drei Stationen fahr ick sechse und wieder zurück bis Zentralviehhof, aber wen seine Zeit kostet die Selbstbedienung? Den Kunden seine.

Und dis grassiert immer mehr um sich. Herr Kafforke kriegt neulich 'n Rappel und will als ältere Jugend auch mal einen flottmachen. Ich sage noch warnend, hütense sich vor die heutige Tanzmusik, Sie brauchen nicht etwa denken, die Musiker hängen die Instrumente samt Klavier irjendwohin, und denn kann jeder, wem der Radau nicht passt, sich selber seinen Walzer oder Tango spielen. Quatsch, sagt er, ick jeh doch in Clärchens Ballhaus, da isses noch richtig mit Jespräche und so. Andern Tags kommt er völlig zerknittert in Laden. Da war nämlich auch schö'n Selbstbedienung, aber bloß für die Weiber, nämlich verkehrter Ball.

Wenn icks mir so richtig überlege, is die Idee doch nicht so verkehrt, mir mit mein Herrensalong an den Zug der Zeit ranzukoppeln. Ick lege alles hin, was zus Haareschneiden jehört. Herr Kafforke setz ich anne Kasse, weil er sowieso ’n bißken langsam is. Die Trinkjelder kommen in eine Extra-Zahlboxe, und ick lass mir Industriefernsehn legen. Denn kann ich in Ruhe inne jute Stube auf Soffa sitzen, ’n Töppken Kaffe trinken und auf mein Manitou beobachten, wie sich der Kunde in Laden lauter Treppen schneidet. Macht zweifuffzig. Und bei Selbstbedienung jenausoville, denn die Post und der Minol machens ja auch nicht billiger!

 

Herrensalon W. Kleinekorte. von C. U. Wiesner: TextAuszug