Droben in dem hoch gelegenen Studio einem früheren Maleratelier stehen die beiden und schauen durch das schräge, breite Fenster in den strahlenden Himmel. Hier oben ist es völlig still, eine Welt für sich. Es ließe sich denken, dass man am Tag bloß für eine halbe Stunde hinuntersteigt, um das Notwendigste zu besorgen, dass man im Übrigen unter dem hohen grünweißen Himmel weiterlebt. Alles ist hier vorhanden: die kleine Küche mit dem Ausguss, dem Gasherd, dem elektrischen Kocher, das große Zimmer, in dem Renée vor ihrem Reißbrett arbeitet und die neuen Winterroben entwirft, ein kleiner Nebenraum mit Seitenfenster und Couch, Tisch und Sessel für Jan, daneben das Bad das Ganze könnte eine Festung sein gegen die finstere Welt da draußen, eine Festung der Stille, der Arbeit, des Glücks.
So war es noch vor zwei Tagen.
Renée fasst Jan um die Schultern. Genug!, sagt sie. Erstens, die Welt ist schon verrückt genug; weshalb müssen auch wir uns verrückt machen lassen? Zweitens, du bist doch ein Emigrant, ein ausgebürgerter Pole, ein Staatenloser oder so etwas. Und drittens, man muss jeden Tag, den man heute lebt, als ein unverdientes Geschenk hinnehmen! Dass ich dich heute noch habe, Jan! Sie hebt sich auf die Zehen, sie drückt ihn an sich, sie presst ihn zur Wand, ihre festen Brüste dringen durch seinen Rock, sie küsst ihn lange und zärtlich. Wir sind stärker als die da draußen!, sagt sie und lächelt.
Du bist ein guter Kerl, Renée!, Er streicht über ihren schönen Kopf.
Ich bin immer und überall deine Freundin, das musst du wissen. Und setz dich, hier ist die Mühle, wir wollen uns einen soliden Kaffee brauen. Sie stöpselt den elektrischen Kocher an, während Jan in der kupfernen kleinen Bombe Kaffee mahlt. Wir sind schon ein richtiger Haushalt!, meint Renée stolz. Wir werden sehr einfach und billig leben; du wirst dein Buch über Spanien schreiben und kleine Artikel, die sofort etwas einbringen. Mein Atelier wird auch während des Krieges nicht zugrunde gehen. Mit den englischen Soldaten werden auch ihre Frauen und Freundinnen kommen; wir werden eine neue, strengere Mode erfinden; ich werde
Ich werde, wir werden nimm dir nichts vor, dann schlägt dir nichts fehl!, zitiert Jan, indem er ununterbrochen die kleine Mühle dreht.
Lass das! Ich mag diesen Satz nicht, du weißt es!, erklärt Renée plötzlich gereizt und verschwindet in der Küche; doch sie kehrt sofort zurück, sie hat Tränen in den Augen. Du musst das verstehen, Jan, sagt sie, in diesen Tagen braucht man etwas Aufmunterung, aber nicht dauernd deine Skepsis, diese kalte Dusche! Wir wollen einander doch helfen! Sie presst seinen Kopf an ihre Brust. Es kann schwer genug werden, Jan, wer weiß?
Soll ich in Paris bleiben?, fragt er nachdenklich.
Unbedingt! Wo willst du denn hin? Zudem, fügt sie leise hinzu, ich kann jetzt schwer ohne dich sein.
Er schaut von der Seite auf ihr festes braunes Gesicht, das sonst an eine der altägyptischen Basaltbüsten erinnert; jetzt ist es weich und zärtlich, ihre langen schmalen Augen sind halb geschlossen, ihr Mund ist leicht geöffnet, ihre Brüste scheinen ihm mit einem Male stärker und runder. Ein Gedanke schießt in ihm hoch: Wenn sie schwanger ist? Wenn sie ein Kind von ihm bekommt? Der Gedanke lässt ihn nicht mehr los. Diese Nacht sind im Osten und Westen die Geschütze schon in Stellung, werden die Flugzeuge ihre Bomben werfen; wieder wird Europa jahrelang von Granaten, vom Hunger und vom Hass der Völker durchwühlt werden. Menschen, die sich lieben, werden auseinandergeweht wie Staub vor dem Winde. Und in dieser Hölle von Blut und Feuer soll hier in Paris ein Kind geboren werden?
Woran denkst du, Jan?, fragt Renée.
An die Kameraden, die noch von Spanien her in Frankreich in den Lagern sind, erwidert er.