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Stimmen einer zerrissenen Zeit. Gedichte von Friedrich Wolf
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
10.12.2024
ISBN:
978-3-68912-399-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 402 Seiten
Kategorien:
Lyrik/Deutsch, Lyrik/Allgemein
Lyrik, Poesie, Moderne und zeitgenössische Lyrik (ab 1900), Einzelne Dichter
Antifaschismus, Arbeiterbewegung, Arbeiterdichtung, Dramatik, Engagement, Ethel und Julius Rosenberg, Exilgedichte, Expressionismus, Friedenskampf, Friedrich Wolf, Gerechtigkeit, Geschichtliche Reflexion, Hoffnung, Kampfgeist, Krieg und Frieden, Liebe und Widerstand, Liebesgedichte, Lilo Herrmann, Lyrik, Menschlichkeit, Natur und Umwelt, Naturlyrik, Poesie, Politische Lyrik, Proletarische Kultur, Revolution, Sehnsucht, Solidarität, Sozialkritik, Sozialreform, Thomas Müntzer, Widerstand, Zeitgeist, Zeitzeugnisse, Zivilcourage
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AUS DER SCHWEIZ

(1904)

Wie funkelt klar und helle

Des Sternenhimmels Pracht!

Wie flüstert hier die Welle

Des Sees zur Nacht …

 

Aus tiefem Dunkel dringet

Ein weiches Sehnsuchtslied.

Ein Fremder einer Fremden singet

Am See, im Ried.

ARDENNEN

(1909)

1

Mit dampfenden Flanken stehn die Berge da,

Rauch quillt aus ihren offnen Munden,

Um Felsenfirste streicht der Häher nach dem Horst.

 

Die Straße, die ich wandre, greift

Mit fahlen Nebelhänden nach mir aus,

Ein Baum reicht mich dem andern weiter.

 

In tausend gierigen Poren saugt die Erde

Des Himmels Atem zu sich nieder,

Der wirft ein golden Blatt im Taumel unter

meinen Fuß –

Um Felsenwände klagt des Hähers Ruf.

2

Schon rückt das Dunkel gegen mich heran

Und lauert mir an allen Pfaden auf,

Die Sträucher stehen, Mönche im Gebet erstarrt,

Gleich einem Riesen liegt das Land.

Und da

Das Flimmern eines Auges aus gesenkter Wimper

Bricht die Nebel.

Licht?

Nein, dieser Schatten ist ein Riesenhaupt …

Gelobt sei Jesus Christ –

Ein Haus!

In schweren Garben stürzt das Licht aus einer Lampe;

Und eine Frau, im goldnen Netz umsponnen, steht

Und schneidet Brot.

Rings die Familie, zinnerne Becher, ein kleiner Junge

Hält seine Hand auf zu der Mutter und dem Brot,

Nur eine Katze noch zum Knäul gerollt vor der beschlagnen Scheibe.

Da trägt mein Schritt mich aus dem Schattenriss der Frau.

In breiten Garben fällt das Licht jetzt auf die Straße –

Und wieder Nacht.

Ein letztes goldenes Korn nur

Rinnt in dem Spiegel der Gosse mir nach.

3

Bergheide und ich mitten darin. Ganz darin versunken in die krausen Schöpfe der Erika, und um mich nur das Schwarz-grün ihrer Haare. Die Sonne fällt durch die hellen Blüten wie ein Geschmeide. Sonst kaum welche Störung dieser schweigenden Andacht. Vielleicht das sterbende Braunrot der Heidelbeeren, das weiche Blond der Wiesenhalme, aber sonst auch nichts. Die Sonne steht auf Mittag. Eine wohltuende Schwermut liegt über dem Land. Als habe der Himmel seine Hand beruhigend auf die Berge gelegt.

 

Und doch greift mein Auge nach der Sonne und schließt sich.

„Immer noch Kind, das seine Hand streckt nach dem blinkenden Ball?“, lächelt meine Seele.

„Immer noch!“

Und ein Gewölbe mit tausend Wänden schallt die Antwort zurück: „Gibt es denn einen, der nicht –“

Wenn ich ihn wüsste, ich wollte mit ihm steigen auf diese Bergheide, ihm das Land rings zeigen, das in breiten Würfen gegossen liegt, wie von der Hand eines glücklichen Sämanns, das starke Land des „Hohen Venn“ bis zu den Ardennerbergen drüben im Belgierland.

Und die Sonne, die ihr Gold um jede Scholle legt.

NICHT BREMSEN!

(1909)

 

Weißt du noch, wie wir talab gefahren,

Den Wind und Schnee vom Saus in den Haaren,

Die Dauben sich an den Kurven bogen,

Die Flocken flogen,

Die Herzen flogen

Hoch – höher – über der Berge Joch,

Weißt du das noch?

 

„Nicht bremsen!“, das kam wie aus einem Munde,

Aus einem Herzens- und Wesensgrunde.

Jetzt da du andre Berge erstiegen,

Nicht zielwärts kriechen,

Nein zielwärts fliegen!

Wie damals nicht bremsen! Lasst los am Start,

Von mir ein Heil und volle Fahrt!

SCHERZO

Gleich einem bösen Witze hängt der Mond an der Kirchturmspitze, so kreidebleich und groß, und macht mir meine beiden jungen unerfahrenen Pappeln namenlos bang.

Der Strom drunter lang ist diesen schlechten Witz vom Mond schon gewohnt. Auch die grauen Silhouetten der steinalten Bergesketten rauchen nur amüsiert ihre Nebelpfeifen und beugen sich dem Land zum Schlaf.

In graziösem Lichtstreifen zeichnet sich die Brücke zum andern Hafenufer.

Fonografenwalzer, die Schnalzer und Rufer der Burschen zerbrechen von drüben die breite Nebelschicht.

Dann noch eines Ankers Fallen – und über allen Schatten wie ein ernstes sinnendes Angesicht der tiefblaue Sternhimmel.

RHEIN, RHEIN!

(1909)

 

Rhein, Rhein! Das sind Deine Wellen,

Das ist des Niederwalds Thron,

Und das sind Deiner schnellen

Möwen Flüge schon,

 

Dies Deine wallenden Nebel

Und auch das alte Signal,

Wenn die Anker knarren im Hebel

Und das Schiff abstößt zu Tal,

 

Und dies der Anschlag der Zungen

Und der feurigen Reden Lauf –

Rhein, Rhein nimm Deinen Jungen

In Gnaden wieder auf!

ADVENT AM RHEIN

 

Wasser bleigrau und schwarz der Schiefer,

Weinlaub welkgrün am Felsensprung,

Und die Weihnacht rückt immer tiefer

In die sinkende Dämmerung.

 

Schiffe lassen die Ruder rasten,

Flaggen hängen müde am Knauf,

Hoch von allen Rahen und Masten

Leuchten Weihnachtskerzen auf.

NIEDERRHEIN

Das Land ein Federstrich

Und nur des Himmels Ragen,

Die Luft vom Wind gefegt

Und nur der Möwen Flügelschlagen.

Brause, Strom!

 

Seid ja des Meeres alle.

Spürt ihr den Meister

Im salzigen Sturmhauch nicht?

Sprühn seine Werbegeister

Nicht auch dir?

 

Ja – ja, ich komme, Meer!

Zerbrich die Küste,

Die mich noch hält!

Nur deine stärksten Wellen rüste mir,

Meer!

WINDSTÖßE

(1910)

 

Das Kupfer meiner Lampe flammt empor:

Petschaft und Feder, glanzmetallne Kanten,

Ein Glas-Kristall um dunkler Nelken Blut,

Windstoß!

Ein Falter lichtgetroffen fällt auf mein Papier,

Windstoß!

Da stürzt die Flamme jäh in ihren Kelch

Zurück in Nacht.

Und alle Dinge fallen von mir ab

Und legen sich in dunklen Mänteln nieder,

Der Regen trommelt auf den Fließen

Wie auf gedämpften Fell ein Totenlied,

Windstoß!

Was stöhnt ihr alten Bäume

Und lasst die Früchte durch die Äste brechen,

dass ich erschreckt zusammenfahre? Windstoß und

Totenstille …

Kein Hund heult mehr in dieser Nacht

Und keine Kette klirrt, warum?

Warum nur Regenfallen, Früchtefallen und Warten

Warten bis der Wind die Zweige knickt …

 

ALTE PAPPELALLEE AM RHEIN

(1911)

 

Hoch trage deinen Blick durch diese ragenden Kolonnen,

Du spürst den Wuchs im eigenen Genick,

Den Wuchs der steilen Pappeln,

Und die Sonnenfeuer

Durch Wolken lodern.

 

Und spürst den Takt aus dieser schlanken Zeile

Des Weges jach durch deine Glieder schlagen

Und greifst den Takt,

Nimmst Schritt, den Kopf ins Steile

Emporgeworfen …

 

Am hohen Himmel jagen noch

Die weißen Möwen.

 

GALOPP

(1911)

 

Schmeiß ein Wort über Bord, das

   von jeher als Hort

Allem Jammergelappe gegolten! –

Was da schal und banal, heißet sentimental

Bei den Halben, die immer nur wollten!! -–

 

Glaube nicht, was man spricht, dass ein

   schmelzend Gedicht

Deine Traute versetzt in den Himmel, –

– Ist sie's wert, nimm ein Schwert,

   setz sie vorn auf dein Pferd,

Dann Galopp übers Tantengewimmel!

 

Lass sie schrein, – sie ist dein,

   es ist alles nur Schein!

Drück dem Gaul den Sporn an die Rippe;

 

Ob sie grollt, ob sie schmollt, –

   ach, wie bald wird sie hold

Und gefügig, die zornige Lippe!

Ob die Welt nicht umbellt, ob's den

   Muckern gefällt

Oder nicht – reit fort zu den Sternen!

Nur den Blick nicht zurück, denn es

   rollet das Glück

Immer vorwärts in fliehende Fernen! –

 

Stimmen einer zerrissenen Zeit. Gedichte von Friedrich Wolf: TextAuszug