Eines Mittags konnte die Mutter Mammitsch ihr Bett nicht mehr verlassen. Ihr Atem ging hohl, sie rang nach Luft, die Stimme versagte. Als der Arzt erschien, war der erste Anfall bereits beendet; aber die Alte blieb seither an ihr Bett gefesselt. Die Kinder und Kindeskinder kamen und legten der Oberin verdoppelte Sorge mit verdoppelten Versprechungen ans Herz. Die Speisen wurden sorgfältig ausgewählt, mit Nähressenzen versetzt; der Sauerstoffapparat blieb in ihrem Zimmer. Bei Nacht hüteten Vollwachen ihren Schlaf. So konnte der Mutter Mammitsch eigentlich nichts fehlen; und dennoch nahm sie täglich ab lag ein dumpfer Groll, ein dumpfes Verlangen in ihren Augen. Selbst die erbaulichen Gespräche der Frau Oberin konnten ihren Unmut, ja ihre Unruhe nicht besiegen. Etwas fehlte ihr. Etwas regte sie auf, wenn sie das Lachen und die Lieder der genesenden jungen Leute aus dem Garten hörte. Ihre Lebensgewohnheit ist unterbrochen; es fehlt ihr an gleicher Geselligkeit!, schloss die Oberin.
War es Zufall oder war es ein Sinn, dass um diese Zeit eine alte Waldheuerin, welche ebenfalls Mammitsch hieß, wegen schlechter Beine sich in das Krankenhaus aufnehmen ließ! Die alte Christel Mammitsch litt schon seit Jahren an Krampfadern; diesen Winter aber wollten sie ihre Beine nicht mehr tragen.
Nur nicht hinlegen, sagte sie; denn wenn ich liege, so kann ich nicht mehr aufstehen.
Sie bot einen zu spaßigen Anblick, wie sie mit ihrem Stock, der früher ein Regenschirm war und noch vereinzelte Felgen aufwies, über die blank geputzten Fliesen heranklapperte. Sie hatte noch, trotz ihres unbestimmbaren hohen Alters, blondes Haar, ein rosenrotes Kindergesicht mit glashellen blauen Augen, dagegen den Rücken einer Greisin, ganz verhutzelte kleine Händchen, ein Gewand, welches an Johannes den Täufer erinnerte, und einen trippelnden unsicheren Gang. Nur nicht hinlegen, lächelte sie mit bangen Augen die Oberin an, und alle Umstehenden lachten.
Es war gegeben: Man beschloss, die alte Christel Mammitsch zur Erheiterung und Unterhaltung der sterbenden Cornelia Mammitsch in das Extrazimmer zu legen. Es wurde also mit Erlaubnis der Frau Cornelia, welche kaum die Kraft zum Ja- oder Neinsagen zu haben schien, der gute lederne Lehnsessel für die Christel Mammitsch, die nur nicht liegen wollte, hergerichtet. Dann saß auf einmal die Christel strahlend, lächelnd, mit ihren rosenroten Kinderwangen in dem schönen Gestühl und verhielt sich, wohlbelehrt und lautlos, bis ihre Partnerin gegenüber aus ihrem Mittagsschlaf erwache. Inzwischen wurde das bisher unbelegte Bett mit dem Linnen und Deckzeug der dritten Klasse versehen. An das Kopfende kam die schwarze Stange mit dem Galgen, und daran hing die schwarze Tafel mit der Signatur in weißer Kreide: C. Mammitsch. Das Schild konnte wie ein Spiegelbild des gegenüberliegenden Bettes erscheinen; denn auch an diesem hing an dem Galgen die schwarze Tafel, auf der mit weißer Kreide stand: C. Mammitsch.
Später, als die Frau Cornelia erwachte, schien auch sie über den seltsamen Gast einigermaßen erstaunt zu sein. Doch versagte sie jener ihr Zimmer nicht, sondern gewann vielmehr einiges Interesse an ihrem Spiegelbild. Sie nahm der Waldheuerin gegenüber eine belehrende Rolle ein, sprach oft vom Tode und weidete sich, wenn sie dem einfachen Weiblein von den grausen Schrecken des Jüngsten Gerichtes mit beißender Stimme reden konnte. Oft musste die Christel bis spät in die Nacht hinein mit kalten und heißen Schauern und klappernden Zähnen diesen gespenstischen Fantasien von Hölle und Fegefeuer lauschen, während die schon sterbende Cornelia sich an dem schmerzhaften Entsetzen ihrer Vetterin zu verjüngen schien.