DUBOIS: Chef eines Eisenbahndepots
FRANCOIS: sein Sohn, Ingenieur, Sappeuroffizier d. R.
HENRI: sein jüngerer Sohn, Beamter im Depot
GENEVIÈVE: Francois' Frau
CORINNE DESTREY: Genevièves Freundin
TANT' ÉMELIE: Haushälterin bei Dubois
PIERRE: ihr Vetter, Eisenbahnarbeiter
RAUCH: Hauptmann der Okkupationsarmee
KARL: sein Bursche
KLUNKE: Feldwebel
Ort: Dubois' Haus in einer Stadt Mittelfrankreichs
Zeit: 19401942
Wohnzimmer in Dubois Haus. Türen rechts und links. Im Hintergrund ein breites, offenstehendes Fenster, durch das der blaue, strahlende Junihimmel scheint. Um das Fenster Weinranken, die über das Spalier um den Fensterrahmen fast bis ins Zimmer hängen. Lärm von Motorrad- und Autokolonnen; immer wieder ferne Schüsse.
VATER DUBOIS zieht GENEVIÈVE, die ein leichtes Sommerkleid trägt, vom Fenster weg.
DUBOIS: Hier, Geneviève, hilft nichts mehr.
GENEVIÈVE (geht schnell wieder zum Fenster): Sie sollen halten, halten, nicht mehr zurückgehen! Soldaten, Franzosen! Wenn Francois unter ihnen wäre (sie will rechts hinaus)
DUBOIS (hält sie): Sei vernünftig, Geneviève! Wenn Francois unter den Kolonnen ist, so wird er dich hier oben suchen, nur hier.
CORINNE DESTREY stürmt herein, in elegantem Reisekostüm, hellem Staubmantel, Suitecase
CORINNE: Sie sind schon am Fluss, hört ihr nicht, wie sie schießen ihre Tanks, ihre Motorradschützen, die ganze deutsche Avantgarde o Éve! (fällt Geneviève um den Hals)
GENEVIÈVE: Ruhig, Corinne, ruhig!
CORINNE: Ruhig? Ich gebe mich nicht gefangen! Und ihr?
DUBOIS: Wir bleiben. Sie wissen, Madame, unsre Regierung hat vor Tagen um einen Waffenstillstand bei dem Gegner nachgesucht. Die Antwort kann jede Stunde eintreffen.
CORINNE: Und in einer halben Stunde sind die Deutschen hier! (will hinaus)
Von links schnell TANT' ÉMELIE, eine mächtige, korpulente, energiegeladene Person, eine Kanone von einer Frau, sie trägt im Haar das Häubchen der alten Haushälterin, hat eine weiße Schürze umgebunden und hält in den Händen einen Karabiner
TANT' ÉMELIE: Zum Speien ist das Mannsvolk, ein feiges Pack, Hunde, Hyänen, zu nichts zu gebrauchen, nicht mal zum Schießen!
DUBOIS: Was soll der Karabiner, Émelie?
TANT' ÉMELIE: Lag draußen auf der Treppe! Sollen ihn die Deutschen nehmen? Keine Angst, Monsieur Dubois, ich weiß mit dem Ding umzugehn!
CORINNE: Mein Gott, tun Sie das Gewehr weg, Sie Wahnsinnige!
TANT' ÉMELIE (am Fenster): Hallo, Jungens, hierher, hier hinauf! Alles was noch Waffen hat, hierher!
DUBOIS: Weg vom Fenster, Émelie! (zieht sie weg)
CORINNE: Komm mit mir, Eve, ich kann nicht allein fahren, o komm doch, Éve! Die Deutschen werden euch wie die Hasen abknallen! Schnell, Éve, schnell mein Gott, ihr seid ja alle besessen! (nach rechts ab)
TANT' ÉMELIE: Feige wie ein Mannsbild!
DUBOIS: Émelie, ich habe um deines guten Herzens willen dreißig Jahre lang deine Launen ertragen; aber jetzt ist keine Zeit dafür. Vielleicht haben wir noch heute den Waffenstillstand, und das ist so gut wie der Friede! Also bring den Karabiner dorthin, wo er lag!
TANT ÉMELIE: Um keinen Preis der Welt, Monsieur Dubois! Sie können verlangen, dass ich Rattenschwänze esse; aber wenn die drüben schießen, schieße ich wieder, und dies Haus werde ich verteidigen, als ob es Paris selber wäre!
Von rechts kommt eiligst ein FRANZÖSISCHER SAPPEUROFFIZIER in Stahlhelm, völlig verstaubt, die linke Hand im verschmutzten, durchbluteten Verband
GENEVIÈVE (springt auf ihn zu): Francois! Liebster (umarmt ihn)
FRANCOIS (sie streichelnd): Geneviève, ma chérie Vater Tant' Émelie ach, alles steht noch auf seinem Platz (schaut sich um, stampft auf den Boden) Das Haus steht noch (zum Fenster) Nom de dieu! (ruft hinunter) Jungens, ich komme sofort! Da, an der Mauer hebt die Schützenlöcher aus! Die Mitrailleuse an die Ecke zur Straße! Gebt ihnen Pfeffer, lasst keinen über die Brücke!
DUBOIS (vor ihm): Francois, du weißt, der Waffenstillstand
FRANCOIS: Ist noch nicht da; und wenn er kommt, so ist er Verrat! Wir haben noch Waffen, Vater, wir haben noch Männer!
TANT ÉMELIE (mit Karabiner): Verlass dich nicht auf die Männer, Francois! Verfüge über Tant Émelie! Wo soll ich hin, Goldjunge?
FRANCOIS (fasst sie, Geneviève, Dubois): Ja, ihr alle werdet gebraucht! Es wird kein Waffenstillstand sein mit den Deutschen, glaubt mir seht, drüben stehn sie wie die gierigen Wölfe, aber dazwischen ist der Fluss, und sie wissen, dass hier unsre Mitrailleusen sind, und dass unsre Brigade gekämpft hat und kämpfen wird! Vater, unsre Jungens sind keine Feiglinge, sie sind Helden, wenn sie bloß den rechten Befehl bekommen! Wir werden die Stadt verteidigen, Vater! (will hinaus)
DUBOIS (vertritt ihm den Weg): Keine nutzlosen Opfer mehr
FRANCOIS: Lass mich hinaus, Vater!
DUBOIS: In diesem Haus, Francois, wird keine Mitrailleuse mehr auf gestellt!
FRANCOIS: In diesem Haus, das die Brücke verteidigt und die Stadt und den Bahnhof und das Lokomotivendepot, für das wir beide du als Chef und ich als früherer Ingenieur des Depots verantwortlich sind! (leidenschaftlich) Vater, in deinem Depot, am Polygon, stehen jetzt Lokomotiven über Lokomotiven! Hast du Befehl gegeben, sie für Frankreich zu retten, sie abzufahren nach dem Süden? Warte nicht auf Befehle von oben, Vater, ich beschwöre dich! Rette unsre Lokomotiven und Wagen! Warte nicht! Ich werde die Deutschen solange hier festnageln (will nach rechts)
GENEVIÈVE (bei ihm): Was ist mit deiner Hand, Francois?
FRANCOIS: Nichts, Liebe, nichts
GENEVIÈVE: Lass mich mit dir, Francois!
FRANCOIS: Bring uns nach unten zu trinken, viel und schnell!
TANT' ÉMELIE: Sofort, mein Junge! Eimerweis sollt ihr haben, Wein, Kaffee, vorwärts, Madame! (mit Geneviève nach links; wieder zurück, umarmt und küsst ihn) Ach, mein Herzensjunge, mein kleiner Dreckspatz, du wirst sie in Stücke schlagen, mein Löwe. Ich komme gleich, (mit Karabiner) auch Tant' Émelies Kugeln werden ihnen in die Rippen beißen! (will ab)
DUBOIS: Still! Still! Die Glocken
Alle lauschen. Draußen beginnen die Glocken der Kirchen zu läuten, immer mächtiger, die ganze Luft ist voll von dem Klang; alle sehen einander an
GENEVIÈVE: Die Glocken läuten, als sei es Neujahr
DUBOIS: Der Waffenstillstand, der Friede
FRANCOIS: Unmöglich, ganz unmöglich! (rennt rechts hinaus)
TANT' ÉMELIE: Francois, mein Junge (ihm nach)
GENEVIÈVE: Der Friede! (will hinaus)
DUBOIS (hält sie): Still, Geneviève! (am Fenster) Ja, sie rufen dort unten den Soldaten zu, dass sie die Mitrailleuse von der Straßenecke wegnehmen Waffenstillstand, heda, mein Freund! Wahrhaftig, das Schießen hat auch drüben aufgehört (umarmt und küsst Geneviève) endlich, endlich, Geneviève!
GENEVIÈVE: Ach, Vater, Frieden man kann wieder atmen, man wird wieder leben können! (presst ihren Kopf an seine Brust)
FRANCOIS von rechts
FRANCOIS (heftig): Kapitulation!
DUBOIS (mit Nachdruck): Du weißt, Francois, der Marschall Petain, der Sieger von Verdun, hat den Waffenstillstand akzeptiert. /
FRANCOIS: Wenn das stimmt, so hat er Verdun widerrufen!
DUBOIS: Schweig, Francois, ich verbiete dir weiterzureden!
FRANCOIS: Frankreich befiehlt mir, weiterzukämpfen!
DUBOIS: Welche Anmaßung, Francois! Bist du allein Frankreich? Willst du behaupten, ich liebe Frankreich nicht?
FRANCOIS: Und du gibst das Land dem Räuber preis?
GENEVIÈVE: Francois, höre auf mich, du siehst nur das eine; aber Frankreich besteht nicht bloß aus Soldaten; da sind auch noch Frauen, die Soldatenfrauen, die kein Heldentum darin sehen, wenn ihre Männer von einer Übermacht sinnlos getötet werden!
FRANCOIS: Sinnlos, sinnlos? Habt ihr meine Jungens an der Aisne und Oise gegen die Übermacht der Deutschen kämpfen sehen? War das sinnlos? Was wisst ihr, was sinnlos ist? Ein unausgekämpfter Kampf wird ewig weitergehen! Und wussten die todmüden, elend bewaffneten Bürgerhaufen vor Valmy, ob sie gegen die gewaltige Übermacht standhalten könnten; sie wussten, dass sie standhalten mussten, nur das wussten sie, und das genügte, um Frankreich zu retten!
DUBOIS: Damals!
FRANCOIS: Und heute!
DUBOIS: Heute steht der Deutsche schon in Paris und an der Loire; heute gilt es, von Frankreich zu retten, was noch zu retten ist.