Milch bleibt Milch und Mensch bleibt Mensch
Verladerampe einer ukrainischen Bahnstation zwischen Odessa und Nikolajew. Frühlingsabend im April 1918. An der Böschung des Bahndammes liegen drei Männer in abgetragenen, feldgrauen Uniformen: die Heimkehrer Buck, Lutz und der Professor. Lutz und Buck tragen alte deutsche Militärkappen, der Professor, ein fünfzigjähriger Vollbart, eine breitrandige Russenmütze und eine zerschlissene Sanitätsbinde um den Arm. Über einer Feuerstelle aus ein paar Ziegelsteinen hängt ein Kochgeschirr. Der Professor packt aus einem alten Sanitätstornister Brotrinden, Grütze, Tee, teilt alles in drei Teile. Buck geht zur Verladerampe, brummt mit, während Lutz und der Professor bereits aus voller Kehle singen.
LUTZ und PROFESSOR:
Komm vom Gebirge gestiegen,
Wo die Lawine rollt,
Seh zu den Füßen ich liegen
Schlösser im Abendgold.
Schöner aber und besser
Denn alles Glück, das ich fand,
Denn alle Berge und Schlösser
Bist du, mein Hei-mat-la-and
PROFESSOR: Genug, Jungens, wo rollen hier Lawinen, da wir jetzt schon drei Wochen durch den Staub der ukrainischen Steppe ziehn, die flacher ist als mein Handteller exakter, schärfer, peinlicher wo liegen hier Schlösser?
LUTZ: Für mich liegen hier mit großartiger Handbewegung Berge und Schlösser, soviel du willst, weil es nämlich heimwärts geht. Singt.
Schöner aber und besser
Denn alles Glück, das ich fand,
Denn alle Berge und Schlösser
Bist du, mein Heimatland, bist du, mein Hei-mat-land
Er zieht eine kleine Kiste unter sich weg, aus deren einem Loch der Kopf einer Gans schaut, aus zwei Seitenöffnungen ihre Flügel; er spricht zu ihr.
Hörst du, Elli, heim geht es, heim!
PROFESSOR: Solltet lieber mal nach Speck und Salz gehn, ihr Nachtigallen.
LUTZ zur Gans: Nachtigallen nennt uns der Karbolfähnrich, dabei bist du weiß und mächtig wie ein Schwan.
PROFESSOR befühlt sie: Und fett wie ein Spanferkel.
LUTZ: Fort mit deinen Metzgerhänden! Elli streichelnd. Hat sie nicht wunderbare Augen, ganz wie meine Elli in Berlin!
BUCK von der Rampe her: Kameraden!
LUTZ hinzu: Was ist?
BUCK an einem Waggon, liest: Eisenbahn-ober-direktion Karlsruhe! Strahlend, als erzähle er eine wunderbare Geschichte. Ein Waggon, der nach Deutschland fährt, nach Karlsruhe
PROFESSOR nahe heran, fast feierlich: Unbestreitbar: Eisen-bahn-ober-direktion Karlsruhe.
BUCK glücklich, wie im Traum: und dann gehts noch bei Worms über die große Brücke, über den Rhein, grün und kristallklar ist der wie Gebirgswasser und breit wie ein ganzer See, und dann noch eine halbe Stunde, dann kommt Landau
PROFESSOR: Wo deine Mutter und dein kleines Mädel
BUCK: Schnell, Professor, du weißt doch etwas von Entfernungen?
PROFESSOR nimmt Papier und Bleistiftstummel aus dem Mützenrand: Wie weit ist es? Nun OdessaBukarestWienMünchen, sagen wir 2000 Kilometer, und dann MünchenKarlsruhe nochmals 400 Kilometer 2 500 Kilometer in dreieinhalb Tagen.
BUCK leise: In vier Tagen daheim? Streichelt den Waggon, will sich schnell unten auf die Wagenachse legen.
PROFESSOR zieht ihn wieder hervor: Mach keinen Blödsinn, Peter! Wo ein Waggon steht, da steht auch Militär
Stimmen, Wagenräder; mit Säcken kommen einige Bauern: der alte Boländer, Heiner, Philipp und Erna.
BOLÄNDER absetzend: Geh einer zum Feldwebel.
LUTZ: Sakra, die Muschiks sprechen ja deutsch!
PROFESSOR zu Boländer: Grüß Gott, Vater, woher des Wegs?
BOLÄNDER misstrauisch: Von da unten.
PROFESSOR: Ist das eine Antwort, lieber Freund?
BOLÄNDER: Woher kommt denn ihr?
LUTZ mit Handbewegung: Von dahinten.
PROFESSOR schnell: Aus Krassnojarsk, dem Gefangenenlager in Sibirien, sind auf der Heimkehr nach Deutschland.
LUTZ zu Boländer: Vater, mir dreht sich der Magen um vor Kohldampf, habt ihr da im Sack nicht was Nahrhaftes für mich und Elli?
BOLÄNDER: Ist alles abgewogen auf Sack und Kilo.
PROFESSOR stolz: Deutsche Wirtschaft.
PHILIPP: Ja, die deutschen Soldaten können rechnen; bei uns in Landau
BUCK aufhorchend: In Landau?
PHILIPP: Nun ja, in Landau, in unserm Dorf da unten.
BUCK: In eurem Dorf da unten Erregt, packt ihn. Mensch, ich bin doch aus Landau, aus Landau in Deutschland!
ERNA: Aus Landau in Deutschland?
PROFESSOR: Aus dem eure Vorväter kamen. Schulmeisternd. Und wann?
BOLÄNDER: Vor über hundert Jahren, sagt man.
PROFESSOR: Richtig. Bedeutsam. Von der großen Katharina exakter, schärfer, peinlicher seit 1763. Die war ja eine deutsche Prinzessin, die wusste genau, weshalb sie ihre deutschen Brüder als Kolonisten hierher in die Steppe holte.
ERNA mit Buck beiseite: Ist bei euch auch Steppe, Soldat?
BUCK lachend: Steppe? Nein. Aber Städte mit fünfstöckigen Häusern und Trams und Fabriken Kann sich nicht genugtun. Und Wiesen mit fettem Klee und Schlüsselblumen und Berge mit Wein und Hopfen, so weit du sehen kannst, und dann der Rhein, blaugrün und breit.
Bahnwache, kommt heran: Gefreiter Kupitz und Münzner; Gewehr, Stahlhelm, umgeschnallt.
KUPITZ zu den Bauern: Abladen! Gegen Lutz: Und du Wilddieb?
LUTZ: Nichts Wilddieb. Elli schützend. In Ehren erworben und großgezogen.
Feldwebel Hufschlag mit dickem Notizbuch vorn im Rockschlitz, links von ihm Unteroffizier Wrede. Die Bauern haben sich vor dem Mächtigen schon halbmilitärisch aufgebaut, ebenso die Heimkehrer.
KUPITZ meldend: Drei Fuhrwerke aus den deutschen Dörfern. Nimmt von Boländer die Lieferungsscheine, gibt sie dem Feldwebel.
FELDWEBEL liest: Hundertsechzig Pud Getreide, wo zweihundert zu liefern? Nun?
BOLÄNDER: Euer Wohlgeboren
FELDWEBEL: Wohlgeboren ist hier ein Affendreck! Ich bin der Feldwebel Hufschlag, verstanden?
BOLÄNDER: Herr Feldwebel, es ist im Dorf nichts mehr aufzutreiben.
FELDWEBEL polternd: Weil die Bauern sich drauflegen mit ihrem dicken Hintern. Wir werden ja sehen! Zu den Heimkehrern. Was sind denn das für gefleckte Hyänen?
LUTZ stramm, in seinen Lumpen: Kriegsfreiwilliger Lutz, Reserve-Infanterieregiment 103, aus dem Gefangenenlager
PROFESSOR vorstürzend zum Unteroffizier: Otto! Junge! Du hier?
WREDE ihn erkennend: PROFESSOR?
FELDWEBEL: Hier ist wohl alles aus dem Häuschen?
PROFESSOR außer sich vor Freude: Das ist doch der Otto, mein Discipulus in Deutsch und Geschichte, mein Sorgenkind, ein Lausebengel na, Otto, wann waren die Karolinger und die salischen Kaiser? Nun exakter, schärfer, peinlicher alles vergessen? Packt ihn am Ohr.
WREDE haut ihm auf die Finger: Wohl wahnsinnig, Mann! Nehmen Sie die Hacken zusammen, wenn ich mit Ihnen rede!
PROFESSOR wie versteinert, hilflos: Otto, so sprichst du mit deinem alten Professor, der zwei Jahre in Sibirien lag
FELDWEBEL vorwitternd: Und der mir jetzt vielleicht einmal sein Soldbuch zeigt und seine Erkennungsmarke, der Herr Sibirienprofessor! Hat dessen Jacke geöffnet, darunter die nackte Brust. Also, ohne Erkennungsmarke schleicht das hier um die deutsche Armee, wie die Buschräuber, wie
LUTZ: Wir wollen heim, Herr Feldwebel!
BUCK erregt: Nach Deutschland, ich habe ne Mutter, im Badischen, am Rhein, seit 1915 habe ich sie nicht gesehn, und auch mein fünfjähriges Mädel ist jetzt wohl schon acht meine Frau ist tot, aber mein Mädel, und da steht dieser Eisenbahnwaggon
LUTZ: Dieser Waggon Nummer 71482 nach Karlsruhe
FELDWEBEL auf ihn zu: Dieser Waggon Nummer 71482 nach Karlsruhe Plötzlich. Dein Notizbuch!
LUTZ: Ich habe keins, Herr Feldwebel.
FELDWEBEL nimmt seine Mütze, reißt das Mützenfutter auf: Deine Aufzeichnungen, du Hyäne! Da er nichts findet, zum Unteroffizier: Allen die Köpfe rasieren!
WREDE: Befehl.
FELDWEBEL: Meint ihr, wir wissen nicht, wie es der griechische König damals machte? Zwinkernd. Was, Unteroffizier?
PROFESSOR mit Blick auf Unteroffizier: Hat er Ihnen von einem griechischen König erzählt!? Das sieht ihm ähnlich! Empört. Der Perserkönig Darius schrieb seinem Sklaven Nikandros einen Geheimbrief auf den rasierten Schädel, ließ ihm die Haare wachsen und sandte ihn
FELDWEBEL: an seine Agenten. Wie gut du das weißt, mein Täubchen, du Russenmoses mit der Russenmütze! Schlägt ihm die Mütze vom Kopf.
PROFESSOR bebend: Erlauben Sie, Herr Feldwebel, ich bin für mein Vaterland mit siebenundvierzig Jahren als Freiwilliger ausgerückt.
FELDWEBEL: Ein Bolschewik bist du, verstanden? Rote Hetzer sind alle, die aus den Lagern kommen, an keinen Gott glauben und mit zehn Weibern unter einer Decke schlafen. Hände vorzeigen! Während die Heimkehrer ihre Hände vorstrecken. Pfui Teufel, ihr Schmierlapps, Pfoten wie die Zigeuner und wie eure Gebeine in der Montur hängen, ihr sibirischen Waldaffen! Man muss euch erst wieder zu Menschen machen! Verstanden, Unteroffizier?
WREDE schmunzelnd: Befehl, Herr FELDWEBEL!
FELDWEBEL zu den Bauern: Vorwärts, zum Hauptmann!
Mit den Bauern ab; nur Erna bleibt bei den Getreidesäcken.
WREDE freundlich: Also, Kameraden, gestattet, wenn wir jetzt uns wieder einmal als gebildete Lebewesen unterhalten. Der Größe nach angetreten, marsch, marsch!
BUCK enttäuscht: Fängts damit wieder an?
WREDE: Damit fängt alles an, seit Adam und Eva. Zu Kupitz und Münzner. Laden sichern!
Die beiden schauen einen Augenblick den Unteroffizier an, werfen dann die Gewehrkammern auf und legen Patronenstreifen ein.
WREDE ohne zu schreien: Stillgestanden! Einzeln im langsamen Schritt an mir vorbei Abstand halten der Vollbart nochmals zurück, aber etwas plötzlich, wenn ich bitten darf! Professor muss zurück, kommt wieder vorbei an dem Unteroffizier, der auf sein Seitengewehr gestützt wie ein General auf einem Feldherrnhügel dasteht. Das Köpfchen höher Beine freier weg mal herkommen der Freiwillige! Professor kommt heran. Sagen Sie mal, Freiwilliger, Ihnen gefällt wohl das Kriegsspielen nicht mehr? Professor sieht ihn an. Sollt euch schämen vor dem deutschen Mädel da! Überall müsst ihr auffallen durch deutsche Disziplin, deutsche Sauberkeit, deutsche Kultur! Und grade hier in der Ukraine, die seit Urzeiten von den Ostgoten und Deutschen besiedelt ward
PROFESSOR zusammenzuckend: Falsch! Lange vor den Ostgoten wohnten die Griechen und Skythen in der Ukraine; Odessa, Cherson, Sebastopol alles griechische Namen
WREDE: Hier im Dienst rede nur ich! Stillgestanden! Kniee beugt!
Professor blickt hilflos auf die Heimkehrer und die Soldaten mit schussbereitem Gewehr, geht in Kniebeuge, stützt sich dabei auf.
WREDE: Hände nach vorn!
Gascha, ein kräftiges ukrainisches Mädchen von etwa dreiundzwanzig Jahren, kommt mit zwei Milchkannen.
GASCHA: Brauchen die Soldaten Milch?
WREDE: Störe hier nicht! Zu den drei andern. Weitermachen!
Die zwei Heimkehrer marschieren mit scharfer Kopfwendung an dem Unteroffizier vorbei.
WREDE plötzlich: Achtung! Alles vorn bei der Lokomotive antreten! Marsch! Marsch! Die Heimkehrer rennen nach links, der Professor will mit; Wrede drückt ihn wieder in die Kniebeuge. Bemühe dich nicht, alter Freund! Zu Münzner. Du meldest, falls er aufsteht! Mit Kupitz ab.
Kurzes Schweigen, währenddessen Gascha Milch aus der großen Kanne in eine kleine schüttet und die Soldaten beobachtet.
GASCHA zu Professor: Setz dich doch hinten auf die Hacken, Väterchen, dann hast dus ganz bequem.
PROFESSOR versucht es: Wahrhaftig wunderbar, direkt genial.
GASCHA: Siehst du.
PROFESSOR: Ein gutes Mädel, wie heißt du?
GASCHA: Gascha.
PROFESSOR immer in Kniebeuge: Deutsche?
GASCHA: Ukrainerin, meine Mutter ist Russin; ich diene bei der deutschen Gutsherrin Madame Keller.
PROFESSOR: Siehst du, etwas deutsches Blut muss doch in dir sein?
GASCHA: Weshalb?
PROFESSOR: Hast so etwas Frisches, Gesundes.
GASCHA: Ja, frisch sind die Deutschen. Wie ein Sturm rücken die vor.
ERNA: Und einen gesunden Appetit haben sie auch.
GASCHA: Müssen Soldaten haben.
ERNA auf den Säcken: Requirieren das letzte Korn, bald sind wir ratzekahl.
GASCHA: Dafür ist Krieg.
MÜNZNER dazwischen: Seit BrestLitowsk ist Frieden.
PROFESSOR eifernd: Frieden? Erst wenn hier unsre Kultur gesichert ist! Wir Deutschen bilden hier den kulturellen und militärischen Schutzwall gegen das asiatische Barbarentum!
GASCHA: Wie klug du bist!
PROFESSOR: Ich halts auf den Hacken nicht mehr aus. Kniet.
GASCHA: Bist ja ganz schwach; hier ein Becher Milch! Gibt ihm. Siehst du, Milch bleibt Milch, und Mensch ist Mensch.
MÜNZNER nimmt, während er sich umschaut, von Gascha ebenfalls schnell einen Becher: Bin auch bloß ein Mensch.
GASCHA: Übertreib nicht!
MÜNZNER leiser: Was meinst du denn? Mit verhaltener Erregung. Ich will hier kein Schloss erben und keine Bauernwirtschaft; aber heim will ich, heim, zu meiner Frau, meiner Arbeit; bin schon vier Jahre weg.
GASCHA betrachtet ihn: Bist ein strammer Junge, wirst auch noch ein Jährlein aushalten.
MÜNZNER gegen sie: Vier Jahre schon, Mädel!
ERNA: Die ist selten eisern, wie ein deutscher Soldat!
Unteroffizier Wrede mit Kupitz und den zwei Heimkehrern, die jetzt in frischen Mützen im Gleichschritt heranmarschieren. Kupitz stülpt dem Professor schnell eine neue Soldatenmütze über. Die zwei Bahnposten und drei Heimkehrer haben sich zu einer Linie aufgebaut. Hauptmann v. Leers und der Feldwebel mit den Bauern von links.
WREDE meldend: Ein Unteroffizier, zwei Mann Bahnwache, drei Heimkehrer angetreten.
HAUPTMANN: Rühren! Zu den Bauern: Mag sein,meine Freunde, es wird bis Herbst etwas knapp bei euch. Doch kein Vergleich mit unsrer deutschen Heimat, die auch eure Heimat war und ist. Dort jawohl, hier muss ein offenes Wort gesagt sein dort bäckt man jetzt Brot aus Rüben, Kartoffeln und Kleie! Landsleute, wollt ihr eure Heimat verraten?
BOLÄNDER benommen: Wir wollen alles für euch versuchen.
Boländer sieht die beiden andern Bauern und Erna an; dann tragen sie die vollen Säcke nach links zur Rampe.
HAUPTMANN zum Feldwebel: Heimkehrer?
FELDWEBEL leise: Aus den Russenlagern!
HAUPTMANN zu den drei Neuen: Wohl schwere Zeiten durchgemacht, Kameraden?
LUTZ stramm: Jawohl, Herr Hauptmann!
HAUPTMANN auf Elli: Lebendige eiserne Ration?
LUTZ: In Berlin sei es knapp, Herr Hauptmann.
HAUPTMANN vor Professor, fasst ihn am Bart: Hast dir da aber einen Fußsack zugelegt, Kamerad! Wohl kalt in Sibirien?
PROFESSOR: Sehr kalt, Herr Hauptmann!
HAUPTMANN: Was arbeitest du?
PROFESSOR: PROFESSOR der Literatur und Geschichte, Herr Hauptmann!
HAUPTMANN: Donnerwetter, ist ja allerhand, großartig, da werden Sie uns ja gute Dienste tun. Feldwebel! Der Herr Professor soll genau die Geschichte der Kompanie während unsres Feldzuges in der Ukraine aufschreiben, Tag für Tag, Schritt um Schritt!
PROFESSOR stolz: Befehl, Herr Hauptmann.
HAUPTMANN zu Buck: Und Sie?
BUCK: Peter Buck, III. Bataillon Grenadierregiment 110, gelernter Schuster.
HAUPTMANN loyal: Du willst natürlich heim, zu Weib und Kind, wird geschehen. Nur, Kameraden, ihr saht da eben unsre Landsleute, deutsche Bauern. Sie leben unter einem furchtbaren Druck: die Bolschewiken im Norden, Kosaken und Mongolen im Osten, Banden, Terror, Bürgerkrieg. Wollt ihr eure deutschen Brüder hier dem roten Chaos preisgeben? Nein, das wollt ihr keineswegs! Auf und ab. Wir werden also in den nächsten Tagen vorrücken, gemessen an den Schlachten von Verdun, in Flandern und am Isonzo ist dieser Marsch in die Ukraine ein Sonntagsspaziergang. Seine blütenweißen Handschuhe betrachtend. Legt ihn so zurück, dass ihr am Sonntagabend sagen könnt: Es war ein festlicher Tag. Weggetreten!
Scharfe Kehrtwendung der Mannschaft; alle bis auf Feldwebel und Hauptmann ab.
HAUPTMANN: Ich finde die Heimkehrer nicht schlecht.
FELDWEBEL: Herr Hauptmann haben eine glänzende Art mit den Leuten umzugehn, so stramm väterlich.
HAUPTMANN: Also übermorgen Weitermarsch nach Osten, Richtung Nikolajew.
Feldwebel ab; Erna ist von links gekommen, nimmt einen leichteren Sack.
HAUPTMANN betrachtet sie wohlgefällig: Nun, mein Kind?
ERNA zögernd: Kommen die Soldaten auch zu uns?
HAUPTMANN: Wenn ihr uns wollt.
Erna schweigt.
HAUPTMANN: Wie heißt du denn?
ERNA: Erna Erna Hert.
HAUPTMANN: Erna Hert ein schöner Name für ein deutsches Mädel. Sucht in seiner Tasche. Wart mal, Erna, zieht eine Tafel Schokolade hervor für dich, Erna, aus Deutschland, aus unserer Heimat, Erna. Grüßt, dann ab.
ERNA betrachtet die Schokolade: Aus Deutschland die werd ich gleich mal den andern zeigen. Überlegt, steckt sie schnell weg. Nein, keinem werd ich sie zeigen, keinem! Links ab.
Von rechts ist Buck gekommen; er schaut sich scheu um, geht dann zu dem Waggon.
BUCK liest langsam: Eisenbahnoberdirektion Karlsruhe Er sucht den Waggon zu öffnen, vergebens; will ihn leidenschaftlich mit seinen Armen umfassen, vergebens; überlegt, sieht sich um, kriecht unter den Waggon, legt sich auf die Achse des Wagens.
Von rechts hinten Kommandostimme des Unteroffiziers Wrede: Musketier Buck! Antreten zum Stiefelfassen! Musketier Buck!!
BUCK der unter der Suggestion des Kommandos unter dem Waggon wieder hervorgekrochen ist: Jawohl, Herr Unteroffizier! Richtet mit dem Zeigefinger seine Mütze zurecht: Kokarde genau über der Nasenwurzel, schaut noch einmal auf den Waggon, dann. Sofort, Herr Unteroffizier! Rennt nach rechts hinten. Sofort!
Licht weg.