DDR-Autoren
DDR, CSSR, Sowjetunion, Polen ... E-Books, Bücher, Hörbücher, Filme
Sie sind hier: Die Schrankkomödie. Ein Schauspiel von Friedrich Wolf: TextAuszug
Die Schrankkomödie. Ein Schauspiel von Friedrich Wolf
Format:

Klicken Sie auf das gewünschte Format, um den Titel in den Warenkorb zu legen.

Preis E-Book:
4.99 €
Veröffentl.:
08.01.2025
ISBN:
978-3-68912-425-0 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 207 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Politik, Belletristik/Medizin
Klassische Belletristik, Satirische Romane und Parodie (fiktional), Historischer Roman
1920er Jahre, Bürgertum, Dialogwitz, Doppelmoral, Geheimnisse, Gesellschaftskritik, Gesellschaftszwänge, Heiteres Chaos, Humor, Kammerspiel, Komödie, Konflikte, Moral, Naturheilkunde, Satire, Schrankszene, Schulmedizin, Überraschende Wendungen, Verwicklungen, Volksaufstand, Zeitkritik
Zahlungspflichtig bestellen

Verbandraum eines Krankenhauses in Weiß. Auf einer Bank rechts sitzen Dreidoppel, Buckel, Hoppfuß, wartend. Hinten Tür zum Flur, links zum Operationsraum.

 

DREIDOPPEL nach einem Schweigen: Da sitzen wir nun.

BUCKEL ebenso: Da sitzen wir nun.

DREIDOPPEL: Wenn du nichts Bessres weißt, als mir auf die Hacken zu springen, so wisch ich diesen Satz aus und behaupte, da hängen wir nun.

BUCKEL: Warum hängen wir nun?

DREIDOPPEL: Man braucht uns nur anzusehen, so wird man unfehlbar an ein Spinnnetz erinnert, in dem drei Fliegen vor ihrer Erlösung hängen, und davon hängt mir mein Magen schon zwischen den Knien.

BUCKEL: Warum sagst du: vor ihrer Erlösung?

DREIDOPPEL: Alter Fragespund, weil sie ihr Leben bald los sein werden.

HOPPFUSS: Jo, jo, jo.

DREIDOPPEL: Da summst auch noch eins, bevor es zappelt.

BUCKEL: Warum meinst du, dass es …

DREIDOPPEL: Hör, du Epiphans, wenn du uns vor unsrer Hinrichtung noch mit Fragen totstechen willst, so werd ich dich auf den Altweiberberg führen und dich der kalten Sophie für ein nächtlichs Tänzchen anvertraun.

BUCKEL: Nennst du das Hinrichtung?

DREIDOPPEL: Still, Bellhase, was sonst! Guck diese Hand! Erst haben sie am Mittelfinger einen Schnitt gemacht, weißt du, wie man am Brot erst mal die Kruste schabt, dann haben sie das Vorderglied weggenommen, dann den Finger, dann die Mittelhand; wenn sie jetzt so weitermachen, hören sie erst bei der großen Zehe wieder auf.

HOPPFUSS aufspringend:

Bei mir nit, bei mir nit,

bei mir hat’s kein Eil.

Da tut’s ka Schnitt, da gibt’s a Tritt,

Mei Huferl versetzt Keil.

 

Schlägt wie ein Füllen aus.

 

DREIDOPPEL: Seht das alte Ross! Hoppfuß, alte Schindmähr, was ist mit dir? Vor einer Woch bist noch gelahmt mit deinem brandigen Bein wie ein galligter Schimmel, und jetzt juckst er hoch wie ein junger Bock?

HOPPFUSS: Jo, jo, jo.

DREIDOPPEL: Jo, jo, jo … das kann meine scheckige Geiß auch. Wo bist du gefahren? Hast du deine Maschine mit Zwetschgenwasser geölt oder St. Wendelin eine Kerz gestiftet oder hat der drinnen dir schon einen neuen Bolzen eingesetzt?

HOPPFUSS: Draußen war ich.

DREIDOPPEL: Draußen?

BUCKEL: Beim Ohm?

DREIDOPPEL: Beim Ohm.

HOPPFUSS: Jo, jo, jo. Aufspringend. Drum kann ich wieder hupfeln, drum kann ich wieder stapfeln, drum kann ich meine Eisen zei’n! Springt.

BUCKEL: Still, wenn sie’s drin hören!

DREIDOPPEL: Der Teufel hol’s!

 

Alle drei sitzen wieder mit hängenden Köpfen da.

 

BUCKEL zaghaft: Warum sagt er, er könnt wieder seine Eisen zeigen?

DREIDOPPEL: Dass er dir noch mal die Fragewalze damit einschlägt! Zu Hoppfuß. Sag’s ihm, zeig’s ihm, altes Grautier, erzähl!

HOPPFUSS: Jo, jo, jo … das ist eine Person, eine wunderkräftige Person, ein nobler Mann, der Forst, der Ohm … jo, jo, jo …

DREIDOPPEL: Aber was hat er denn getan? Sind deine Brandlöcher denn zu?

HOPPFUSS: Jo, jo, jo … Du weißt, mein Geblüt war ganz faul und siedig, lauter Aderlöcher im Fuß, ganz tief, ganz schwarz, so wie in ’nem alten Stück Holz, ganz steif, kein Nacht Ruh … das Fußle sollt runter, sagt der Kreis, dass es nit nachfrisst … jo, jo … Da packt mich die Angst; da packt mich das Grindeln, da hab ich St. Nikodem drei Kerzen gestellt, aber es flämmelt immer weiter … da schleppt ich mich zum Ohm … jo, jo, jo.

DREIDOPPEL: Was hat er denn getan, du alte Tröpfelnase! Schnäuz dich mal aus! Zapf nun mal aus!

 

Stimmen. Oberin und Schwester Notburgia aus der Tür.

 

OBERIN: Schnell die Verbände ab! Der Chef kommt!

DREIDOPPEL: Wir kommen noch früh genug in die Kiste.

SCHWESTER: Was meinten Sie?

DREIDOPPEL: Nichts.

SCHWESTER Dreidoppel abwickelnd: Hu, wie das durchnässt. Das sieht schlecht aus!

OBERIN hinzu: Hm, hm!

DREIDOPPEL: Frau OBERIN, Sie dürfen mir’s sagen, wird’s die Hand kosten?

OBERIN: So Gott will, kann sich’s wenden.

DREIDOPPEL: Wie? Kann sich’s noch wenden! Aber wenn’s der Chefarzt bestimmt?

OBERIN: So ist’s zu Ihrem Besten.

HOPPFUSS: Jo, jo, jo.

OBERIN: Jo, jo, Vater Hoppfuß, wir kommen auch noch dran. Da lacht er gar? Ihr schaut drein wie ein vergnügter Kater? Hier, lieber Dreidoppel, sehen Sie sich Ihren Leidensgenossen an, wie er Gottes Willen ins Auge sieht!

DREIDOPPEL: Der hat gut lachen!

SCHWESTER Hoppfuß abwickelnd: Was ist das?

OBERIN: Ein Blatt?

SCHWESTER: Ein Huflattichblatt?

OBERIN: Und wie fein sauber es darunter ausschaut … das ist ja unglaublich … das ist ja wunderbar … alle Geschwüre gereinigt und geschlossen? Ah, Vater Hoppfuß feiert Auferstehung und bekränzt das genesene Bein? Hält jähe inne. Oder? Oder! Scharf. Hoppfuß!!

HOPPFUSS: Jo, jo, jo.

OBERIN streng: Bei Ihrem greisen Haupt, wo kommt das … Blatt her?

HOPPFUSS: Jo, jo, jo … ist das Füßle nit sauber?

OBERIN feierlich: Hoppfuß, Hoppfuß! Ihr Herz ist düster und beklommen und schwer. Erleichtern Sie sich durch ein Bekenntnis. Wo kommt das Blatt her?

HOPPFUSS: Von draußen.

OBERIN: Von draußen?

SCHWESTER: Vom Forst?

OBERIN: Heiliger Josef, wenn das der Chef erfährt! Sie fliegen aus dem Haus, Hoppfuß, Sie verlieren Ihre Zulagen, Hoppfuß, Sie haben uns hintergangen! Schlägt Ihnen nicht Ihr Gewissen?

HOPPFUSS:

Mein Fußle schlägt aus, mein Fußle ist heil,

jetzt hat’s mit dem Schneiden lange Weil,

jetzt kann ich wieder schnepferln, juckerln und hupferln

und ’s Eisen zei’n.

 

OBERIN: Er ist betrunken! Um Gottes willen, sie kommen schon! Fort die Blätter! Hoppfuß, Unglücklicher, hören Sie, sagen Sie nichts von draußen; sagen Sie, die Diatrixsalbe habe den Fuß zugeheilt. Es ist eine Notlüge, hören Sie?

 

Gela, noch in Operationsmantel und Maske, von links.

 

GELA: Vorwärts, Herrschaften, Pressluft! Die Septischen sollen heut noch dran! Erst das Gangrän, dann die Phlegmone, und zuletzt die Wirbelsache. Alles abgewickelt, gut! Zu Hoppfuß, ihm auf die Schulter klopfend. Na, old bloody Bill, es wird so schlimm nicht werden, wir machen’s in Narkose.

HOPPFUSS zieht die Beine an, weicht zurück: Nix Kose!

GELA: Na, Alterchen, wir verlieren sonst unser Bein.

OBERIN: Fräulein Doktor, der Brand hat sich erheblich gebessert, er ist fast fort.

GELA: Ausgeschlossen!

OBERIN ablenkend: Aber die Phlegmone hier hat sich verschlimmert.

GELA bei Hoppfuß: Ausgeschlossen, die Sache war doch gangränos, hochgradig gangränos, reif zum Absetzen, schnittreif. – Zur Oberin. Was hatten wir drauf? Diatrixsalbe?

OBERIN zu Hoppfuß: Diatrixsalbe?!

HOPPFUSS: Jo, jo, jo.

GELA: Famos!

 

Kreisarzt, Dr. Knochenmus von links.

 

KREISARZT im Eintreten: Ich wiederhole, Herr Kollege, es kommt zweifellos darauf an, einen höchstmöglichen Grad von Klarheit und Reinlichkeit zu erzielen. Darum hab ich der Entfernung dieser Niere zugestimmt. Dieses Organ ist fort, es wird nicht mehr schaden, damit ist eine klare Lage geschaffen.

KNOCHENMUS: Cystenniere, selbstverständlich!

KREISARZT: Gewiss, Herr Kollege, aber es gilt, jeden Eingriff auch nachher noch einmal zu rechtfertigen, schon wegen des Zeitpunktes.

KNOCHENMUS donnernd: Zeitpunkt! Natürlich kann man über den Zeitpunkt diskutieren.

KREISARZT: Sie wissen, wie lebhaft ich selbst für die allgemeine Kräftigung des Nervenstatus durch Nervoplasmininjektionen eingetreten bin, wie ich selbst bei meinem Ischiasleiden diese Injektionen verwandt habe, aber sobald eine Diagnose wissenschaftlich klar und gesichert ist, dann heißt es, nicht auf gut Wetter warten, sondern handeln, handeln!

KNOCHENMUS: Selbstverständlich!

GELA zu Hoppfuß hin: Willst du mal herschaun, Papa?

KREISARZT: Na, Vater Hoppfuß, noch große Schmerzen? Nur getrost. Schaut den Fuß. Aber was ist denn das? Die Sache hat sich ja gesäubert; das war doch das Gangrän! Die Verordnung?

GELA: Diatrixsalbe.

KREISARZT: Außerordentlich.

GELA: Ich darf wohl bemerken, dass der Zeitpunkt …

KNOCHENMUS: Quasseln wir nicht ewig über den Zeitpunkt. In vierzehn Tagen kann er die Sache wieder haben. Ein Gangrän gehört auf den Tisch! Das weiß jeder Kurpfuscher!

KREISARZT streng: Herr Kollege, bitte! Es ist interessant genug zu wissen, dass die Diatrixsalbe, was meine frühere Beobachtung bestätigt, die Erneuerung des Unterhautzellgewebes fördert. Zu Gela. Du wirst diesen Fall bearbeiten und im Archiv veröffentlichen.

KNOCHENMUS der inzwischen Dreidoppels Hand vorgezogen, auf einen Verbandtisch gelegt hat, so dass die OBERIN zwischen Dreidoppels Kopf und seiner Hand steht: Das können wir gleich vornehmen …

DREIDOPPELs STIMME: Nein, nein, fragt Hoppfuß, ich möchte auch so wie Hoppfuß!

KNOCHENMUS zur Oberin: Sprach der Mann?

OBERIN zurück: Wollten Sie etwas?

DREIDOPPELs STIMME: Ich möchte auch so wie Hoppfuß …

OBERIN zurück: Seien Sie doch still!

KNOCHENMUS: Was sagt der Mann?

OBERIN: Er möchte auch so wie Hoppfuß …

KNOCHENMUS: Er möchte auch so wie Hoppfuß ... Selbstverständlich!

KREISARZT: Wir könnten es ja zwei, drei Tage mit der Salbe versuchen!

KNOCHENMUS bebend: Herr KREISARZT, bei allem schuldigen Respekt, haben wir noch Indikationen, haben wir noch eine Wissenschaft?

GELA: Herr Kollege, bei aller Achtung vor den scharfe Instrumenten, haben wir noch eine Forschung?

KNOCHENMUS: Solange das unerforschliche Geschlecht sich nicht daran vergreift. So bin ich hier überflüssig.

KREISARZT: Sie bleiben! Zu Buckel. Dies ist die Wirbelsache? Richten Sie sich auf … beugen Sie sich! Zu Knochenmus, der sondiert. Wie weit geht die Fistel?

BUCKEL: Au!

KREISARZT: Warum sagen Sie au?

KNOCHENMUS: Bis zum corpus vertebrae.

BUCKELS STIMME von unten: Könnte ich nicht auch wie Hoppfuß?

KREISARZT: Sagte der Mann etwas?

SCHWESTER: Er meinte, ob er nicht auch wie Hoppfuß könnte …

KNOCHENMUS: Diatrixsalbe!

KREISARZT nach unten: Hören Sie, Mann, Sie sind jetzt in unsrer Behandlung, und es wird zu Ihrem Besten verfahren! Wir werden bestimmen, was not tut!

BUCKEL immer von unten: Warum könnte ich denn nicht wie Hoppfuß!

KREISARZT: Schockschwernot, Mann, beherrschen Sie sich! Zeigen Sie Disziplin, beißen Sie die Zähne aufeinander, unser Land braucht Männer! Rutscht mit dem Fuß. Schwester, was liegen denn hier für Blätter umher?

SCHWESTER zitternd: Blätter?

KREISARZT: Ja, Blätter!

OBERIN schnell: Von einem Krankenstrauß, Herr Kreisarzt.

 

Stimmen, durch die Flurtür eilig Chordirektor Wogenprall mit Dr. Phra Bardt Somdetsch, dieser in einem eleganten Nankinganzug.

 

CHORDIREKTOR aufgeregt: Ich muss den Rat sämtlicher Herren hören, sämtlicher anwesenden Herren, es geht um Existenz und äußerste Dinge, die ganze Stadt hat ein Interesse daran. Es muss sogleich geschehen.

DR. SOMDETSCH: Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche. Denken Sie an einen Kometenkern, denken Sie axillar!

WOGENPRALL fassungslos: Alles ist zum Teufel! Sie müssen mich hören, meine Herren. Ich flehe Sie an!

KREISARZT: Aber bester Herr Chordirektor! Wollen wir nicht nebenan?

WOGENPRALL: Keine Minute Verzug!

KREISARZT: Häufen sich wieder diese schlimmen Anfälle?

WOGENPRALL: Sie treten gar nicht mehr auf.

KREISARZT: Nun denn?

WOGENPRALL: Hören Sie, hören Sie, meine Herren; hier klagt ein Apfel, dass man ihm den Wurm nahm, hier weint ein Fisch, weil man ihn ins Wasser warf.

DR. SOMDETSCH: Konzentrieren Sie sich! Denken Sie an ein Schneckenhaus!

WOGENPRALL verzweifelt: Meine Nuance ist hin, meine Wallungen, mein künstlerischer Ausbruch, ich bin ein Kastrat, ich habe keine Ausbrüche mehr! – Sie kennen die Anfälle von Atemnot und Herzangst, die mich warfen. Sie, meine Herren, gaben mir Spritzen, Sie gaben mir Brom und Veronal. Es war umsonst. Da ging ich in meiner Verzweiflung zu dem Forstrat draußen.

KREISARZT: Was? Sie? Ein gebildeter Mensch?

KNOCHENMUS: Zu Ohm Kay, haha!

WOGENPRALL: Er half mir.

KREISARZT: Wie?

WOGENPRALL: Er zeigte mir eine gewisse Art von Bädern, gab mir Laub, drauf zu schlafen, und Blätter, auf die Brust zu legen. Schon nach drei Tagen blieben die Anfälle weg.

KREISARZT: Ich gratuliere Ihnen.

DR. SOMDETSCH: Suggestivverfahren.

KREISARZT: Weshalb kommen Sie dann zu uns?

WOGENPRALL: Ich fühlte mich so wohl wie ein Fisch im Wasser, keine schlaflosen Nächte mehr, keinerlei Druck, Angst, kein wändezerkratzendes Ringen nach Atem, alles wunderbar geglättet und ausgeglichen. Leicht und luftig wie auf einem spiegelnden See. Dann begann ich meinen Dienst wieder, ein seelischer Herkules, es war Mahlers „Lied von der Erde“, ich wollte in den Sturm übergehen, aber alles in mir blieb ruhig, heiter, meine Atmung die einer tragenden Kuh, mein Puls der des ersten Napoleon! Hören Sie nur, wenn ich angebe: „Erde, rasende, schlinge mich!“ Klingt das nicht wie: „Streiche mir ein Butterbrot“? Ich bin gesund, übergesund, ich Unglücklicher. Ich wurde normal, gänzlich normal!

KREISARZT ungeduldig: Weshalb aber bemühen Sie sich jetzt zu uns?

WOGENPRALL: Um meiner Ausbrüche willen, meine Herren, um meiner Ausbrüche, die dahin sind, um meiner körperlichen Attacken, um der atemberaubenden Nuance, die mir fehlt, meine Herren, behandeln Sie mich wieder!

KREISARZT: Wir bedauern, dazu nicht mehr in der Lage zu sein.

WOGENPRALL: Aber Sie behandeln doch auch den da, den Vater Hoppfuß?

KREISARZT: Was hat das mit Ihnen zu tun?

WOGENPRALL: Weil Ohm Kay sein Bein ebenfalls mit den Blättern geheilt hat.

 

Hoppfuß ist aufgestanden und will hinaus.

 

KREISARZT: Unsinn, der Mann ist in unsrer Behandlung und ist mit Diatrixsalbe versorgt worden. Hoppfuß, was machen Sie denn da! Kommen Sie nach vorn! – Hoppfuß, Sie sind ein ehrlicher Mensch, waren Sie bei dem, dem Mann da draußen gewesen?

HOPPFUSS: Lasst mich, lasst mich! Hopst umher.

Mein Fußle ist ganz, mein Fußle ist heil,

nun kann ich wieder schnepfle, nun kann ich wieder stapfle

nun kann ich euch ’s Eisen zei’n.

 

KREISARZT ihn niederhaltend, furchtbar vor ihm: Sind Sie toll, altes Haus? Ob Sie draußen waren, bei Ihrem ehrlichen Namen, ja oder nein?!

HOPPFUSS: Jo, jo.

KREISARZT zieht seine Hände zurück: Schurke!

KNOCHENMUS: Da haben wir’s!

WOGENPRALL: Aber meine Herren, die halbe Stadt geht ja nach draußen und lässt sich helfen.

KREISARZT wild: Wer lässt sich helfen!! Wer lässt sich helfen? Herr Chordirektor, ich danke Ihnen für Ihre Auskünfte. Ihre Gegenwart hat uns ungemein bereichert, aber ich möchte jetzt darauf verzichten!!

WOGENPRALL bewundernd: Diese herrliche Erregung! Schade, schade, diese Erregung! Durch Glastüre ab.

KREISARZT wieder auf Hoppfuß: Sie Geschöpf, wie konnten Sie sich erdreisten, uns so zu hintergehen!

HOPPFUSS: Ich hab halt gehört, der Ohm hat schon vielen hier ’s Leiden vertrieben, wo ’s andre nix geholfen hat.

KREISARZT schnaubend: Das wagen Sie mir zu sagen! Mensch, wissen Sie überhaupt, was Sie da sagen? Sie sind entlassen, Hoppfuß! Heute! Aus meinen Augen!

GELA ruhig: Haben Sie die Diatrixsalbe gar nicht mehr auf dem Fuß gehabt, Hoppfuß?

HOPPFUSS: No.

GELA: Was denn? Nur die Blätter? Nimmt ein Huflattichblatt. Diese Blätter?

HOPPFUSS: Jo, jo.

GELA: Direkt auf der Wunde?

HOPPFUSS: Jo, jo.

KNOCHENMUS: Unerhört fahrlässig!

KREISARZT: Wie, er hat Ihnen die Blätter so patsch, klatsch auf die Wunde gelegt?

HOPPFUSS: Das hat er.

KREISARZT groß: Wissen Sie auch, Mann, dass Sie daran hätten sterben können? Zu Buckel und Dreidoppel. Kommen Sie mal alle da drüben her! Dieses Blatt ist draußen jedem Staub und Kleingetier ausgesetzt. Wenn ihr es unter dem Mikroskop betrachtet, so wimmelt es von Bakterien und winzigen Pilzen. So ein Blatt müsste man, wenn man es überhaupt auf eine Wunde legt, zuerst auskochen, um diese Lebewesen zu töten. So aber legt dieser Herr da draußen das Zeug mit allen Bakterien und Pilzen auf eure offne Wunde. Ist das kein Verbrechen? Begreift ihr das nicht?

BUCKEL und DREIDOPPEL: Doch, doch.

KREISARZT: Man meint, das müsste ein Kind einsehen, bevor man es aus der Windel wickelt. Betrachtet euch doch nur hier die Verbandstoffe, die Gaze und Mulltupfer, wie das alles sauber und sterilisiert in den Glaskästen liegt. Glaubt ihr, das sei zum Spaß? Das sei alles so billig, dass man das so macht? Aber ihr lauft zu einem Wunderdoktor, der euch bakterienhaltige Blätter auf die Wunde legt. Ist das vernünftig?

DREIDOPPEL und BUCKEL: Nein, Herr Kreisarzt.

KREISARZT im Eifer: Glaubt ihr denn, wir haben all die Jahre umsonst studiert, seziert, mikroskopiert, operiert, analysiert und tagaus, tagein gearbeitet, damit uns so ein Fixmachgesund bloß ein paar Blätter aufzulegen braucht, um euch zu heilen? Seht, ich habe selbst eine Ischias und da probiere und grüble ich seit Monaten über ein neues Heilmittel, das man einspritzen kann, dazu hab ich sogar Schildkrötennerven pulverisieren und auflösen lassen, portugiesische Zeitschriften studiert. Aber euer Wunderonkel braucht ja nur ein paar Blätter aufzulegen, und man ist geheilt. Erregt. Spürt denn nicht jeder anständige Mensch, welch erbärmlicher Schwindel das ist?

DREIDOPPEL und BUCKEL: Doch, doch, Herr Kreisarzt.

 

Schwester an der Tür.

 

SCHWESTER: Der Arzt vom Dienst!

KNOCHENMUS: Was ist denn wieder? Ab.

KREISARZT: Aber wir werden diesen Heiligen schon unter die Schere nehmen. Wir werden den Fuchs schon aus seinem Loch räuchern, das versichere ich euch! Nur rechne ich auf die Unterstützung jedes ehrlichen Menschen. Denn dieser Mann ist eine Gefahr für die Stadt.

 

Knochenmus eilig vom Flur.

 

KNOCHENMUS: Bringen Sie die Bahre herein!

WOGENPRALL: Ich möchte die Wiederaufwallung des Lebens mitsehen.

KNOCHENMUS: Wenn Sie da nicht vergebens warten!

 

Eine Bahre wird im Hintergrund niedergestellt.

 

KREISARZT: Die alte Ledderhos! Wieder mal ein Anfall? Zu Knochenmus. Was ist?

WOGENPRALL: Das alte Menschenkind lag auf der Straße, sie rang nach Luft und ruckte mit ihren gelben Armen. Als die Bahre kam, war sie ganz starr.

KREISARZT über der Bahre: Erneuter apoplektischer Insult. Das ist wohl ihr dritter oder vierter Schlag; sie ist zäh wie ihr Name. Sie war doch mehrfach in unserer Behandlung?

GELA: Das letzte Mal war sie einen ganzen Tag bewusstlos und behielt eine linksseitige Lähmung zurück.

WOGENPRALL: Die hat Ohm Kay, als er mich behandelte, mit Bädern weggebracht.

KREISARZT aufspringend: Ohm Kay, Ohm Kay! Wirkt das Gespenst denn überall! Ohm Kay! Ist diese Seuche in jedem Haus? Ohm Kay! Stößt man auf diesen Schatten bei jedem Tritt? Hat er dies unglückliche Geschöpf auch bearbeitet?

WOGENPRALL: Ja, sie ist auch eine der vielen Doppelbehandelten. Nach den Bädern ward ihr Gehen weit besser.

KREISARZT: Bäder nach einem Schlag? Sie irren!

WOGENPRALL: Bäder, gewiss!

KREISARZT: Das ist Mord! Zu Knochenmus. Sie haben es gehört! Hier haben wir das nackte Ergebnis!

KNOCHENMUS: Tötung!

KREISARZT noch einmal mit Hörrohr über der Bahre: Zweifellos!

OBERIN, bereiten Sie den Leichenschein vor. Zu den Kranken. Ihr aber seht, wohin diese Fahrlässigkeit, dieser Blätterspuk und dieser Wasserunfug führten; zum Verbrechen! Ihr seid gewarnt. Jetzt werden wir dies gefährliche Wundertier an die Kette nehmen.

KNOCHENMUS: Soll ein Protokoll angefertigt werden?

KREISARZT: Sofort! Der Bericht des Herrn Chordirektors ist von größter Bedeutung. Der Herr Staatsanwalt wird sich dafür interessieren!

WOGENPRALL erregt: Aber meine Herren, keinesfalls! Ich bitte Sie! Er ist mein Wohltäter, er ist ein prächtiger Mensch, bedenken Sie doch, er hat mir geholfen.

KREISARZT auf die Bahre zeigend: Er hat auch dieser geholfen!

WOGENPRALL: Aber sterben nicht auch so Menschen am Schlag? Ist es so klar, dass diese Frau …

KREISARZT: Dieser Fall ist sonnenklar! Zu Knochenmus. Kommen Sie, Herr Kollege!

 

Durch Flurtür ab.

 

WOGENPRALL umher: Das ist ja furchtbar, das ist ja eine Katastrophe, das ist ja ein Justizmord! Rennt gegen die Wand. Meine Brust, mein Herz, da ist es wieder. Vor Gela. Helfen Sie mir, verehrte Doktorin!

GELA: Was ist da zu helfen, der Mann hat für diese fahrlässige Tötung eine Lektion verdient.

WOGENPRALL: Aber Sie kennen den Mann ja gar nicht, er ist der gütigste und hilfsbereiteste Mensch der Welt; er hat Tausenden schon geholfen, die sonst keine Hilfe fanden. Nun stirbt eine alte Frau am Schlag, sterben nicht Hunderte Menschen am Schlag? Sterben in diesem Krankenhaus keine Kranken?

GELA von oben: Wollen Sie unsre Arbeit mit der dieses Wunderdoktors vergleichen?

WOGENPRALL: Beileibe nicht! Aber wenn Sie den Menschen kennten …

GELA: Ich kenne ihn, diesen Waldgott, wenn auch nur im Hui und Saus. Er stiebt auf einem Rad durch die Straßen, als sei er auf der Flucht zu seinem Dickicht. Kaum dass man vor seinen grauen Locken die Nasenspitze sieht. Was treibt er eigentlich draußen für ein wunderlich Wesen?

WOGENPRALL: Waren Sie noch nicht dort? Ja, wunderlich ist’s gewiss, aber auch wunderbar. Unter Tannen und Eichen, an einem Wiesenhang steht sein Blockhaus. Hoch auf der Eiche sitzen abends die Hühner, auf der Wiese grasen die Zicklein und Böcke, draußen auf Weg und Bank lagern die Kranken oder sie helfen im Stall und Garten. Er ist mitten unter ihnen, arbeitet, melkt, pflöckt, mäht und untersucht …

GELA: Durch die Augen, hört ich …

WOGENPRALL: Ja, durch die Augen. Im Bild der Regenbogenhaut sieht er alles, so wie man am Lichtstrahl der Sterne die Beschaffenheit der Sternenkörper erkennt. So berät und hilft er allerorts.

GELA: Ein seltsames Leben für einen Forstrat. Wie alt ist er?

WOGENPRALL: Seiner Kraft nach dreißig, seinem Herzen nach zehn.

GELA: Und seinen grauen Haaren nach …

WOGENPRALL: Er ist darüber wieder jung geworden, Doktorin, mir kommt ein Gedanke, lassen Sie uns zu ihm gehen.

GELA erschrocken: Wo denken Sie hin!

WOGENPRALL: Wenn es gilt, ein schweres Unrecht zu verhindern?

GELA: Das liegt nicht in meiner Macht.

WOGENPRALL: Sie wissen es nicht …

GELA abbrechend und zu den Kranken gewandt: Soviel weiß ich, dass dieser Mann auf offene Wunden Blätter legt, dass er eine Blinddarmentzündung aus den Augen lesen will, dass er alle Begriffe verwirrt und zu einer Gefahr zu werden droht. Zu den Kranken. Dies auch an eure Adresse! Hoppfuß ist noch mit dem Leben davongekommen. Euch andern kann’s bei diesen Blätterkuren so gehen wie – auf die Bahre – der. Sind euch jetzt die Augen geöffnet?

DIE DREI gedrückt: Das sind sie.

GELA: Verhaltet euch danach. Will ab.

WOGENPRALL wie erwachend: Aber Doktorin, beste Doktorin, der Mann kommt ja ins Gefängnis! Er ist unschuldig an dieser Leiche.

GELA: So mag diese Leiche aufstehn und für ihn zeugen. Ab.

WOGENPRALL: Aber das ist ja furchtbar, ist bambusenhaft, das ist dämonisch … Meine Brust, mein Herz … die Wallungen … Ab.

 

Stille.

 

DREIDOPPEL: Da hängen wir nun wieder?

BUCKEL: Ja, da hängen wir nun wieder.

DREIDOPPEL: Gott sei Dank, dass sie uns haben hängen lassen!

BUCKEL: Ob sie den Forst ins Gefängnis bringen?

HOPPFUSS aufspringend: Potz Kotz, da ist der alte Hoppfuß auch noch da. So lauf ich mit meinem heilen Humpelfüßle hin, keil ihnen, Humpelklumpel, die Pfosten ein und hol ihn mir naus. Letzthin war ich bei ihm. Da kam ein Regierungsrat, der wollte behandelt sein. Aber da hatt er noch mein Bein. Da musst der Regierungsrat warten. Da wurd’s mir schlecht. Da lief er in den Keller, wo sein Fass „Hutzelbaud“ steht. Da holt er mir ein Most. Der Regierungsrat musst warten. Da war der Verband schmutzig, da legt er das Blatt drauf und wickelt sein eigen reines Sacktuch drum. Dann sagt er zu mir: „Das hier ist der Regierungsrat Albus“, und zu dem Herrn sagt er: „Das ist mein Freund Hoppfuß.“ Damit meint er mich. Und so ein Mann soll ins Gefängnis!

 

Ohm Kay, der hat mich wieder hupfen gemacht,

Ohm Kay, dem sei das ewig gedacht, ju hu!

 

BUCKEL zieht ihn nieder: Red nicht solch Zeug; aber lass uns gehn.

HOPPFUSS: Ich muss ihn warnen.

 

Die drei schleichen in großem Bogen um die Leiche hinaus.

 

Die Schrankkomödie. Ein Schauspiel von Friedrich Wolf: TextAuszug