Hausinneres. Erntetisch am Abend mit Früchten, Gebäck, Wein, Kränzen und Lichtern. Patriarch, Tamar, Knabe in der Mitte; seitlich der Schwager, Knechte, Mägde. Der Stuhl zur Rechten des Patriarchen ist leer.
PATRIARCH zum Knaben: Gelobe!
Knabe zerbricht nach der Sitte das Brot.
PATRIARCH: Sprich!
KNABE: Der das Brot uns gab, dessen Gabe sei
PATRIARCH: ER sei
KNABE: Gelobt.
ALLE: ER sei gelobt!
Das Mahl beginnt.
SCHWAGER: Ein fruchtbar Jahr!
ERSTER KNECHT: Zehnfach trugen die Halme.
ZWEITER KNECHT: Und zwiefach die Rinder.
DRITTER KNECHT: Wir säten und flehten.
PATRIARCH zum Knaben: Wo ist dein Bruder?
KNABE: Er floh aufs Feld.
PATRIARCH: In der Nacht, auf die Stoppel hetzt ihn der Satan?
KNABE: Er betet.
PATRIARCH grimmig: Betet? Wohl um Spelt und Stroh? Ein fein Gebet, das mit Fluch segnet der Herr!
Tamar fährt zusammen. Ein Hirt eilig von rechts.
HIRT: Ein Tier erschlagen; blitzgesprengt!
PATRIARCH: Verscharrs!
HIRT: Es trug.
PATRIARCH: Tot?
HIRT: Drei Kälber lebend, Herr! Umher. Drei sagt ich, eins mehr als meine Augen.
ERSTER KNECHT: Welch ein Haus; das birst dreifach Leben noch im Verenden.
ZWEITER KNECHT: Die Scheuer biegt sich, und Kälber donnerts hier nieder wie Hagelkorn. Zum Hirt. Kerl, du träumst, dein Schiefauge hat das eine Stück dreimal gesehen: zum ersten vom Rist, zum zweiten vom Steiß und zum dritten
HIRT: He, und zum dritten reißts jetzt die Schnauze auf und kann nicht weiter! Ja, Freund, so wahr ich dich mit diesen Augen sehe als eines, waren es dort drei Kälber; aus dem Todeszucken des getroffenen Tiers sprang dreifach die Geburt!
SCHWAGER: Ein Zeichen! Zu Patriarch. Des Gerechten Saat trägt Frucht und Aberfrucht.
PATRIARCH erregt: Her soll er!
SCHWAGER: Wer?
KNECHT: Was ist?
PATRIARCH: In dieser Stunde! Schleppt er geheime Dinge in seines Herzens Nacht, ich will die Fackel meines Rechts werfen in diesen Abgrund. Zu den anderen. Was steht ihr? Gafft? Verstieß ich gegen das Gesetz je?
SCHWAGER: Du?
KNECHT: Herr!
PATRIARCH: War ich je untreu?
SCHWAGER: Untreu? Nicht wachsamer war je ein Diener des Ewigen!
ERSTER KNECHT: Nicht sorgender ein Vater
ZWEITER KNECHT: Nicht gerechter ein Richter
PATRIARCH zum Knaben: Hierher, in dieser Stunde! Und sollt man ihn hinter die Stiere binden!
KNABE: Doch wenn er
PATRIARCH wild: Wenn er kniet und wieder in den Acker wühlt sein Gesicht, reißt ihn hoch, und speit er glühende Rufe in die Nacht, einen Stier nimm, einen Stier, einen schaumigen, eine Siele, bind ihn mit der Ferse dran und hetz das Stück nach hier! Fort!
Der Knabe schnell ab.
PATRIARCH leise: Herr, Herr, was tat ich dir?
Stille.
SCHWAGER schielend: Das überfiel dich? Doch warfst du dich nicht mörderisch in falschen Abgrund? Irrst du nicht?
PATRIARCH: Irren? Irrt der morsche Stamm, wenn er hinbricht? Ist Tod ein Irrtum?
IRRER kriecht unterm Tisch hervor: Der Tod, hoho, Gevatterchen, wer ruft mich? Es kommt ja doch nichts, wenn man ruft; auch ich komme nicht, weil ich schon da bin. Denn die Sonne steht am steilsten um Mitternacht, und das Sterbelichtlein steht hinter dir, wenn du dich verdoppelst; darum aber kommt nur, was schon ist.
ERSTER KNECHT schlägt nach ihm: Tollhund!
TRUNKENER KNECHT: Lass ihn, er ist ein einfältiger Tod; wenn man ihn verdoppelt, wird er Leben werden. Maul auf, Doppeltod! Das Leben ist die einzige Wahrheit, gießt ihm Wein in den Mund wenn mans vertilgt. Die Magd umarmend. He?
MAGD findet sich: Da s in mir schon klopft.
PATRIARCH: Knecht!
Der Knecht lässt von der Magd. Stille.
SCHWAGER sich erhebend: Auf! Es ist spät, der Wein steigt in uns.
ERSTER KNECHT ebenso: Die Kerzen flackern.
TRUNKENER KNECHT: Was he, wer ist spät? Wer flackert? Hier flackert niemand ich will sehen, wer hier Wird von den anderen hinausgestoßen.
SCHWAGER ihnen nach: Schließt ihn ins Gatter! Sich wendend. Nicht ist gut, alles zu sehn. Mit den andern bis auf Tamar und den Patriarchen ab.
Stille.
PATRIARCH für sich: Nicht ist gut, alles zu sehn. Doch über Kindeshäupter, über des Lebens Gefild Zu Tamar. Du!
Tamar schreckt hoch.
PATRIARCH: Wie lang du sein bist?
TAMAR scheu: Ins dritte Jahr, Vater.
PATRIARCH: Ins dritte Jahr? Und also zwölf und zwölf, und also dreißig Monde.
Tamar steht wie gelähmt.
PATRIARCH: Dreißig Monde, jäh. Höhnen mich die leeren Jahre, starrt Wüstenspuk, grinst der dürre Ast, der keinen Spross mehr treibt aus allem Saft des Stamms? Mein Enkel. Tamar senkt das Haupt.
PATRIARCH: Dreißig Monde, dass du sein bist, dreißig Monde teilst du sein Lager, Tag um Tag warte ich auf das Glied, das mein Geschlecht anhefte an die Kette der Kommenden; aber der Herr hat keinen Segen auf dich; er hat dich verworfen wie eine taube Nuss.
Tamar sinkt zusammen.
PATRIARCH: Sterben werde ich! Dein Unsegen fällt wie ein Fluch auf uns alle; auf uns alle fällt er wie der Schatten einer schwarzen Wolke, die sich nicht öffnet. Dreifach sterben werde ich im Tod meines Hauses, verdammt und verdampft auf leerem Rost, du Mädchen.
TAMAR auffahrend: Mädchen?
PATRIARCH: Mädchen!
TAMAR gegen ihn: Was weißt du?
PATRIARCH hart: Was ich sehe.
TAMAR: Was siehst du?
PATRIARCH: Nichts.
TAMAR: Vater!
PATRIARCH: Nenne mich Vater, wenn ich Mutter dich nenne. Schweigen. Dein Übel?
TAMAR hilflos: Mein Übel dies ja welches dieses Geschüttelt. Nein, nein, ich kanns nicht sagen
PATRIARCH: Dein Übel? Witternd. Ich kenne dein Wesen nicht, deinen Saft, du blonde Löwin, dich starkschultrig goldmähnig Wüstenbild mit den vollen Brüsten und dem leeren Schoß. Was hörte der Sohn nicht auf seines Vaters Stimme, als er dich ausriss aus fernem Stamm! Dein Übel?
TAMAR: Quäle mich nicht.
PATRIARCH: Quäl ich dich? Als kenntest du Qual! Wild. Mein Stamm verdorrt; das Werk von hundert Vätern steht, eine umgestürzte Pyramide spitz auf deinem Leib, du Kind!
TAMAR leise: Und wenn es deines Gottes Wille?
PATRIARCH: Dass dieser Stamm zerbricht? Dass der Gerechte verdorrt? Auch der Ewige hat seine Gesetze. Er kann nicht umstoßen die eigenen Tafeln.
Tamar horcht.
PATRIARCH: Nein, nein, der Herr hält sein Versprechen. Durch Jahrhunderte strahlt dies Haus im Licht der guten Werke. Wo steckt der Fluch? Stutzt. Er, der Spötter, der Tropf, der Nachtschreck, das Gespenst, der Schuhu, deiner welch Laster treibt ihn?
TAMAR: Er ist heilig, Vater.
PATRIARCH höhnend: Heilig mit den Mägden?
TAMAR: Vater!
PATRIARCH: Du also?
Tamar wendet sich und verbirgt ihr Haupt.
PATRIARCH: Du schweigst? Im Zorn des Gerechten. So höre das Gesetz, das du kennst: Wenn das dritte Jahr voll ist und an deinen Schoß klopft, und er ist verschlossen dein Schoß, so wird dein Mann dir einen Scheidebrief schreiben, und verachtet und verflucht wirst du Ausgestoßene heimkehren zu deinen Zelten.
Tamar stürzt nieder.
PATRIARCH hoch: Gelobt sei der Herr, der wachet über den Gerechten und der die Frevler
Der Verzehrte in zerrissenem Gewand, halb nackt, übernächtigt, tritt von rechts hinzu.
VERZEHRTER: Flieht!
PATRIARCH ihm entgegen: Steh! Schweige!
VERZEHRTER geheimnisvoll: Flieht, flieht es weht
PATRIARCH hält ihn: Sohn!
Verzehrter starrt ihn an.
PATRIARCH: Bist du ein Tier, ein Mensch, ein Urianswurf, ein Gespenst; bist du mein Sohn?
VERZEHRTER abwesend: Es weht es weht
PATRIARCH: Willst du mich rasend machen, Narr! Was irrst du Tag und Nacht nackt wie ein Tier durch die Stoppel? Was kleidest du, das Haupt unseres Stamms, dich in Lumpen, die kein Bettler trägt?
VERZEHRTER leise: Ich habe abgelegt und mich aufgemacht.
PATRIARCH: Wie? Geht man mit bloßem Haupt, mit nacktem Arm und Bein, ohn Knecht und Zehrung auf eine Reise? Was ist dieser Reise Ziel?
VERZEHRTER: Ich habe kein Ziel ich habe nur den Weg.
PATRIARCH grimmig: Gequarr! Was hast du gewirkt, zuweg gebracht, geschaffen, dass du solche Worte hinausspeien darfst?
VERZEHRTER über ihn weg: Es ist da, ist da nichts weiß ich, als dass es da ist und bläst nicht Worte, glühend Rauschen Wehen, Sturm, Wirbelwind und dann die Stimme: Leget ab!
PATRIARCH: Ablegen was uns gab der Herr?
VERZEHRTER: Alles, alles, was Euch hält, was Euch engmacht, was Euch schwer macht, alles leicht musst du sein zur Wanderschaft, dass der Wind dich trägt Da still, wieder die Stimme: Brechet auf, heiliget Euch!
PATRIARCH: Schweig!
VERZEHRTER: Heiliget Euch!
PATRIARCH rasend: Maul zu! Nimm mir das Wort nicht wieder ins Gebrech, du Jahrmarktsaffe, du Gespenst! Heiliger? Dein Geschlecht verdorrt. Wind statt Samen hat der Herr in dich gesät; verflucht hat er dich!
TAMAR tritt vor den Verzehrten: Noch nicht.
PATRIARCH: Noch nicht?
TAMAR: Noch sind nicht voll die drei Jahre.
PATRIARCH Auge in Auge: Doch, wenn sie voll sind Wendet sich, geht schwer hinaus.
Drückende Stille.
VERZEHRTER horchend: Es weht
TAMAR leis: Die Stimme?
VERZEHRTER: Der Wind er ruft: Brich auf!
TAMAR: Auch ich höre
VERZEHRTER: Die Stimme?
TAMAR: Meine
VERZEHRTER: Sie ruft?
TAMAR geschlossenen Auges: Segne mich!
VERZEHRTER fasst ihren Kopf: Schwester.
TAMAR: Segne mich
VERZEHRTER freudig: Spürst du spürst auch du den rufenden Hauch?
TAMAR ihn umarmend: Spüre!
VERZEHRTER entsetzt: Weib! Will sich befreien.
TAMAR verzweifelt: Liebe mich, liebe mich
VERZEHRTER: Deine Arme Feuer
TAMAR: Segne mich, heilige mich, liebe mich
VERZEHRTER: Fleisch schreit
TAMAR: Ja, es schreit; ich schreie: Du, mein Mann, liebe mich, eh ich versinke, verteufele, verfaule, schreie ich nur dies: Liebe mich, liebe mich!
VERZEHRTER sich entwindend: Mein Gebot
TAMAR: Menschen zu retten, Menschen selig zu machen! Mich aber, Bester, Liebster, ausstoßen will man mich, schänden, verschütten, weil ich, dein Weib, noch kein Kind dir gebar.
VERZEHRTER fanatisch: Es ruft
TAMAR: Ich rufe nach dir, ich schreie nach dir; rette mich! Hörst du es nicht? Du hörst es! Zu lange schwieg ich, Mond und Monde, da deines Vaters Blicke mich durchsuchten; ich log, dass du mich erkannt und in Liebe zu mir gekommen, ich beugte meinen Nacken, da er mit schneidenden Worten mich peitschte, mich unfruchtbar verfluchtes Gewächs, und doch leise hast du kein einziges Mal mich berührt.
Der Knabe ist unbemerkt von rechts eingetreten und steht halb im Dunkel wie gebannt.
VERZEHRTER schauend: Nein, nein; nicht darf ich mich verfestigen an eines; ablegen heißt es alles, ablegen, sich bereiten
TAMAR an ihn geklammert: Sich bereiten? Bin ich nicht bereit? Hat nicht die Erde selbst mit Kraft mich geweiht, dürstet mein Schoß nicht nach Gnade, schreit mein Leib nicht nach Segen?
VERZEHRTER: Wir sind nicht Samen, wir sind der Wind.
TAMAR: Wie du das sagst?
VERZEHRTER geheimnisvoll: Es weht
TAMAR: Sternenquelle dein Leib
VERZEHRTER: Scharen und Scharen
TAMAR: Mondscheibe dein Angesicht
VERZEHRTER: Sie wallen im Wind
TAMAR: Ich halte dich! Sie zieht ihn hinweg.
Wind weht.
KNABE scheu hervor: Grausen die Erde ruft die Luft Menschenstöhnen Bruder, Bruder!
Windbrausen.
KNABE eilt ganz nach vorne: Was raunt, was rauscht Wind ein Flügel, eine Kehle rauscht, wie er rief Bruder! Du warst ein falbes Ross, das die Löwin raubte. Er eilt ihnen nach.
Windstoß.