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Doktor Wanner. Schauspiel von Friedrich Wolf
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
17.12.2024
ISBN:
978-3-68912-403-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 208 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Historischer Roman, Kriegsromane
Ärztliche Ethik, Chirurgie, Deutsche Besatzung, Ehekrise, Flucht, Freundschaft und Rivalität, Franzosen, Frontberichte, Gestapo, Heimat und Verlust, Hoffnung, Ideologie und Pflicht, Intrigen, Krankenhaus, Krankenhausdrama, Kriegsdrama, Kriegsethik, Kriegsgefangene, Liebe und Loyalität, Liebe und Verrat, Menschliche Schwächen, Menschliches Glück, Menschlichkeit, Mord, Moralische Konflikte, Moralisches Dilemma, Mut und Verrat, NS-Regime, NS-Zeit, Patrioten, Sabotage, Schuld und Sühne, Tragödie, Verantwortung, Verletzte Soldaten, Verwundung, Verzweiflung, Widerstand, Zwangsarbeiter, Zweiter Weltkrieg
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ERSTER AKT

Warteraumecke und Chefarztzimmer der chirurgischen Abteilung eines städtischen Krankenhauses in Süddeutschland. Die Wände sind mit weißer Ölfarbe gestrichen. Blinkende Instrumentenschränke. Alles strahlt von Chirurgie, Asepsis, Wissenschaft. Die Warteraumecke nimmt etwa ein Drittel der Bühne ein; sie ist von dem Chefarztzimmer durch eine gepolsterte Tür getrennt. Dort sitzen um ein Tischchen, in Zeitschriften blätternd, MUTTER BIRKLE, eine korpulente Frau, ihr achtzehnjähriger Sohn FRANZ, der mit dem Kopf ständig nervös „schüttelt“, und der Klempnermeister EISENLOHR in einer alten Pionieruniform. – Im Chefarztzimmer stehen vor einem großen weiß lackierten Schreibtisch in Laborantenkitteln OHM EUGEN und GASTON. Im Hintergrund an einem breiten Fenster, dessen untere Hälfte aus Milchglas ist, hängen an einem Draht mehrere Röntgenfilme; hinter der oberen durchsichtigen Hälfte des Fensters des Zimmer sieht man dichtfallende Schneeflocken.

 

GASTON (einen Röntgenfilm gegen das Licht haltend): Ob er dafür noch Zeit haben wird?

OHM EUGEN: Pause, mon vieux – ich habe ihn gelehrt, Leute, die nichts tun, haben nie Zeit; Leute, die viel arbeiten, haben immer Zeit.

GASTON: Ich meine, weil er morgen zur Front muss.

OHM EUGEN: Muss? – Sagen wir: jeder Mann sein eigner Fußball!

GASTON: Nun, nun, Ohm Eugen, der Herr Oberarzt hat sich doch freiwillig gemeldet, obschon er als Chef der Abteilung u. k. ist.

OHM EUGEN: Und dafür setzt man uns als Stellvertreter einen quasi Nichtchirurgen hin, einen SS-Sturmbannarzt; ich kenne die beiden Jungens wie meine Tasche, habe sie in Tübingen zum Physikum und Staatsexamen eingepaukt, war selbst da cand. med. und „ewiger Student“, Zeiten waren das, mon vieux, Zeiten …

 

Vivat academia, vivant professores,

Pereat diabolus, qui est antiburschicus …

 

Vivat etiam campus mensurae, der Fechtboden, der Tübinger Schlosswein, die Ausritte im Mai ins Neckartal … wohin, wohin? Vanitas,-vanitatum. (summt vor sich hin)

 

Ich hab’ meine Sach’ auf Nichts gestellt, Juchhe!

Drum ist’s so wohl mir in der Welt, Juchhe!

Und wer will mein Kamerade sein, der stoße mit an,

Der stimme mit ein, bei dieser Neige Wein!

 

Tempi passati! Stecken wir uns eine Träne ins Knopfloch! Was habe ich alter Hund hier noch zu tun?

GASTON: Solange man noch singen kann, Ohm Eugen …

OHM EUGEN: Andere Lieder sind das heute, mon pauvre garcon (mit Geste) und auch die Männer und Mädels … damals, ja. da schaute ich weniger auf die Leichen des Präpariersaals und in die Lehrbücher der Professoren als in die Augen der Professorentöchterlein … trocken ist die Welt geworden, poesielos. lieblos …

GASTON: Weil Herr Oberarzt sich an die Front gemeldet hat … trotz Madame?

OHM EUGEN: Madame. Madame … der Mensch ist heute mit etwas anderem verheiratet, als mit dem Weibe, der Teufel weiß es. Und wo Madames Charme versagt, da endet auch Ohm Eugens Eingriff. – Du wartest auf seine Unterschrift?

GASTON (mit Filmen): Einige Diagnosen sind noch zu signieren.

OHM EUGEN: Und meine Krankengeschichten. Er aber schüttelt das alles ab wie der Pudel das Wasser; doch so schnell gehst du Ohm Eugen nicht durch die Lappen, mein Junge! Carpe fugientem!

 

Während er durch die linke Tür und den Warteraum geht, wird er von den PATIENTEN angehalten …

 

MUTTER BIRKLE: Herr Doktor, ein Wort!

OHM EUGEN: Bin nicht „Herr Doktor“, bin bloß Ohm Eugen, der „ewige Student“.

MUTTER BIRKLE: Wie kann ein so alter Herr noch Student sein? Einerlei. Aber mir ist’s nicht einerlei, wenn mein Franz – steh auf, Franz, vor dem Herrn! – wenn man den Franz, der bei der Bombardierung das Schütteln bekam und noch zwei Finger dabei verlor, jetzt an die Front schicken will! Was soll denn so ein krankes Kind da draußen, bei Schnee und Eis, wo man keinen Hund vor die Tür jagt? Falls Sie selbst Kinder haben, mein Herr …

OHM EUGEN (abwehrend): Nein, nein, danke.

MUTTER BIRKLE: Aber eine Mutter werden Sie doch gehabt haben, mein Herr, und die Gefühle einer alten Mutter …

OHM EUGEN: Mater, digna et venerabilis, favete linguis, sparen Sie Ihre Worte für den Herrn Oberarzt!

EISENLOHR (vor ihm): Es bedarf da nicht vieler Worte, mein Herr, ich bin der Spenglermeister Eisenlohr, Sie entsinnen sich, Herr Oberarzt hat meinen doppelseitigen, eingeklemmten Leistenbruch operiert, einen Bruch so groß wie ein Kindskopf, und jetzt soll ich mit einem Pionierbaubataillon nach dem Osten, mitten im Winter, 50 Jahre bin ich alt, war bisher in der Heimat im Einsatz – nein, hören Sie mich an – ich habe manches Blechdach repariert und manchen Badeofen, auch für den Herrn Krankenhausinspektor Feuchtenbeiner hier, verstehen Sie, ohne Rechnung zu schicken, natürlich; und was ist der Lohn dafür …

OHM EUGEN: So schicken Sie ihm in Dreiteufelsnamen doch die Rechnung!

EISENLOHR (erschrocken): Vergessen Sie, was ich sagte, mein Herr, vergessen Sie es

 

LILLI, im Arztmantel – Stethoskop und Perkussionshammer schauen aus der Manteltasche – mit einigen Krankenblättern von links.

 

LILLI (zu Ohm Eugen): Ist Paul schon in seinem Kabinett?

OHM EUGEN: Suche ihn ja selbst.

MUTTER BIRKLE: Wir alle warten auf ihn; ich habe schon ganz geschwollene Füße von all dem Rennen und Warten wegen dem Franz.

FRANZ: Lass es doch, Mutter; ich geh zur Front und fertig! 'ne Handgranate kann ich immer noch weghauen.

MUTTER. BIRKLE (wütend): Und ich kann dir immer noch den Hintern verhauen, du Lauser, und eins aufs Maul geben, du Esel! (zu Lilli) Achten Sie nicht auf den Dummkopf, Fräulein!

OHM EUGEN: Hören Sie. Lilli, die Alte macht Ihnen Komplimente.

(zu Mutter Birkle) Mutter, dies „Fräulein“ ist Frau Doktor.

MUTTER BIRKLE (scheu): Die Frau unseres Herrn Oberarztes?

LILLI (lächelnd): Ist das so schlimm?

OHM EUGEN: Mut, Mutter! Ihr könnt Frau Doktor alles an ihr ärztliches Herz legen; ich alter Hund habe da einen Stein in der Brust. Ut di bene vertant! (links ab)

LILLI: Ihr Sohn ist nervenleidend?

MUTTER BIRKLE: Und hat noch zwei Finger verloren; denken Sie doch, so ein Kind ohne Finger in Feindesland …

EISENLOHR: Und ich mit meinen 50 Jahren auf dem Buckel, Frau Doktor, und meinem doppelseitigen, eingeklemmten Leistenbruch, so groß wie ein Kindskopf, und wo ich noch Spezialist bin für Badeöfen und Ventilation, stets gern zu Diensten, falls Frau Doktor einmal das Bedürfnis einer Reparatur haben sollten …

LILLI: Vielen Dank, aber ich denke, Sie sollten mit Herrn Oberarzt persönlich sprechen!

 

Sie geht nach rechts ins Chefarztzimmer, während die DREI im Warteraum wie anfangs sich mit den Zeitschriften beschäftigen und MUTTER BIRKLE zu stricken beginnt

 

LILLI: Auch Sie warten auf ihn, Gaston?

GASTON: Auf Sie, Madame.

LILLI (leiser): Bitte künftig „Frau Doktor“!

GASTON: Bien! Aber dann bitte auch „Mr. Bruyere“!

LILLI: D’accord. – Haben Sie den andern schon gesehen, seinen Nachfolger?

GASTON: Es soll ein SS-Arzt sein.

LILLI: Ein Sturmbannarzt, oder so was. Paul hat mich beruhigt, dass es sein alter Schulkamerad ist.

GASTON: Sie sind beruhigt?

LILLI (ablenkend): Sie wollen dem Herrn Oberarzt noch Röntgenfilme vorlegen?

GASTON: Zuerst Ihnen, Frau Doktor, da es Patienten Ihrer Station sind. – Hier der Film von Pierre Lequerc mit der starken Abdunklung über der rechten Lungenspitze, offenbar eine Caverne.

LILLI (den Film gegen das Licht haltend): Sie irren, Gaston, pardon, Mr. Bruyere – das ist nicht Lequerc’s Film!

GASTON: Es ist Lequerc’s Film; lesen Sie bitte Namen und Nummer!

LILLI: Name und Nummer waren mit Kreidestift vermerkt; man konnte sie wegwischen und eine neue Signatur schreiben.

GASTON: Man kann sogar in dem Krankenjournal den neuen Befund eintragen; man ist sogar verpflichtet …

LILLI: Verpflichtet …

GASTON (leiser): Menschenleben aus dem Krieg zu retten, diesen Krieg abzukürzen mit allen Mitteln, Menschen zu retten, Landsleute, Patrioten.

LILLI (ebenso): Mon dieu, Gaston, ich habe Sie schon einmal gebeten, ich kann da nicht weiter mit; ich verstehe Ihren Patriotismus, ich achte ihn, aber ich selbst bin unpolitisch, gänzlich unpolitisch, ich schwöre es Ihnen, ich bin eine Ärztin und die Frau eines Arztes, verstehen Sie, eines deutschen Arztes …

GASTON: Wenn ich nicht irre, Madame, so wurden Sie in Lyon geboren, an der Rhone, in die heute das Blut der Arbeiter fließt, die sich weigern, nach Deutschland verschleppt zu werden …

LILLI: Schweigen Sie, um Gottes willen!

GASTON (eindringlich): Sie kennen die sonnigen Hügel um Lyon an der silbergrünen Rhone, die zu den Wein- und Olivenhängen der Provence hinabfließt; Ihr Patient Lequerc träumt davon Tag und Nacht, sein altes Lungenleiden, das in Deutschland zunahm, hat die Macht seiner Träume nicht vermindert. Ob Sie das verstehen, Madame?

LILLI: Und wenn ich es verstehe … ich gehe nicht weiter mit Ihnen, Gaston, ich kann nicht, ich will nicht immer wieder die Krankenbefunde und Diagnosen frisieren, damit Ihre Patrioten nach Frankreich zurückgelangen; ich liebe meinen Mann, ich kann nicht länger vor ihm dies doppelte Spiel spielen und ihn betrügen!

GASTON (beobachtend): So müssen Sie ihm die Wahrheit sagen.

LILLI: Sind Sie wahnsinnig!

GASTON: Weshalb?

LILLI: Er müsste es doch melden …

GASTON: Und Sie und sich desavouieren.

LILLI: Ah, so rechnen Sie?

GASTON: Tue ich es für mich?

LILLI: Nein, Gaston; aber Überspannen Sie nicht den Bogen!

GASTON: Pardon, Madame, wenn ich zu viel verlangte.

LILLI: Ah, Gaston, geben Sie sich nicht den Anschein eines Bedauerns oder Mitgefühls! In der Mathematik Ihres patriotischen Denkens gibt es solche Dinge nicht. Ich lese dagegen in Ihren Augen die Frage: Wenn er seine Frau wirklich liebte, weshalb hat er sich dann freiwillig an die Front gemeldet? Habe ich recht vermutet, Gaston?

GASTON: Madame sind eine erstaunliche Gedankenleserin.

LILLI (ihn anschauend): Falls aber seine Meldung zur Front in keiner Weise meine Gefühle verletzte?

GASTON: Wie?

LILLI: Falls ich völlig einverstanden wäre mit seinem Fronteinsatz?

GAS ION: In Hitlers Armee Kriegsdienst zu leisten …

LILLI: Als Chirurg den Verwundeten dort zu helfen, wo der rechte Platz ist für seine Tatkraft, sein Temperament, seine ärztlichen Fähigkeiten.

GASTON: Ärztlichen Fähigkeiten … helfen … exzellent, Madame. (leidenschaftlich) Und welchen Verwundeten? Und zu welchem Zwecke? Diese Hitlersoldaten wieder kampffähig zu machen, das heißt – wollend oder nicht – den Krieg um Monate oder Jahre verlängern, die Länder und auch unser Frankreich in Brandstätten verwandeln. Jede Frau dieser Erde müsste das heute begreifen und sich dagegen stemmen, dass nur ein einziger Hitlersoldat noch an die Front geht!

LILLI (nachdenklich): Vielleicht wenn man so mit ihm spräche?

GASTON: Warten Sie.

LILLI: Sie selbst erklärten, ich müsse ihm die Wahrheit sagen!

GASTON (sie fixierend): Es war eine Art Probe.

LILLI: Worauf?

GASTON: Dass Sie nichts sagten.

LILLI: Sie – halten es für unmöglich, dass er uns versteht?

GASTON: Unmöglich! Er ist ein Deutscher, kein Parteimann der Nazis natürlich, da Sie Französin sind, aber ein deutscher Arzt. (dringlich) Wenn wir den Pierre Lequerc und Jean Carpentier noch retten könnten, gute Menschen, gute Franzosen, die hier zugrunde gehen, die man in Frankreich braucht; wenn Sie ihm wenigstens diese Röntgenbefunde noch zur Unterschrift vorlegen …

LILLI (gequält): Ich kann nicht, Gaston …

 

STIMMEN von rechts

 

GASTON (schnell): Madame, wir rechnen auf Sie!

LILLI: Ich werde ihn zu überzeugen versuchen …

GASTON: Und uns verraten …

LILLI: Still!

 

Sie nimmt einen der Röntgenfilme und betrachtet ihn gegen das Licht. – In den Warteraum sind eilig eingetreten Dr. PAUL WANNER, ein athletisch gebauter Mann, Dr. KLEMM in der Uniform des SS-Sturmbannarztes mit darübergezogenem offenem Arztmantel und der Krankenhausinspektor FEUCHTENBEINER, eine Tonne von Mensch. – MUTTER BIRKLE und EISENLOHR springen auf und drängen zu Dr. WANNER.

 

MUTTER BIRKLE: Endlich, Herr Oberarzt …

EISENLOHR (dazwischen.): Herr Oberarzt entsinnen sich bestimmt noch meiner Operation, Klempnermeister Eisenlohr, doppelseitiger, eingeklemmter, kindskopfgroßer Leistenbruch … „ein klassischer Fall“ sagte Herr Oberarzt, „allerhöchste Zeit, dass wir eingriffen“!

Dr. WANNER: Und wie wir eingriffen, Eisenlohr, was? Weg ist der Kindskopf!

MUTTER BIRKLE (erregt): Alles ist weg! Weg sind dem Franz seine beiden Finger – steh auf, Franz! – ist diese dreizinkige verbogene Gabel noch eine Hand; was soll dieses Kind ohne Hand da draußen an der Front?

Dr. KLEMM: Aha, daher weht der Wind?

MUTTER BIRKLE: Ja, mein Herr, daher weht der Wind, und die Mutter Birkle hat man noch mehr Wind in ihrer Lunge, falls es darauf ankommt.

Dr. KLEMM: Hier herrscht ja ein heiteres Tönchen.

MUTTER BIRKLE: Wenn Sie das ein heiteres Tönchen nennen, mein Herr?

FEUCHTENBEINER (streng): Nehmen Sie sich zusammen, Frau Birkle, dieser „Herr“ ist der kommissarische Stellvertreter des Herrn Oberarztes: so ist die Sache orientierbar!

Dr. KLEMM: Lassen Sie, Herr Inspektor; die Frau soll ruhig sagen, was sie auf dem Herzen hat.

MUTTER BIRKLE: Das ist ein Wort, Herr Stellvertreter! Sie haben ein Herz für eine Mutter; und darum sage ich: Soll dieses Häufchen Elend, dieses Kind mit seiner halben Hand und seinem Wackelkopf da draußen vielleicht die Russen besiegen?

Dr. KLEMM: Es soll und wird, gute Frau! Seien Sie unbesorgt! Der Fronteinsatz wirkt geradezu Wunder auf Nervenschwache, das wissen wir Ärzte! Wenn es zum Sturm geht, da wird der wackligste Kopf festsitzen wie Eisenguss!

FRANZ: Ich werde schon den andern den Mann abhalten, Herr Arzt; ich war beim Fußball Mittelstürmer!

Dr. KLEMM: Bravo, ein guter Junge!

MUTTER BIRKLE: Ein Kindskopf, ein Eselskopf, ein Idiot! (reißt ihn an sich) Franz, mein Kind, mein einziges Kind, ich habe doch niemanden als dich, ich lass dich nicht ganz kaputtmachen, ich lass dich nicht dahin!

Dr. KLEMM (verändert): Führen Sie nicht solche Reden hier, Frau! Ich verbitte mir das! (gegen Eisenlohr) Und auch Sie, was war noch mit Ihnen?

EISENLOHR: Ein vor kurzem operierter doppelseitiger Leistenbruch, so groß wie ein Kindskopf, Herr Stabsarzt.

Dr. KLEMM: Ausgezeichnet! Bewegung im Freien wird die Bauchmuskulatur außerordentlich kräftigen und ein Rezidiv verhüten.

EISENLOHR: Ohne Ihnen nahetreten zu wollen, Herr Stabsarzt, aber ich bin in einem Pionierbaubataillon, wo man schwer heben muss …

Dr. KLEMM (scharf): Heben Sie schwer, Mann, heben Sie leicht, heben Sie wie Sie wollen; aber denken Sie ja nicht, dass wir euch einen Krieg zurechtbacken können, wie er euch gerade passt! Wir brauchen heute da vorn jeden Mann und jeden Finger, ob grad oder krumm, groß oder klein, stark oder schwach! Aber was wir nicht brauchen, das sind Heulmeier, Waschlappen und Drückeberger! Ich denke, wir haben uns verstanden!

MUTTER BIRKLE (verzweifelt): Was wird aber aus meinem Jungen, Herr Doktor?

Dr. KLEMM (giftig): Sie haben mich offenbar großartig verstanden, Frau! – Herr Inspektor, ich wünsche solche Elemente künftig nicht mehr hier zu sehen! (während Feuchtenbeiner die drei nach links hinausdrängt) Das ist ja ein netter Empfang hier, Paul?

Dr. WANNER: Ich habe mit Absicht nicht eingegriffen, Hans, damit du gleich richtig im Bilde bist.

Dr. KLEMM: Heißen Dank; aber das Bild wird sich hier bald grundlegend ändern, garantiert!

Dr. WANNER: Ich denke, der Krieg dauert einfach zu lange.

Dr. KLEMM: Denkst du

 

Er geht mit ihm nach rechts ins Chefzimmer, wo LILLI über den Krankenblättern am Schreibtisch sitzt, und GASTON die Röntgenfilme ordnet …

 

Dr. WANNER: Lilli, was gibt's?

LILLI: Einige Nachträge und Unterschriften.

Dr. WANNER: Verzeihung, ich vergaß! (Darstellend) Dr. Hans Klemm, Stabsarzt, mein kommissarischer Stellvertreter, alter Schulfreund, Studienkamerad und Rivale bei manchem Tübinger Bürgertöchterlein – mais il n’y a pas une motif, d’etre jalouse, ma chérie – und das ist Lilli, meine Gattin und liebe Frau, Assistenzärztin der inneren Abteilung. Dixi!

Dr. KLEMM: Ungemein erfreut, Sie kennenzulernen, gnädige Frau! Paul hat mir bereits von Ihnen erzählt.

LILLI: Paul liebt es, zu übertreiben.

Dr. WANNER: Du wirst selbst feststellen, Hans, ob ich recht habe. Doch ich sehe strenge Zornesfalten auf der Stirn meiner Göttin: du musst verstehen, Hans, Lilli ist im Dienst eine mehr als gewissenhafte Kollegin, sie ist geradezu eine Arbeitsfanatikerin, alles, was sie macht, macht sie fanatisch; sie ist immer …

LILLI (mit den Krankenblättern): Es sind 2 ulcus ventriculi und vielleicht noch eine Tbc zur Thorakoplastik auf deine Abteilung zu verlegen.

Dr. WANNER. Und was haben Sie, Gaston?

GASTON: Ich werde warten, bis Frau Doktor …

Dr. WANNER: Neue Filme? Geben Sie schon her! (nimmt sie, liest) Pierre Lequerc, Jean Carpentier … (hält den einen Film gegen das Licht) Das ist ja eine Bombencaverne … Pierre Lequerc … Ihre Landsleute, Gaston, scheinen das deutsche Klima schlecht zu vertragen.

Dr. KLEMM: Ihr habt französische Patienten?

Dr. WANNER: Einige Arbeiter aus Lyon.

Dr. KLEMM (auf Gaston): Und dieser?

Dr. WANNER: Gaston ist bei uns Laborant im Röntgenlabor, ein Kriegsgefangener, der schon in Frankreich im Hospital arbeitete; bei unserem Mangel an Spezialkräften, du verstehst.

Dr. KLEMM: Und was macht ihr mit den kranken Franzosen?

Dr. WANNER: Innere oder chirurgische Behandlung, je nachdem.

Dr. KLEMM: Ich glaube, Paul, wir sind da mal wieder verdammt sentimental.

Dr. WANNER: Schließlich sind die Leute hier bei der Arbeit erkrankt.

Dr. KLEMM: Und unsere deutschen Frauen und Jungens an den Werkbänken, die sehen heute auch nicht gerade rosig aus, nur, die beißen die Zähne aufeinander, die jammern nicht bei jedem Dreck; der Franzose aber ist ein Nervenbündel, verweichlicht …

GASTON: Pardon, Herr Stabsarzt, der Arbeiter Pierre Lequerc leidet an Tuberkulose; er hat …

Dr. KLEMM: Habe ich Sie um Ihre Meinung befragt? – Wir sollen wohl bei diesem Mr. Lequerc noch eine Paraffinplombe oder eine Thorakoplastik machen? Und hier bei diesem Mr. Carpentier … ein ulcus ventriculi, das kann man nach dem Krieg behandeln, falls es nicht spontan heilt.

LILLI: Wollen Sie es darauf ankommen lassen, Kollege?

Dr. KLEMM (betont): Draußen, Kollegin, fallen gesunde deutsche Männer zu Tausenden, Männer wie die Eichen. Da sollen wir bei unserer Knappheit an Betten und Material aus den französischen Lungen- und Magenkrüppeln so viel Wesens machen?

LILLI: Ich denke, Herr Kollege, wir sind hier in der Klinik vor allem Ärzte, und wenn dieser Franzose für uns arbeitet …

Dr. WANNER: Selbstverständlich, Lilli, der Mann muss und wird behandelt werden. – Du musst verstehen, Hans …

Dr. KLEMM: Verstehe! (zu Gaston) Sie können gehen!

GASTON nach links ab. – Kurzes Schweigen

Dr. KLEMM (mit Blick auf Lilli): Falls für die Kollegin irgendwelche Schwierigkeiten bestehen sollten …

Dr. WANNER: Unsinn, Hans! Lilli arbeitet bereits drei Jahre mit mir zusammen.

Dr. KLEMM: Eigentlich eine ganz schöne Zeit, sich umzuschalten.

Dr. WANNER (lebhaft): Längst geschehen, Hans, längst geschehen, jede Diskussion überflüssig, nicht wahr, Hexe? Zudem ist Lilli viel zu einsichtig, nicht zu erkennen, in welcher Richtung sich das Rad der Geschichte dreht, und wo die Kraft der Entwicklung liegt.

Dr. KLEMM: Mir scheint, diese Kraft müsste vor allem eine Frau beeindrucken! Nicht bloß die Völker beugen sich endlich dem Naturrecht des Stärkeren, sondern gerade auch die Frauen. Liefern nicht die Geschichte und das Leben hierfür massenhafte Beweise?

LILLI (ihn anschauend): Massenhafte, Herr Kollege.

Dr. KLEMM: Auch Paul wird noch sein Wunder erleben, wenn er seine Kräfte, die hier brach lagen, in der vordersten Linie einsetzen kann.

LILLI: In der vordersten Linie?

Dr. WANNER (schnell): Du musst das nicht so wörtlich nehmen. Lilli; ich werde in einem Frontlazarett als Chirurg arbeiten.

Dr. KLEMM (plump): Bist du nicht Bataillonsarzt in einem Panzergrenadierregiment?

LILLI (erschrocken): Aber Paul sagte mir doch immer …

Dr. KLEMM: Halten Sie es nicht für eine Ehre für den Mann, in vorderster Linie zu stehen?

LILLI (erregt): Halten Sie es für eine Schande, wenn eine Frau für das Leben ihres Mannes fürchtet?

Dr. KLEMM: Die deutsche Frau … Verzeihung.

Dr. WANNER (dazwischen): Deutscher Mann – deutsche Frau. Schluss damit, alter Uhu! Heute ist heut! Du kommst den Abend zu einem Abschiedstrunk zu uns, und du wirst sehen, was für ein wunderbarer fröhlicher und tapferer Kerl Lilli ist! Abgemacht!

 

FEUCHTENBEINER von links

 

FEUCHTENBEINER: Gestatten, wenn ich störe?

Dr. WANNER: Was gibt’s?

FEUCHTENBEINER: Bleibt es bei der Verlegung der drei Inneren auf die Chirurgische?

Dr. WANNER (zu Lilli): Die zwei Magenulcus und die Thorakoplastik?

FEUCHTENBEINER: Die beiden Franzosen und der junge Lämmle.

Dr. KLEMM: Ich verzichte auf die Franzosen.

Dr. WANNER: Moment, Hans! Heute, wenn es auch mein letzter Tag als Chef ist, werde ich selbst die Einteilung vornehmen und mir sogleich die Röntgenbefunde ansehen.

FEUCHTENBEINER: Es sind unsere letzten drei Reservebetten, Herr Oberarzt.

Dr. WANNER: Sie haben mich verstanden, Herr Inspektor! Sie können Herrn Stabsarzt inzwischen das Röntgenkabinett und die orthopädische Abteilung zeigen; ich denke, es interessiert dich, Hans?

Dr. KLEMM: Wie du meinst.

 

Dr. KLEMM und FEUCHTENBEINER links ab

 

Dr. WANNER (hat die Röntgenfilme genommen, ohne sie jedoch zu betrachten): Sei etwas klug, Lilli! Hans hat noch etwas den Ton des Sturmbannarztes; und heute ist Krieg! (nahe bei ihr) Das versteht doch meine kluge Hexe? Und zudem eine Hexe kann alles, ist so eine Art Zauberin, die auch mit den stärksten Männern fertig wird!

ULLI (schaut ihn an): Denkst du?

Dr. WANNER: Ich weiß, was meine Hexe will, das geschieht!

LILLI: Du traust mir wirklich viel zu, Paul.

Dr. WANNER: Wieso?

LILLI: Weshalb hast du dich nach vorn gemeldet, zu den Panzergrenadieren?

Dr. WANNER: Man hat mich dahin kommandiert.

LILLI: Weshalb hast du mir aber gesagt, du würdest nur in einem Feld- oder Etappenlazarett arbeiten?

Dr. WANNER: Weil ich dich nicht beunruhigen wollte, Hexe, (leise) weil ich dich liebe.

LILLI: Und doch hast du dich freiwillig von hier weggemeldet?

Dr. WANNER: Ich denke, dieses Thema haben wir hinter uns.

LILLI (nimmt, ihre Erregung verbergend, die Krankenblätter): Ja, dieses Thema haben wir hinter uns.

Dr. WANNER: Mein Gott, Lilli, du weißt doch, ich bin ein passionierter Chirurg. Viele grade der schwersten Schädelsachen und innere Verletzungen kommen gar nicht bis in die Heimat, sondern werden gleich vorn operiert oder gehen dort zugrunde, und hierher kommen nur die leichten Fälle, der Hühnermist; ich aber sitze hier zweitausend Kilometer hinter der Front wie ein verkalkter Mummelgreis …

ULLI: Ich verstehe dich ja, Paul …

Dr. WANNER: Ich weiß doch …

LILLI (umarmt ihn, fassungslos): Solche Angst habe ich um dich, Paul, solche schreckliche Angst!

Dr. WANNER (zärtlich): Was soll mir denn schon passieren, meine gute, liebste, allerliebste Hexe? Ich sitze am Verbandsplatz in voller Deckung; ich werde die Nase schon nicht unnütz herausstecken, das verspreche ich dir. Und übrigens, wie wir gebaut sind! (er reckt sich, wölbt die Brust heraus) Mit ein paar Kugeln und Splittern nehme ich es schon noch auf, und in einem halben Jahr komme ich auf Urlaub.

LILLI: In einem halben Jahr?

Dr. WANNER: Siehst du!

LILLI: In einem halben Jahr… das ist schrecklich lang.

Dr. WANNER (lachend): Ach, du meine kleine Hexe! So verliebt bist du noch immer? (drückt sie an sich)

LILLI (sich losreißend): Gar nicht verliebt bin ich!

Dr. WANNER (leise singend): „L'amour l’enfant de la Bohème … et encore plus de la Provence! Unter deinen blonden Haaren, ma chérie, brennt die Sonne der Bouche du Rhone (nimmt wieder die Filme) Was hat meine Hexe für Wünsche heute am letzten Tag meiner hiesigen Macht? (hält die Filme gegen das Licht)

LILLI: Eine Viertelstunde ruhig mit dir zu sprechen.

Dr. WANNER: Heute Abend …

LILLI (erregt): Sofort! Augenblicklich!

Dr. WANNER: Capricen, Lilli? Capricen sind keine Wünsche!

LILLI (plötzlich): Gut. (nimmt ihm die Röntgenfilme weg, schaut ihn an) Wünsche muss man unbesehen erfüllen!

Dr. WANNER: Ah, die beiden Franzosen sollen auf die chirurgische Station? Erraten?

LILLI: Erraten.

Dr. W ANNER: Wo sind die Krankenblätter?

LILLI: Hier, (legt sie wieder auf den Tisch)

Dr. WANNER (schreibt die Filme kontrollierend): Pierre Lequerc … Walnussgroße Caverne, rechter Oberlappen … Paraffinplombe vorgeschlagen oder Entlassung als dauernd arbeitsunfähig … Jean Carpentier, Sanduhrmagen, ulcus ventriculi … (unterschreibt) Zufrieden?

LILLI (nicht)

Dr. WANNER (lachend): Was die Hexe will, geschieht!

 

Dr. RITTER, ein kleiner buckliger Mensch, kommt durchs Wartezimmer

 

Dr. RITTER (eintretend): Verzeihung, Herr Oberarzt, es ist eine Unklarheit wegen der Verlegung auf unsere Station.

Dr. WANNER: Alles sonnenklar.

Dr. RITTER: Ihr Stellvertreter, der Herr Stabsarzt, hat angeordnet …

Dr. WANNER: Kinder, wollt ihr mir denn unbedingt am letzten Tag mit jedem Lausedreck die Laune verderben! Kollege Ritter, Sie sind meinem Stellvertreter von vornherein nicht grün, weil Sie selbst mein Nachfolger werden wollten! Hand aufs Herz, stimmt's?

Dr. RITTER: Es wäre zweckmäßig gewesen, diese Frage vorher zu stellen, Herr Oberarzt.

Dr. WANNER: Sie wissen, ich entscheide darüber nicht allein.

Dr. RITTER: Richtig, doch es war Ihnen unbenommen, Herr Oberarzt, Vorschläge zu machen. Und ich frage mich da, nachdem ich fünf Jahre als erster Assistent hier wirkte, nachdem meine Kenntnisse gewiss nicht zurückstehen hinter denen anderer Kollegen …

Dr. WANNER (ungeduldig): Unsinn, keine Minderwertigkeitskomplexe, bitte ich mir aus! Die Nasenspitze hoch, und machen Sie sich selbst nicht kleiner als Sie sind, mein Riese! Alles wird wunderbar, Sie Glücksritter!

Dr. RITTER: Ich finde, Sie sind heute in blendender Laune, Herr Oberarzt.

Dr. WANNER: Bin ich immer, im Allgemeinen, richtig, Lilli? – Das heißt: Laune? Konstitution, Physis ist das! Mit der Physis fängt alles an! Wir Ärzte müssen unsern Kranken doch von der eigenen Kraft abzugeben haben, was wären wir sonst?

Dr. RITTER: Ich verstehe – dann ist der „Riese“ allerdings ein nicht sehr geeigneter Arzt und Abteilungsleiter.

Dr. WANNER: Nun aber Schluss, Kollege, Psychoanalyse ist nicht mein Fach, auch Ihre Stunde wird kommen! Nase hoch! Entschuldigen Sie die Eile! – (hebt ihn spielend hoch und setzt ihn an der Tür links nieder) Ich erwarte Sie heute Abend bei mir zu einem Abschiedstrunk!

Dr. RITTER: Vielen Dank, Herr Oberarzt!

LILLI: Sie kommen doch, Kollege?

Dr. RITTER: Gewiss, ich möchte von der Kraft und Laune Ihres Gatten noch möglichst viel profitieren, (links ab)

LILLI: Weshalb hast du ihn so verletzt?

Dr. WANNER: Verletzt?

LILLI: Deiner Konstitution entsprechend hast du den „Riesen“ wohl sogar recht zart behandelt?

Dr. WANNER: Aber, Hexe, verstehe doch – wenn ich diesen kleinen ehrgeizigen und etwas aufdringlichen Gnom „mein Riese“ nenne, so bekommt er damit erst einmal den verdienten Klatsch auf die Nase, und zugleich steife ich ihm doch etwas das Kreuz; denn er hört es trotz allem nicht ungern.

LILLI: Du bist wirklich ein großer Menschenkenner, Paul.

Dr. WANNER (streckt sich): Ah, endlich einmal heraus aus all dem Hühnermist, wo man jeden Zentimeter einem auf die Zehen tritt, in die freie Luft, in die Weite!

 

ERIKA, als Helferin im weißen Schwesternmantel, mit OHM EUGEN von links

 

ERIKA: Und wenn Sie auf den Händen spazieren gehen, Ohm Eugen, und mit den Füßen Parademarsch dazu trommeln, er hat hundertmal recht!

OHM EUGEN: Mein Kind, ich habe gar nicht die Absicht, auf den Händen zu gehen und mit den Füßen Parademarsch zu trommeln.

Dr. WANNER: Was ist denn in Dreiteufelsnamen wieder los?

ERIKA: Von morgen sollen keine Franzosen oder irgendwelche nichtdeutsche Kranke mehr hier aufgenommen werden!

Dr. WANNER: Gerede!

ERIKA: Nein, Paul, der redet nicht, der neue Chef; (begeistert) da ist jedes Wort ein Schuss, ein Kommando, das sitzt! Der sagt: So ist es und dann ist es so! Pfundig ist das! Der könnte mir sagen, ich solle vom Kirchturm springen, ich täte es!

OHM EUGEN: Weshalb willst du denn unbedingt vom Kirchturm springen?

ERIKA (heftig): Weil ich es satt habe, ewig hier unten zwischen alten Hähnen und Maulwürfen herumzukriechen, während droben die Flugzeuge donnern und draußen an der Front die Panzer krachen! „Schluss mit dem fremden Pack hier in der Klinik“, das ist doch wieder einmal ein erfrischendes Wort, ein frischer Wind!

Dr. WANNER (nach links): Ich glaube, man muss da ein bisschen nach dem Winde sehn.

ERIKA: Lass ihn, Paul, lass ihn, er ist wunderbar!

 

DIE BEIDEN schnell nach links ab

 

LILLI (will ihnen nach)

OHM EUGEN (sie haltend): Bleiben Sie, Lilli, Sie haben da nichts zu tun!

LILLI (erregt): Ich gehöre zu ihm, ich muss doch …

OHM EUGEN: Still, Lilli, hören Sie auf Ohm Eugen! Es gibt Momente, da man eingreifen muss, und es gibt Momente, da man nicht eingreifen kann.

LILLI (zögernd): Wann aber ist dieser oder jener Moment, Ohm Eugen? Ich habe heute kein gutes Gefühl.

 

Doktor Wanner. Schauspiel von Friedrich Wolf: TextAuszug