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Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Täter und seine Zeit von Hans Bentzien
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
13.08.2015
ISBN:
978-3-95655-453-7 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 505 Seiten
Kategorien:
Biografie & Autobiografie / Historisch, Biografie & Autobiografie / Militär, Biografie & Autobiografie / Politisch
Biografien: historisch, politisch, militärisch, Politische Führer und Führung
Stauffenberg, Hitler, 2. Weltkrieg, Attentat, 20. Juli 1944, Helmut Stieff, Henning Tresckow, Yorck von Wartenburg, Graf von der Schulenburg, Olbricht, Wilhelm Leuschner, Dr. Julius Leber, Keitl, Speer, Goerdeler, Wolfschanze
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Der Wiederaufbau der Bahnstrecken gestaltete sich mühsamer, als wir gedacht hatten. Die Russen hatten alle Zwischenstationen zerstört, nirgendwo gab es noch Reparatur-Schuppen, nirgendwo frostsichere Wassertanks, nirgendwo Stationsgebäude und intakte Weichenstellanlagen. Die primitivsten Dinge, die zu Hause das Telefongespräch einer Angestellten erledigte, wurden hier zu einem Problem, auch wenn es sich nur um die Beschaffung von Nägeln oder Bauholz handelte ...

Unterdessen wurde die Lage bedenklich. Die Russen waren mit einer kleinen Panzergruppe durchgebrochen und näherten sich Dnjepropetrowsk. Besprechungen fanden statt, was wir ihnen zur Verteidigung entgegenstellen könnten. Es war so gut wie nichts vorhanden, einige Gewehre und ein liegen gebliebenes Geschütz ohne Munition. Die Russen kamen auf etwa zwanzig Kilometer heran und zirkelten systemlos in der Steppe. Es geschah einer dieser in einem Kriege so typischen Fehler. Sie nutzten ihre Lage nicht aus. Eine kurze Fahrt zu der langen Dnjeprbrücke und deren Zerstörung durch Brand - sie war in mühsamer Arbeit in Holz wieder aufgebaut worden - hätte auf weitere Monate die südöstlich bei Rostow stehende Armee vom Winternachschub abgeschnitten.“

Dieser Etappenbericht zeigt, dass die Erkenntnis Stauffenbergs über die Nachschubprobleme und die desolate Lage der Truppe vollauf berechtigt waren. Wie musste es erst in der Frontlinie aussehen, wenn auch dort zurzeit die Kampfhandlungen durch Schneemassen und Kälte reduziert waren! Mit seinen Eindrücken in Südrussland fährt Speer zu Hitler in die Wolfschanze:

„Ein Adjutant kam und bat mich zu Hitler. Es war gegen ein Uhr morgens. Hitler wirkte erschöpft und missmutig. Wir sprachen über die Berliner und Nürnberger Baupläne, und Hitler wurde zusehends frischer, lebendiger. Auch seine fahle Hautfarbe schien sich zu beleben. Schließlich ließ er sich von mir erzählen, welche Eindrücke ich bei meinem Besuch in Südrussland gesammelt hatte, und half mir durch interessierte Zwischenfragen weiter. Die Schwierigkeiten bei der Wiederherstellung der Bahnanlagen, die Schneestürme, das unverständliche Verhalten der russischen Panzer, die Kameradschaftsabende mit ihren wehmütigen Liedern, das alles kam nach und nach zur Sprache. Bei der Erwähnung der Lieder wurde er aufmerksam und erkundigte sich nach deren Inhalt. Ich zog den mir überlassenen Text aus der Tasche, er las und schwieg. Ich hielt die Lieder für einen verständlichen Ausdruck einer depressiv stimmenden Lage. Hitler jedoch war sogleich von dem böswilligen Wirken eines bewussten Gegners überzeugt. Er glaubte ihm durch meine Erzählung auf die Spur gekommen zu sein. Erst nach dem Kriege hörte ich, dass er gegen die für den Druck dieser Lieder Verantwortlichen ein Kriegsgerichtsverfahren angeordnet hatte.

Diese Episode war bezeichnend für sein ständiges Misstrauen. In der Sorge, nicht die Wahrheit zu erfahren, glaubte er, aus solchen Einzelbeobachtungen wichtige Schlüsse ziehen zu können. Daher neigte er immer wieder dazu, untergeordnete Männer auszufragen, auch wenn sie keinen Überblick haben konnten. Solches mitunter berechtigte Misstrauen war geradezu ein Lebenselement Hitlers, das ihn bis in Kleinigkeiten verfolgen konnte. Darin lag zweifellos auch eine der Wurzeln seiner Isolierung von den Ereignissen und Stimmungen an der Front, denn seine Umgebung vermied möglichst den Besuch unzuständiger Informanten.“

Diese Aufzeichnung ist ein interessanter Einblick in die Gedankenwelt des ersten Mannes im Nazireich, von dem Stauffenberg immerhin Ordnung erhoffte. Diese desolate Psyche konnte sich niemand vorstellen! Inmitten von Bunkern träumt Hitler, isoliert in einer Umgebung, der er nicht traut, von der architektonischen Kulisse seiner Siegesfeiern. Sein Misstrauen in den Generalstab, so können wir wohl berechtigt folgern, muss pathologisch gewesen sein, ein positiver Einfluss Haiders war nicht zu erwarten. Wer auch immer an der Spitze des Stabes stünde, er hätte es schwer, Hitler vernünftig zu beeinflussen, und Haider war bereits gebrochen, er resignierte. Hinter diese verzwickten Zusammenhänge muss Stauffenberg im ersten Halbjahr 1942 gekommen sein, darauf weisen einige überlieferte Berichte von Kameraden hin.

Eines Tages kam der Mitarbeiter des Generalquartiermeisters, Oberleutnant d. R. Julius Speer, zu Besuch zu Stauffenberg. Erstaunt blickte er auf ein Hitlerbild, das hinter dem Schreibtisch aufgehängt war. Stauffenberg sah die Verwunderung Speers und erklärte ihm den Umstand folgendermaßen: „Ich habe dieses Bild ausgewählt und aufgehängt, damit alle, die zu mir kommen, darin den Ausdruck der Proportionslosigkeit des Wahnsinns erkennen.“ In ihrem Gespräch berührten sie die innere Lage und auch die Außenpolitik und fragten sich dabei, welche Wendung man den Dingen geben könne, die Maßlosigkeit Hitlers zu steuern. Sie kamen zu keinem annehmbaren Ergebnis, bis Stauffenberg am Schluss des Gesprächs zu Speer sagte: „Es gibt nur eine Lösung. Sie heißt töten!“ Erschrocken über diese Konsequenz, blieben sie bei den näheren Umständen, die sich aus ihr ergeben würden:

„Wir waren uns darin einig, dass die Schwierigkeiten ungeheuer groß waren und dass ein Schritt dieser Art nur von einer Persönlichkeit unternommen werden könnte, die sofort beim Ausscheiden Hitlers die Macht in der Hand hatte, Staat und Wehrmacht unter Ausschaltung aller Parteiinstanzen zu führen. Andernfalls musste ein völliges Chaos entstehen.“

 

Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Täter und seine Zeit von Hans Bentzien: TextAuszug