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Moderne Schatzgräber, Sommerferien und Märchenvogel sowie Rauchen auf FDJ-Beschluss  – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 14.09. 2018) Schwarzes Gold – das ist eine lexikalische Metapher, die für eine Reihe höchst unterschiedlicher Stoffe gebraucht wird. Die Auswahl reicht von Kohle und Kaffee bis zu Kaviar. An erster Stelle aber wird Erdöl als Schwarzes Gold  bezeichnet. Und genau darum geht es im ersten der fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de jeweils eine Woche lang (Freitag, 14.09.18 – Freitag, 21.09.18) zum Sonderpreis zu haben sind. In Egon Richters Buch Der goldene Schlüssel von Mangaseja“ sind moderne Schatzgräber auf der Suche nach eben diesem Schwarzen Gold, welches schließlich zumindest zu einem gewissen Teil auch in der DDR angekommen war – auch wenn man sich mit dem Wissen von heute womöglich über die Bedingungen streiten kann, zu denen dieses geschah.

 

Olaf und der goldene Vogel“ ist ein poetisches Kinderbuch von Erik Neutsch, von dem man eine solche Art des Schreibens nicht unbedingt erwartet hätte. Da wirkt „Die anderen und ich“ schon eher wie ein „richtiger“ Neutsch, oder etwa nicht?

 

Über das Hin- und Hergerissensein zwischen Stadt und Land, zwischen Vergangenheit und Zukunft erzählt Joachim Nowotny in „Hexenfeuer“.

 

Aktueller denn je ist die Dokumentation Vergessen? Erinnern! Mahnende Geschichte“ über Geschehnisse in Mecklenburg in der Zeit des Hitlerfaschismus und danach von Kurt Redmer, in der er dazu auffordert, sich immer der konkreten Wahrheit zu stellen und die Vergangenheit so zu betrachten, wie sie gewesen ist. „Es soll deutlich werden, zu welchen Verbrechen Hitler und seine Helfer fähig waren. Es ergibt sich somit fast von selbst: Ich will damit auch vor den Parolen der heutigen Rechtsextremisten warnen, die die Lehren der Geschichte missachten und erneut Gefahren für unser Land und andere Völker heraufbeschwören“, so der Autor.

 

Aber damit zunächst einmal zurück zu den modernen Schatzgräbern.

 

Erstmals 1975 erschien im Kinderbuchverlag Berlin „Der goldene Schlüssel von Mangaseja“: Vom südlichen Palmenstrand Bakus zieht Mischa in das nördliche Reich der Bären und Wölfe. Denn seine Eltern sind moderne Schatzgräber, die im sagenhaften Land Mangaseja das schwarze Gold suchen: Mischa erlebt auf seiner langen Reise viel Abenteuerliches, bis er schließlich am „Herz der Seen“ steht. Dort, wo die längste Pipeline der Welt gebaut wird, hebt der Kran ein zottiges Mammut aus dem ewigen Frostboden. Zunächst aber hat Mischa ein Flugzeug bestiegen:

 

„Abschied vom Süden

Mischa kuschelte sich in seinen Sessel und blickte aus dem kreisrunden Fenster. Unter sich sah er die mausgraue Betonbahn, und es war ihm, als flöge sie mit Windeseile davon, schneller und immer schneller. Dabei war sie ganz still. Nur das Flugzeug dröhnte.

 

Wenn Mischa durch das Fenster nach oben blickte, konnte er erkennen, wo der Krach herkam. Er sah dann die langen breiten Tragflächen, die im Sonnenlicht glänzten wie das Einwickelpapier von Schokolade, und die dicken Silbersäcke daran, in denen die Motoren versteckt waren. Natürlich wusste Mischa, dass sie Motorengondeln genannt wurden, aber es machte ihm Spaß, Silbersäcke zu sagen. Aus diesen Säcken kam der Lärm. Zuerst, als das Flugzeug noch an einer breiten weißen Linie gestanden hatte, war er so laut gewesen, dass Mischa sich die Ohren zugehalten und beobachtet hatte, wie die Tragflächen zitterten und bebten. Aber als das Flugzeug immer schneller über die Bahn rollte, hörte Mischa nur noch ein Sausen. Die Propeller drehten sich jetzt so rasend, dass sie überhaupt nicht zu sehen waren, und der anfangs schwarze Rauch, der aus den Auspuffrohren der Motoren kam, war weiß geworden und inzwischen restlos verschwunden. Hinter den Silbersäcken, stellte Mischa fest, flimmerte nur noch die Luft. Endlich hob sich das Flugzeug schwerfällig von der Erde ab, und einen Augenblick lang hatte Mischa Angst, dass es nicht hochkommen und wieder zurückfallen würde auf den Flugplatz. Natürlich zeigte er seine Furcht nicht. Im Gegenteil, er lachte sogar, wenn es ihm auch schwerfiel mit den beiden runden Pfefferminzbonbons im Mund, die ihm die Stewardess vorhin gegeben hatte, damit er während des Starts lutschen konnte. Und er war stolz darauf, dass er sich nicht einmal angeschnallt hatte wie alle anderen. Die beiden Gurte mit dem dicken grauen Schloss daran lagen auf seinem Schoß, und natürlich konnte Sarja es nicht lassen, laut zu ihm zu sagen: „Du hast dich ja nicht angeschnallt, was fällt dir denn ein?“

 

„Ja, ja“, sagte Mischa zu Sarja, „reg dich bloß nicht auf!“ Dann ließ er aber doch den Metallverschluss des Sicherheitsgurtes zuschnappen. Selbstverständlich hatte Mischa das gläserne Schild gesehen, das kurz vor dem Start an der Kabinenwand aufleuchtete und auf dem wie bei allen Flugzeugen russischer und englischer Sprache geschrieben stand: Nicht rauchen! Bitte anschnallen! Aber weil Mischa keine Zigarren und Zigaretten rauchte, hatte er gedacht, er brauchte sich auch nicht anzuschnallen. Und außerdem wollte er nicht so furchtbar artig sein wie Sarja, die sofort, kaum dass sie sich in den Sessel neben Mischa gesetzt, zu den Haltegurten gegriffen, sich angeschnallt und die Startbonbons viel zu früh den Mund gesteckt hatte. Nun, da das Flugzeug in einer steilen Kurve nach oben zog und die Luft in den Ohren drückte, hatte Sarja ihre Bonbons längst aufgelutscht. Dabei waren die Bonbons das einzige Mittel, mit dem man den kurzen Schmerz bekämpfen konnte. Wenn man lutschte und schluckte, glich sich der Druck aus.

 

Das hat sie nun davon, dachte Mischa rachsüchtig. Nur weil sie seine Schwester und mit ihren dreizehn Jahren zwei Jahre älter war als er, glaubte sie, dauernd an ihm herumerziehen zu können. Hatte er ihr etwa zu gehorchen? Ausgerechnet dieser Petze!“

 

Ebenfalls im Kinderbuchverlag Berlin hatte Erik Neutsch drei Jahre früher als Egon Richter, also 1972, „Olaf und der gelbe Vogel“ veröffentlicht – sein einziges in der DDR geschriebenen Kinderbuch, mit dem sich der erfolgreiche Schriftsteller Erik Neutsch an Kinder ab 6 Jahre wandte: Olaf hat auf seinem Zeugnis der 1. Klasse nur eine Zwei, sonst alles Einsen. Als er ganz unten eine Fünf erkennt, ist er sehr, sehr traurig. Doch er sieht auf einem Baum einen unbekannten gelb-schwarzen Vogel, der rasch wegfliegt. Auf der Suche nach ihm geht er immer weiter aus der Stadt heraus, bis er in einem kleinen Dorf anlangt. Dort freundet er sich mit Susanne an, deren Zeugnis seinem gleicht, bis auf die Fünf. Susannes Eltern und Olafs Mutter lachen über die große Zahl auf dem Zeugnis, die Olaf so viel Kummer bereitete. Nun ist er kein bisschen mehr traurig und läuft fast jeden Tag in das Dorf zu Susanne. Als sie in der Nähe der Baustelle, die eine Verbindungsstraße zwischen der Stadt und dem Dorf errichtet, vom Regen überrascht werden, haben beide eine großartige Idee. Ganz am Anfang des Buches aber gibt es erst mal Ferien. Damals gab‘s noch Große Sommerferien:

 

1. Kapitel

Ferien sind. Große Sommerferien. Darüber freuen sich alle Schulkinder. Alle? Nein. Olaf nicht. Er ist sehr traurig, wie noch nie. Und immerhin ist er schon sieben Jahre alt. Er kommt jetzt in die zweite Klasse.

Das aber ist es ja gerade. Es hat heute Zeugnisse gegeben. Olaf erhielt elf Einsen. Die stehen auf dem Papier, eine nach der anderen, wie die Soldaten stramm in Reih und Glied. Auch eine Zwei hat er. Im Schreiben. Aber - und das stimmt ihn so traurig - er bekam auch eine Fünf. Ganz dick, wie ein hässlicher Tintenfleck, klebt sie am Ende der Seite im Zeugnisheft. Dick ist sie wie der breite Leib eines Pferdes, das sich aufbäumt und von der Leine reißen will, wie es Olaf einmal gesehen hat.

 

Seit Olaf die Zahlen kennt, betrachtet er sie stets wie Bilder. Das macht ihm Spaß. Die Zwei schwimmt wie ein Schwan auf dem Wasser. Schnurstracks geradeaus. Die Sechs krümmt sich wie eine Schlange. Sie ist schlänglich. Die Acht sieht aus wie die bunte Matrjoschka, die ihm der Vater aus Moskau mitgebracht hat. So gemütlich. Die Neun hat einen Kopf wie Bello, der Hund seines Freundes Hansi. So schnauzig. Und die Fünf ist wie ein Pferd, das sich aufbäumt und mit den Hufen schlägt. Genauso bedrohlich. Als Olaf die dicke Fünf in dem Zeugnisheft sah, waren ihm die Tränen gekommen.

 

„Aber Olaf, warum weinst du denn?“, fragte Frau Franke, seine Lehrerin. „Weinst du, weil du im Schreiben nur eine Zwei hast?“

 

Olaf schüttelte heftig den Kopf. „Nein“, sagte er. „Nur aus Freude und so.“ Er wusste von seinen Eltern und von anderen Erwachsenen, dass es Freudentränen gibt. Er selber kannte sie nicht. Er hatte gelogen. Er hatte aber nur gelogen, weil niemand in der Klasse wissen sollte, dass eine Fünf auf seinem Zeugnis stand. Er schämte sich.

 

Olaf schämt sich noch jetzt, auf dem Weg nach Hause. Nach dem Klingelzeichen war er sofort davongelaufen. Er hatte nicht einmal auf Hansi gewartet, mit dem er sonst immer den Schulweg gemeinsam geht. Und er denkt: Mit einer Fünf im Zeugnis wird mich Mutti nur noch halb so lieb haben. Und mit einer Fünf kann ich niemals fliegen lernen, Pilot werden, Flugzeugführer. Denn ein Pilot muss stets der Allerbeste sein. Höchstens eine Zwei im Schreiben kann er sich erlauben. Weil er ja nicht schreiben muss, der Pilot, wenn er fliegt, den Steuerknüppel fest in der Hand hält und durch die Wolken jagt.

 

Da wird er aus seinen Gedanken gerissen. In einer Baumkrone über seinem Kopf pfeift ein Vogel. „Pilot, Pilot“, pfeift er. Olaf hört es deutlich. Er denkt nicht mehr an die Fünf. Er denkt auch nicht mehr an Frau Franke, die so getan hat, als gäbe es keine Fünf auf seinem Zeugnis. Woher weiß denn der Vogel, wundert sich Olaf, dass ich Pilot werden und fliegen will wie er?

 

Olaf verharrt und blickt in das dichte Laub. Einen solchen Vogel hat er noch nie gesehen. Gelb ist er wie Hansis Kanarienvogel, der immer singt, wenn sie beide, sein Freund und er, Schularbeiten machen. Aber der Vogel im Baum ist kein Kanarienvogel. Er ruft: „Pilot, Pilot“ und fliegt auf den nächsten Baum, eine Pappel. Er ist auch viel größer als der Kanarienvogel in Hansis Käfig. Und ein bisschen schwarz an den Flügeln, und ein bisschen rot am Schnabel ist er wohl ebenfalls. Olaf geht ihm nach. Als er die Pappel erreicht, flattert der Vogel wiederum auf. Er setzt sich in die Pappel dahinter und ruft. Olaf folgt ihm.

 

„Pilot“, ruft der Vogel. Es klingt wie ein Pfiff. Und husch - fliegt er schon wieder davon. Olaf ihm nach. Von Pappel zu Pappel. Und plötzlich schlägt der Vogel kräftig mit den Flügeln. Ein gelbes Leuchten zuckt am blauen Sommerhimmel. Und auf einmal stehen auch keine Pappeln mehr da, keine anderen Bäume. Der seltsame Vogel entschwindet. Ein Spatz flattert vorbei. Eine Lerche trillert. Und Olaf steht vor einem riesigen Kornfeld, das sanft im Winde wogt. Die Stadt ist hier zu Ende.

 

In der Ferne rattert über einen Eisenbahndamm ein langer Güterzug. Er sieht aus wie eine Schlange, denkt Olaf, so schlänglich. In der Ferne bedeckt ein schwarzer Streifen aufgewühlter Erde den Horizont. Das ist die Fernstraße, denkt Olaf, an der der Vater arbeitet. Und noch ferner in der Ferne sieht er ein dunkles, ein dunkelgrünes Gewölk. Das muss der Wald sein. Eine Kirchturmspitze ragt daraus hervor. Die gehört bestimmt zu einem Dorf. Dorthin ist der seltsame Vogel vielleicht geflogen. Und dieses ferne, so tief in den Wald gehüllte Dorf einmal zu besuchen - das hat Olaf schon immer gelockt.

 

Also macht er sich auf den Weg. Der Ranzen ist heute leicht, denn Frau Franke hatte den Kindern gesagt, am letzten Schultag keine Bücher mehr mitzubringen. Olaf will den bunten Vogel wiedersehen. Er geht über die schmalen Wege im wogenden Korn. Nur ein einziges Mal schaut er zurück und sieht schon weit hinter sich die Stadt mit ihren mächtigen Zickzackformen. Die vielen Türme. Das sind die Kirchen. Die vielen Schornsteine. Das sind die Fabriken. Die vielen Kästen. Das sind die Hochhäuser. Näher aber als all die Türme, Schornsteine und Hochhäuser sieht er den länglichen Bau der Schule. In ihren Fenstern spiegelt sich die Sonne, blitzt zu ihm herüber. Hinter einem dieser Fenster hat er heute eine Fünf erhalten. Und sofort dreht er sich wieder um. Er ist wütend auf die Schule und denkt: Vielleicht will mir der Vogel sagen, wie ich trotz der Fünf auf dem Zeugnis fliegen lernen und Pilot werden kann. Vielleicht ist er ein Märchenvogel.“

 

Ebenfalls von Erik Neutsch stammt „Die anderen und ich“, das er erstmals 1970 im Mitteldeutschen Verlag Halle (Saale) veröffentlichte: Nora S. hat Einspruch erhoben. Sie besteht darauf, sie selbst zu sein und jedenfalls nicht so, wie dieser und jener sie gern haben möchte, die Betriebsleitung und BGL eingeschlossen. Nora S. hat eine Erfindung gemacht, die den Leuten nicht ins Konzept passt, und sie fordert nichts, was ihr nicht ohnehin zustünde: Ihr Recht auf Arbeit. Aber gerade da werden die Probleme sichtbar. Ferner ist ein Mädchen verschwunden, Oberschülerin, Tochter eines Straßenbahnfahrers - Brüdering lässt dieses Mädchen suchen. Dabei sollte man meinen, dass ein Oberbürgermeister andere Sorgen hat in diesen drei Tagen unseres Lebens: Konz ist gekommen, der neue Parteisekretär. Er will durchsetzen, was der OB für undurchführbar hält: Schneisen hauen quer durch die Stadt, die in Jahrhunderten gewachsen ist und angefüllt mit Menschenschicksalen, Verkehrsadern schlagen quer durch Häuser und Wohnungen und Plätze. Eine Stadt ist kein Wald. Man kann nicht mit einem Federstrich ausstreichen, was Generationen geschaffen haben. Gibt es einen anderen Weg als den der Feindschaft zwischen den Genossen Brüdering und Konz? Und dann fragt sich einer, was die wahren Geschichten hierzulande sind. Und die fangen so an – mit drei großen Buchstaben:

 

„Die anderen und ich

Jukker. Soll das Jukker sein? Nach zwanzig Jahren bekäme man wieder was zu Gesicht von ihm, ein J. U. K. wie damals in einer Zeitung. Wir nannten ihn daraufhin Jukker. Oder Jucker. Ich habe das Wort nie geschrieben gesehen, bis zu diesem Augenblick jedenfalls nicht, da ich es selbst niederschreibe. J.U.K. Jürgen Ulrich Kauffmann.

Ob Arno, der vor meinem Fenster den Kalk mischt und karrt, weiß, ahnt, sich Gedanken darüber machen würde, wenn er wüßte, wer, besser: was Jukker ist? Worin das Problem bei Jukker besteht? Natürlich nicht. Neulich fragte er mich, ob ich mir denken könne, warum er säuft. Nein. Saufen ist dumm, sagte ich, wiederholte die Sprüche Sonjas, Saufen macht immer dümmer. Geh lieber schwimmen oder wenigstens angeln. Leb gesund. Isch will meine Frau loschwerden, sagte er. Gründe gibt’s. Die anderen treiben ihn mit lauten Zurufen an. Du hast den Kalk nicht richtig gemischt. Eine Plempe. Du hast wieder zuviel gesoffen. Deshalb ist uns die Mauer abgesackt. Nun flucht er.

 

Also: Jukker. Sie waren alle von uns umgetauft worden. Der Direktor hieß Kater, der Lateinlehrer Piccard, der Mathematiklehrer Metze. Oder war das sein richtiger Name? Er verschwand als erster, kurz nach unserem Abitur, aber das störte mich nicht, er hatte ohnehin nur Zahlen im Kopfe gehabt, andauernd die Preise verglichen, ich nahm es zur Kenntnis wie den selbstverständlichen Wechsel von Tag und Nacht. Eines Tages kam Jukker in die Toilette für Jungen, sah uns rauchen, klappte den Deckel eines silbernen Etuis mit mächtigem Monogramm darauf auf, J. U. K., stellte sich hinzu, rauchte und sagte: Warum versteckt ihr euch hier? Machen wir FDJ-Versammlung, machen wir einen Beschluß über das Rauchen, dafür oder dagegen. Wir beschlossen, über die Gegenstimmen unserer paar blassen Mädchen hinweg, in Zukunft ab elfte Klasse auf dem Schulhof zu rauchen, uns nicht mehr ins Pissoir zu verkriechen, eine Zigarette soll nach der Denkarbeit eine Erholung sein. Die Stadt hatte zwar ihr Gesprächsthema, das soll nun die neue Erziehung sein, sagten die Leute, die kurz vor dem Zaun auf die Straßenbahn warteten, aber wir gingen seitdem für Jukker durchs Feuer, diejenigen jedenfalls, denen zum ersten Mal gelungen war, einen FDJ-Beschluß zur Verhaltensnorm an dem altehrwürdigen Gymnasium zu machen. Die Wände schienen zu wackeln.

 

In einer der nächsten Stunden sagte ich ihm: Das ist doch ganz egal, wie die Wirklichkeit ist, wie der Flieder zum Beispiel blüht. Lila ist sowieso keine Farbe. Wenn ich ihn male, mal ich ihn blau, himmelblau, und den Himmel dahinter, steht mir der Sinn danach, grün. Kunst kommt von innen heraus, nicht von außen. Er lachte sich halbkrank, ging vor den Bänken auf und ab, die wir in seinem Unterricht stets zu einem Halbkreis formierten, und hielt uns einen Vortrag über Erkenntnistheorie. Es war das erste Mal, daß ich darüber etwas erfuhr, Marx und Engels, Hegel und Kant und wieso das ein dialektischer Umschlag von einer alten Qualität in eine neue sei, wenn das Wasser bei hundert Grad Celsius zu verdampfen beginnt. Ich sagte es später dem Physiklehrer, machte mich trotz der warnenden Rippenstöße von Hans-Helmut Kassbaum, Sonjas Bruder, zum Sprecher Jukkers, stritt mich, erhielt daraufhin eine Vier, denn der Physiklehrer sah meine Aufklärungsattacke nicht ein und antwortete: Quatsch, das ist Physik, und unterlassen Sie gefälligst Ihre politischen Extratouren, wenigstens in der schönen Natur exakter Wissenschaften.

 

Da saß ich nun da mit dickem Kopf, Physik war nicht mein Paradefach, ich benötigte darin dringend eine Aufbesserung meiner Zensuren, ärgerte mich über den Reinfall und sann nach über Jukker, wohl nicht anders als jetzt, allerdings damals ohne den Abstand von zwanzig Jahren und auch nicht vor einem Fenster, durch das der Flieder duftet, der himmelblaue natürlich. Ich starre auf dieses J. U. K., denk mir mein Teil und höre die Maurer fluchen, Hannes und Arno, Erich und Paul, die eine fünfzöllige Wand, die gestern eingestürzt ist, wieder aufzubauen versuchen, diesmal jedoch im Zehnerzoll. Sieh mal, sagt Erich, im Keller die Schwalben.

Soeben war Kassbaum bei mir. Er warf mir die Zeitung vom letzten Sonnabend, in der eine Reportage von mir veröffentlicht ist, auf den Tisch und sprach — Kassbaum spricht immer —, sprach: Drei Telefonanrufe, sechs Briefe, alles Proteste, einer sogar eigenhändig von deinem Helden darunter... Von ihm ? Glaub ich dir nicht. Zeig her. Hab ihn leider vergessen. Und wennschon. War denn vonnöten, daß du von Stepan schreibst, er habe dem Donnergott auf die Hände treten wollen? Vonnöten? Laß deine Stilallüren. Auf die Hände, Menschenskind, in den Hintern vielleicht, ja, aber nicht auf die Hände, auf die Arbeitssymbole... Ich sah ihn entmutigt oder so ähnlich an; wehrte mich: Die Handarbeit wird nach und nach abgeschafft. Er lächelte überlegen: Das wird ohnehin nicht gedruckt.

 

Nicht gedruckt? Ja. Und dann legte er noch die andere Zeitung hinzu, die mit dem J. U. K. auf einer der Innenseiten, und sagte: Hier, ich hab dir was mitgebracht. Erinnerst du dich noch an Jukker? Lies mal. Das ist aus ihm geworden. Jukker interessiert mich jetzt einen Dreck, Helmut. Fest steht jedenfalls, Stepan wollte dem Mann nicht nur auf die Hände treten. Er hat’s getan, begreifst du, er tat es. Versetz dich doch mal in seine Lage. Kassbaum schüttelte den Kopf, hob die Augen zur Decke, stöhnte. Unverbesserlich. Deine Sturheit. Der Flieder ist himmelblau, wenn du es willst. Reiner Stepan ist sozusagen der Held der Reportage, einer, den man einen Schrittmacher nennen könnte, Parteimitglied, Hundertschaftskommandeur, Meister inzwischen, ein Kerl wie ein Kleiderschrank. So steht’s in der Zeitung vom Sonnabend, geschrieben von mir, auch mit dem Klischee am Ende, das ich natürlich ändern werde, bevor meine Reportage in den Druck geht, streichen, einfach weglassen, streichen, und dann steht darin noch: Als sich der Donnergott vor ihm hinkniete, ihm mit ein paar Handgriffen zeigte, wie man die doppelte Menge Stahlplatten in derselben Zeit, die man früher zum Schweißen brauchte, mit dem neuartigen Stoff kleben konnte, schoß Stepan das Blut unter die Haut, und er dachte im ersten Augenblick: Tritt zu, tritt ihm auf die Hände, er vermiest dir dein Ansehen bei sämtlichen Schweißern. Das war doch schöngefärbt, so schön wie Jukker die Welt gefärbt hatte, die Welt, die nun nicht mehr die seine ist.“

 

Erstmals 1965 veröffentlichte Joachim Nowotny ebenfalls im Mitteldeutschen Verlag Halle/Saale seine spannende Erzählung „Hexenfeuer“: Auch die leidenschaftlichste Liebschaft kann ein Leben nicht ausfüllen, wie es der junge Zimmermann Jan Scholz leben will. Wenn die Menschen seines Heimatdorfes gegen ihn stehen, wenn Großbaustellen mit lockenden Angeboten winken - er kann sich von seinem Dorf nicht trennen, denn es macht ihm allmählich Spaß, unbequem zu werden. Joachim Nowotny erzählt die Geschichte des Zimmermanns Jan Scholz in starken poetischen Episoden, deren psychologische Ausleuchtung einen interessanten Einblick in die Welt junger Menschen gibt, die an ihrem Heimatdorf hängen und doch in die Stadt wollen, die mit dem alten Brauch des Hexenfeuers verbrennen möchten, was ihrem Leben auf dem Lande entgegensteht, um bleiben zu können, wo sie aufgewachsen sind. Gleich zu Beginn des Buches passiert ein vorhergesagtes Unglück – oder war das alles nur Gerede?

 

Erster Teil

Am Silvestertag stiefelt plötzlich der Gutsinspektor Massopust durch das Dorf. Die Frauen raffen ihre Kinder vom Weg in die Höfe. Alte Weiber schlagen Kreuze und murmeln fromme Bannsprüche. Ein paar Lausejungen aber schnüren sich die Hosenbeine an die Waden. Sie wollen wie der Alte in Gamaschen einhergehen. Als sie seinen Stelzgang nachahmen, droht der Inspektor mit dem Spazierstock. Er stößt eine Verwünschung aus, die der Wind zu den großen Ohren der Witfrau Kubo trägt. So ist es passiert. Noch ehe sich das Jahr ganz verausgabt hat, kursiert ein Gerücht unter den Leuten. „Ein Unglück wird geschehen!“ Nichts als Gerede! Am Silvestertag ist die Menschheit immer ein bisschen wunderlich. Von einer Stunde zur anderen liegt sie auf der Lauer. Gleich muss etwas geschehen! Man darf es nicht verpassen. Meist geschieht überhaupt nichts. Der Tag geht zu Ende wie jeder andere. Höchstens feuchter. Manchmal aber leistet er sich einen Spaß. Er weckt einen Mann aus dem Dämmerschlaf des Alters und treibt ihn durch das Dorf. Die Leute sehen ihm nach wie einem Gespenst. Sie wollen nicht glauben, dass das stockbeinige, dürre Gestell noch leben könnte. Es muss tot sein! Hockt es nicht das Jahr über im Sarg? Ist die Zeit, in der so etwas lebendig sein durfte, nicht vorbei?

 

Auch das ist Gerede! Massopust bezieht Rente. Er bewohnt eine Bodenkammer im alten Gutshaus und traktiert dann und wann seine Wirtschafterin mit dem Stock. Also kann er nicht tot sein. Nur dass ihn dicke, solide Mauerwände von den Menschen trennen. Sie verschlucken alles, auch das Geheul der alten kopfverrückten Lene. Niemand weiß, was zwischen ihnen noch vorgeht. Eine Zeitlang zerbricht man sich den Kopf darüber. Dann drängen sich die eigenen Sorgen vor. Wir sind wichtiger, bitte sehr! Mit uns müsst ihr fertig werden, liebe Leute. Den alten Knacker könnt ihr ruhig vergessen. So geht es zu, dass Massopust schließlich stirbt. Er ist tot, obwohl er Rente bezieht und die alte Lene verprügeln kann. Und wenn er plötzlich den Mauersarg verlässt und durchs Dorf stiefelt, dann reiben sich die Leute nach dem ersten Schreck verwundert die Augen. Soll man ihnen nun trauen oder nicht? Eine Erklärung muss her! Die Witfrau Kubo hält sie bereit. „Es bedeutet Unglück.“ Wie gesagt: alles Gerede!

 

Immerhin brennt uns am dritten Januar der Futterspeicher ab. Wir tun, was wir können, aber es hat keinen Sinn. Ehe die Rutenberger Freiwillige Feuerwehr mit der Motorspritze zur Stelle ist, hat sich der Fall erledigt. Der Löschmeister klettert zwar auf die Leiter. Aber er sieht nur noch in ein verkohltes Mauergeviert, das zum Himmel gähnt. Also gähnt er mit. Der Mann hat eine Nachtschicht hinter sich. Dann kommt er wieder herunter auf den Boden der Tatsachen. „Was war drin im Speicher?“

 

Der Vorsitzende grinst. „Gold“, sagt er, „pures Gold.“

 

Der Löschmeister grinst zurück. „So ein Schwein auch zu haben! Gold verbrennt nicht.“

 

Er dreht sich auf dem Absatz um und geht zur Schenke. Von dort telefoniert er mit der kreisstädtischen Berufsfeuerwehr. „Es hat keinen Sinn mehr, dass ihr kommt. Schickt lieber einen von der Kripo.“

 

Dann gähnt er noch einmal. Das Bier, das ihm Gastwirt Henke über die Theke schiebt, lässt er stehn. Eine halbe Stunde später rasselt das rote Auto mit trockenen Schläuchen aus dem Dorf. Die Leute stehen mit hängenden Schultern da und starren dem Gefährt wütend nach. Einem muss man doch die Schuld aufpacken. Warum nicht der Feuerwehr?

 

Am Abend sieht die Sache anders aus. Wir sitzen in der Gaststube bei Henke-Max und belauern die Tür zum Vereinszimmer. Die Kripo ist tatsächlich gekommen. Sie hockt mit dem Hauptbuchhalter zusammen und lässt sich vorrechnen, wie viel Futter im Speicher war. Das dauert seine Zeit.

 

Henke trägt mit dem Bier seine Meinung unter die Leute. „Sabotage war es, das sag’ ich euch!“

 

Der Fuhrunternehmer Kubo schiebt die Daumen hinter die Joppenrevers. „Red keinen Zwirn. Kannst es nicht beweisen“, sagt er. Die Vereinszimmertür lässt er nicht aus dem Auge.

 

„Ich hab’ es kommen sehn!“, orakelt die Witfrau Kubo. „Es war Gottes Wille.“ Henke schiebt ihr ein Tablett mit schaumbereiften Gläsern zu. „Mach hin!“, sagt er. „Ich komm’ sonst nicht nach.“ Ärgerlich dreht er das Pressluftventil auf. Was die alte Schachtel hier bloß reinzureden hat? Sie soll gefälligst Gläser spülen, wie es sich bei einem solchen Andrang gehört.

 

Auch der Schäfermeister Hubalek möchte seinen Senf dazugeben. Er war während des Brandes zwar mit der Herde auf den winterstarren Heidewiesen - aber das hat nichts zu sagen. Der Mensch wuchert mit seinen Erfahrungen, wenn er älter wird. Warum soll ausgerechnet Hubalek mit ihnen knausern? „Es ist alles ganz anders!“, räsoniert er. „Ihr habt alle nicht recht. Mit Sabotage und Gottes Wille ist nichts erklärt. Man braucht einen Täter, einen Brandstifter sozusagen. Kennt man ihn, dann weiß man auch, weshalb er gekokelt hat.“

 

Henke zapft frisches Bier. Über den Hahn hinweg schielt er zu dem Klugschnabel. „Gut und schön“, sagt er, „Bloß, wo nehmen wir so schnell einen her, einen Täter, mein’ ich?“

 

Hubalek kneift die windgebeizten Augen zusammen. Einer in der Gaststube muss eine verdammt schlechte Sorte rauchen. „Manches wüsste man schon ...“

 

Wir werden unruhig. Der Schäfer kann also mehr als bloß Bier trinken und lange Reden halten. Unter Umständen wird er der Polizei allerhand auf den Tisch packen. Man könnte direkt neidisch werden.

 

Fuhrunternehmer Kubo weiß, wie man einen Menschen kunstgerecht aushorcht. Er stellt sich neben den Kachelofen, schiebt wieder die Daumen unter die Joppenrevers und wippt von den Absätzen bis zu den Schuhspitzen. „Jeder kann kommen und sagen, dass er eine Ahnung hat. Jeder! Damit ist überhaupt nichts bewiesen. Ich zum Beispiel könnt’ mich hinstellen und behaupten, ein gewisser Hubalek sei der Brandstifter.“

 

„Beleidigung!“, schreit der Schäfer aus seiner Ecke.

 

Kubo dämpft seine Entrüstung mit einer Handbewegung. Es sieht aus, als tätschele er die Luft. „Könnte! Hab’ ich gesagt. Ich werd’ mich hüten, so einen Schnee in die Welt zu setzen. Manche Leute aber, die sind schlimmer als die Hühner. Sie krakeelen los, und das Ei bleiben sie uns schuldig.“

 

Nun sitzt Hubalek fest. Entweder er spuckt seine Weisheiten aus, oder er muss zusehen, wie man ihn zum Schwätzer stempelt. Eine Weile ziert er sich noch. In einer Tour versichert er, dass er tatsächlich was auf Lager habe.“

 

Erstmals 2009 erschien im Verlag Nordwindpress die Dokumentation über Geschehnisse in Mecklenburg in der Zeit des Hitlerfaschismus und danach „Vergessen? Erinnern! Mahnende Geschichte“ von Kurt Redmer: Befragungen von Zeitzeugen, umfassende Untersuchungen und Recherchen, gründliche Materialsammlungen waren die Basis für das dokumentarische Werk von Kurt Redmer. Gewissermaßen eine Fortsetzung seines ersten Buches zu dieser Thematik („Die letzten und die ersten Tage. Dokumentation über Geschehnisse in Mecklenburg im 2. Weltkrieg und danach von 2007) werden hier neue Aspekte der Nazigräuel beleuchtet, ebenso wie Fakten über Aktivitäten der Westmächte schon vor Kriegsende hinsichtlich künftiger Einbindung des westlichen Teils Deutschlands in ein Bündnis gegen den Osten. Ein ebenso wichtiges wie aufklärerisches Buch, packend, bewegend, objektiv ... Und hier das aufschlussreiche Vorwort zu dieser bemerkenswerten Publikation, in dem der Autor sein Anliegen deutlich macht:

 

„Die überwiegend gute Resonanz auf meine Dokumentation „Die letzten und die ersten Tage“ vom April 2007 ermutigte mich, an einer weiteren zu arbeiten, die hiermit vorliegt. Der Forderung Lenins entsprechend, dass die Wahrheit immer konkret ist, bleibe ich dabei, ohne Tabus zu schreiben. Meine Annahme, dass ich damit nicht überall auf Verständnis stoße, hat sich bestätigt. Ich kenne natürlich das Argument aus der Zeit der DDR, wonach wir auf diese Weise dem politischen Gegner auf einem Tablett Munition gegen uns servieren. Ich will nicht leugnen, dass ich mich damals dieser Auffassung gebeugt habe, die aber der DDR nichts genützt hat.

 

Ressentiments, wie sie gegenwärtig von einigen Medien der BRD gegen die Truppen der Roten Armee vorgetragen werden, lehne ich ab. Mir ist bewusst, welche Leistungen sie auch für mein persönlich friedliches Leben bis heute hin vollbrachten. Ihre Verfehlungen, die in der Vergewaltigung deutscher Frauen bestanden, will ich deshalb aber auch nicht unter den Teppich gekehrt wissen. Es widerstrebt mir, wissentlich Geschichtsklitterung zu begehen, die vornehmlich immer dann vorliegt, wenn Fakten, die nicht in ein bestimmtes politisches Konzept passen, einfach weggelassen werden. Ein solches Herangehen macht unglaubwürdig. Vor allem auch dass sich bürgerlich-konservative Historiker und Rechtsextremisten teilweise auch solcher Methoden bedienen, kann mich davon auch nicht abhalten. Sie sind mir eher eine Bestätigung dafür. Obwohl ich mich im Vorwort der letzten Dokumentation deutlich zu ihrem politischen Sinn geäußert habe, hat es dazu doch Irritationen gegeben. Eine Verwandte meinte, dass ich es zu meiner Selbstbestätigung tue. Von anderen wurde vermutet, dass es mir darum ginge, in der Kriegszeit und danach vergewaltigten Frauen noch vorhandene Traumata verarbeiten zu helfen und ich damit auch Geld verdienen will. Enttraumatisierung ist vielleicht ein Nebeneffekt. Und bei den geringen Auflagen meiner Bücher habe ich persönlich mehr materielle Verluste als Einnahmen.

 

Mein Anliegen ist ein anderes: Als Zeitzeuge und Betroffener der Kriegs- und Nachkriegsjahre in Deutschland – am Kriegsende war ich 13 Jahre alt - hat mich die Zeit und das Studium der Geschichte politisch denken gelehrt. Der von deutschem Boden ausgehende grausame Eroberungs- und Vernichtungskrieg nahm mir den Vater, viele Verwandte, die damalige Heimat Ostpreußen. Ich erlebte im Frühjahr und Sommer 1941 den Aufmarsch der deutschen Divisionen für den Fall „Barbarossa”, sah in den „Wochenschauen” des Landfilms die Verwüstungen und das Leid, das Soldaten der Wehrmacht den Völkern der Sowjetunion und anderen Ländern zufügten.

 

Ich fühle mich heute deshalb in der Verantwortung, den Schwur der deutschen Antifaschisten von 1945: „Nie wieder Faschismus und Krieg” mit den Mitteln der Regionalgeschichte zu unterstützen. Es soll deutlich werden, zu welchen Verbrechen Hitler und seine Helfer fähig waren. Es ergibt sich somit fast von selbst: Ich will damit auch vor den Parolen der heutigen Rechtsextremisten warnen, die die Lehren der Geschichte missachten und erneut Gefahren für unser Land und andere Völker heraufbeschwören. Es bleibt dabei: Hitlerdeutschland war und ist primär verantwortlich für jeden Kriegstoten und Kriegsversehrten des Zweiten Weltkrieges sowie die Vernichtung von unvorstellbaren materiellen Werten. Auch heute zeigt es sich: Kriege bringen den Menschen nur unendliches Leid und Not. Gesellschaftlicher Fortschritt kann über sie nicht befördert werden.

 

In Beiträgen der Dokumentation werden auch Fragen zum Verhalten der Truppen der USA und Großbritanniens berührt. Zum Verständnis dafür sollte man wissen, dass die Briten bereits im Sommer 1944 die strategischen Leitlinien für ihre Nachkriegspolitik festlegten. Darin wurde erstmals der Vorschlag für einen Nordatlantikpakt gemacht. Das kommende Deutschland wurde zum unverzichtbaren Verbündeten gegen die Sowjetunion erklärt. Es bleibt unverständlich, warum dann in den letzten Kriegsmonaten die westlichen Luftstreitkräfte in diesem großen Umfang zum Einsatz kamen. Zukünftige Verbündete behandelt man eigentlich anders. (Giordano, Ralph: Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. Die Pläne der Nazis nach dem Endsieg. Vollständige Taschenbuchausgabe Oktober 1991, Rasch und Röhringverlag, Hamburg, S. 340 f)) Die USA konzipierten ihre Nachkriegsstrategie im April 1945. In ihr wurde ein großer Krieg gegen die Sowjetunion in den nächsten 10 bis 15 Jahren vorausgesehen, auf den der Westen sich einstellen muss. Die Deutschen werden notwendig Verbündete sein. Im Nachkriegsdeutschland hätten sich die USA deshalb feste Positionen zu verschaffen. Es sind die Personen zu benennen, die perspektivisch in Deutschland amerikanische Interessen vertreten können. (Eichner, Klaus /Schramm, Gotthold (Hrsg.): Angriff und Abwehr. Die deutschen Geheimdienste nach 1945, edition ost 2007, S. 21 f)

 

Wir können davon ausgehen, dass das in diesem Buch beschriebene Aufklärungsunternehmen der US-Amerikaner vom 2. und 3. Mai 1945 in diesem Sinne schon bewusst oder intuitiv geführt wurde. Es ging darum, deutsche - eben künftige Verbündete - vor einer Gefangenschaft in einem als künftigen militärischen Gegner ausgemachten Land, der Sowjetunion, zu bewahren. Dieses Vorgehen kann dem „Kalten Krieg”, der nach bisherigen Erkenntnissen im Frühjahr 1946 begann, meines Erachtens bereits als ankündigendes „Wetterleuchten” zugeordnet werden. Der Systemwiderspruch zwischen Kapitalismus und realem Sozialismus in Gestalt der Sowjetunion trat damit allmählich wieder in den Vordergrund. Den Beitrag zu dem Gefecht zwischen Truppen der Waffen-SS und Panzern der Roten Armee vom 2. Mai 1945 bei Parchim nahm ich in der Hoffnung auf, dass sich dazu noch Zeitzeugen melden könnten. Wenn es dieses Gefecht wirklich unter Beobachtung von US-SPW-Besatzungen gegeben hat, wäre das auch ein Verhalten, das bereits der Nachkriegsstrategie der USA entsprach.

 

Es war mir ein besonderes Anliegen, in diesem Buch wieder Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen. Nur wenn ihre Erlebnisse und Aussagen in geschichtlichen Verallgemeinerungen Eingang finden, kann sie letztlich auch nur fundiert sein. Bei den Erinnerungen und Zeitzeugenberichten habe ich weitgehend auf Kommentare verzichtet. Ich setze auf den kompetenten Leser, der die beschriebenen Ereignisse auch aus dem Kontext dieses Buches heraus richtig interpretieren und einordnen wird. Ich kann allerdings nicht völlig ausschließen, dass in den abgedruckten Beiträgen, wenn auch in sehr geringem Maße, Schutzbehauptungen enthalten sind.

 

Allen Zeitzeugen, den Mitarbeitern der Schweriner Volkszeitung, deren Bericht aufgenommen wurde sowie der Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Wöbbelin, Frau Ramsenthaler und den Mitarbeitern der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommerns in Schwerin, die das Vorhaben unterstützten, sei hiermit recht herzlich gedankt.

 

An Hinweisen zu weiteren Dokumentationen und Kritiken an diesem Buch bin ich interessiert.

 

Dr. Kurt Redmer“

 

Besonders spannend ist in diesem Falle die Suche nach möglichen Zeitzeugen eines Gefechts zwischen Truppen der Waffen-SS und Panzern der Roten Armee vom 2. Mai 1945 bei Parchim, das möglicherweise unter Beobachtung von US-SPW-Besatzungen stattgefunden hat. Auch wenn es eher unwahrscheinlich scheint, aber vielleicht gibt es doch noch jemanden, der dazu etwas sagen kann? Ganz im Sinne des Autors, der – wie bereits eingangs dieses Newsletters erwähnt – dazu auffordert, sich immer der konkreten Wahrheit zu stellen und die Vergangenheit so zu betrachten, wie sie gewesen ist.

 

Große Aufmerksamkeit verdienen aber auch die vier anderen Angebote dieses Newsletters, wobei besonders die beiden so unterschiedlichen Titel von Erik Neutsch hervorzuheben sind. Aber machen Sie sich selbst ein Bild.

 

Viel Spaß beim Lesen, einen schönen (Lese)Herbst und bis demnächst.

DDR-Autoren: Newsletter 14.09.2018 - Moderne Schatzgräber, Sommerferien und Märchenvogel sowie Rauchen auf