Ein kleines Häschen und eine große Portion Eigensinn, Kapp-Putsch und Oktoberrevolution - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
(Pinnow 17.01. 2025) Wie lässt sich erkennen, ob ein Mensch Charakter und eine eigene Haltung hat? Zugegeben, das ist keine leichte, aber eine durchaus wichtige Frage. Nachdem Sie eine mehr oder weniger lange Weile (nicht zu verwechseln mit Langeweile) überlegt haben, empfehlen wir Ihnen als kleinen Denkanstoß zum Thema das zweite der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 17.01. 2025 bis Freitag, 24.01. 2025) zu haben sind auch in dieser Post aus Pinnow stammen sie wieder alle von Friedrich Wolf, von dem im Programm von EDITION digital inzwischen insgesamt 182 E-Books zu haben sind.
Eine Ahnung davon, wohin die Gedankenreise gehen (oder auch fahren) könnte, die liefert schon der Titel der vermutlich 1946 geschriebenen oder zumindest 1946 erstmals veröffentlichten Erzählung Schnurzel, das Neinchen. Wer ist Schnurzel? Schnurzel ist ein kleines Häschen mit einer großen Portion Eigensinn. Schon früh erwirbt er sich den Spitznamen Neinchen, weil er auf fast jede Aufforderung mit einem trotzigen Nein! reagiert. Er sagt dann einfach Mir ist alles schnurzwurzpiepe! Daher kommt Schnurzel.
Ob es um das Essen oder das Erledigen von Aufgaben geht, Schnurzel bleibt stur. Selbst seine Eltern Purzel und Paolo Dreibein wissen oft nicht, wie sie mit ihrem Dickkopf umgehen sollen. Doch Schnurzel lernt auf abenteuerliche Weise, dass Mut und Liebe ihm helfen können, über seinen eigenen Schatten zu springen.
In einer unheimlichen Vollmondnacht, in der Wölfe durch die Steppe streifen, muss sich Schnurzel entscheiden: Hört er auf seine innere Stimme oder bleibt er seinem Nein treu?
Im Übrigen kann man sich einen schönen Satz merken, den Friedrich Wolf in seiner Erzählung versteckt hat: Aber die klügste Rechnung hat oft ein Loch. Und das bedeutet Aber lesen Sie Schnurzel, das Neinchen doch einmal selbst. Es lohnt sich, seine Bekanntschaft zu machen. Immerhin ist er wie ein Tröpfchen Mondspucke noch so eine schöne Worterfindung von Friedrich Wolf. Hübsch ist außerdem, dass er diese Worterfindung ausgerechnet einem Wolf in den Mund, Sorry, in den Rachen des Ungeheuers legt.
Wie schon gesagt, stammen auch alle anderen Sonderangebote des heutigen Newsletters erneut aus der Feder von Friedrich Wolf, der sich immer wieder gern historischen Themen zugewandt hat. Das gilt auch für seinen Text Die Roten Hundertschaften stürmen Remscheid. Kapp-Putsch März 1920 eine gekürzte Fassung aus Der Ringkampf mit der Riesendame, das 1988 im DDR-Kinderbuchverlag Berlin erschienen war.
Diese Erzählung führt die Leser mitten hinein in den Aufruhr und die revolutionären Kämpfe nach dem Ersten Weltkrieg. Erzählt aus der Perspektive eines Arztes, der in den Wirren des Kapp-Putsches seinen Dienst in Remscheid antritt, beschreibt das Werk packend den Mut der Arbeiter, die gegen die Totenkopf-Freikorps und den weißen Terror kämpfen. Wolfs Erzählung hat einen deutlichen autobiografischen Hintergrund, wie sich bereits am Anfang erkennen lässt:
Februar 1919 wurde ich wegen meiner Beteiligung an den Demonstrationen nach Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs Ermordung aus meiner Stellung im Militärlazarett Arnsdorf bei Dresden entlassen. Ein Jahr lang schob ich Kohldampf. Da sah ich in den Ärztlichen Mitteilungen die Stadtarztstelle Remscheid mit der Verwarnung für uns Ärzte: Vorsicht, Kollegen, sozialistischer Stadtrat!
Am folgenden Tag saß ich auf der Bahn, geriet in Magdeburg zwei Tage in Schutzhaft der weißen Bataillone des Noske-Generals von Lüttwitz, die auf das damals rote Braunschweig marschierten. Am 20. Februar 1920 landete ich in Remscheid.
Etwa in derselben Zeit spielt auch Transportarbeiter vor die Front!. Inmitten der turbulenten Jahre nach dem Ersten Weltkrieg entscheidet sich ein ehemaliger Stadtarzt von Remscheid, seine gesicherte Stellung aufzugeben und sich dem Leben als Siedler und Arbeiter auf dem Barkenhoff bei Bremen zu widmen. Die Gemeinschaft aus kriegsbeschädigten Arbeitern und Idealisten träumt von einem isolierten kommunistischen Modell - bis die Realität der umgebenden Welt sie einholt: Wir wollten in dem Wirrwarr der Jahre 1920/21 ein Stützpunkt für die Bremer Arbeiterschaft sein; aber die Bremer Arbeiter, die jeden Samstag Sonntag in Scharen zu uns hinauskamen, bestaunten uns mit Recht wie exotische Tiere, wie ein Panoptikum.
Und dann kommt der 1. August 1920. Dieses Datum markiert den Beginn einer politischen Auseinandersetzung, bei der Transport- und Hafenarbeiter gegen den Waffenexport nach Polen und England kämpfen, um die junge Sowjetunion zu verteidigen.
Gehen wir noch ein paar Jahre weiter voran und in das Zentrum eben dieser noch jungen Sowjetunion: Der XV. Jahrestag der Oktoberrevolution auf dem Roten Platz in Moskau lautet der Titel dieses 1932 verfassten Textes: Mit einer der größten Militär- und Arbeiterparaden der Geschichte feierte die Sowjetunion am 7. November 1932 auf dem Roten Platz in Moskau den 15. Jahrestag der Oktoberrevolution. Mehr als anderthalb Millionen Menschen - Arbeiter, Bauern und Rotarmisten - marschierten in einer beeindruckenden Demonstration des sozialistischen Fortschritts und der Einheit des sowjetischen Volkes. Und Friedrich Wolf war dank eines glücklichen Umstands dabei:
Endlich gegen halb acht Uhr bin ich bei meinem Freund und Genossen Wischnewski. Ein Riesenglück: er hat doch noch einen Propusk, einen Ausweis, für mich für die Tribünen des Roten Platzes bekommen.
Wischnewski ist der Übersetzer meiner Matrosen von Cattaro. Er war selber einer der roten Matrosen von Kronstadt, die vor fünfzehn Jahren die ersten Schüsse auf das Winterpalais abgaben und damit das Signal zum Eingreifen der Macht. Er kämpfte dann mit der Wolgaflottille jene schweren Kämpfe, die Larissa Reißner beschrieb; später zog er mit Budjonnys Erster Reiterarmee gegen die weißen Generäle der Ukraine, hat den polnischen Feldzug mitgemacht, erhielt den Orden der Roten Fahne; dann Jahre auf der Militärakademie; heute ist er mit fünfunddreißig Jahren Vizeadmiral, Kommandant einer Torpedobootsflottille auf dem Schwarzen Meer und einer der besten Dramatiker der Sowjetunion.
Inmitten dieses gewaltigen Ereignisses erlebt der Autor dank seines Freundes Wischnewski hautnah die emotionale Kraft und die kollektive Begeisterung einer Nation, die sich auf dem Höhepunkt ihres sozialistischen Aufbaus befindet. Dieses Buch fängt den historischen Moment mit persönlichen Beobachtungen und Reflexionen ein, die die Bedeutung des sowjetischen Modells in einer vom Klassenkampf geprägten Welt verdeutlichen.
Noch zwei Sätze zu Wsewolod Witaljewitsch Wischnewski (1900 bis 1951). Aus eben jenem Jahr stammt auch sein vielleicht bekanntestes Stück Optimistische Tragödie. Gelernte DDR-Bürger werden sich vielleicht daran erinnern können, dass dieses Revolutionsstück 1971 von der DEFA im Auftrag des Fernsehens der DDR in der Regie von Manfred Wekwerth verfilmt und am 6. Juni 1971 im 1. Programm des DDR-Fernsehens seine Bildschirmpremiere hatte. Optimistische Tragödie ist die Geschichte einer jungen bolschewistischen Kommissarin, deren Auftrag es Anfang 1918 ist, eine anarchistische Matrosenabteilung zum ersten regulären Marine-Regiment der Roten Armee zu formieren und in deren Verlauf erstaunlich viel erschossen wird oder erschossen werden soll.
In einer zeitgenössischen Fernsehkritik hieß es damals sehr lobend über diese Produktion: Hier wurde nicht einfach ein gutes, bühnenwirksames Drama verfilmt, es zeichnete sich vielmehr durch eine Fülle dramaturgischer Einfälle und die hervorragende Regie ein neues Genre ab, das vielleicht einmal als Fernsehtheater zu bezeichnen sein wird, denn es ist viel mehr, als es die Original-Übertragung eines Bühnenstücks sein kann und arbeitet mit viel weniger optischen Raffinessen als die uns geläufigen Fernsehspiele, so Barbara Faensen in der Neuen Zeit. Die Hauptrolle der Kommissarin spielte Renate Richter, die bis zu dessen Tode 2014 mit Manfred Wekwerth verheiratet war. Weitere prominente Mitwirkende waren Bruno Carstens als Anführer der Anarchisten, Günter Naumann als Gehilfe des Anführers, Hilmar Thate als Alexej und Rolf Ludwig als Kommandeur sowie Norbert Christian als verwundeter Offizier, Peter Bause als Anführer der Verstärkung und Willi Schwabe als Pfarrer.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Krieg und Menschlichkeit, zwanzig Meter Niemandsland und Liebe, wie passt das zusammen? Kann das überhaupt zusammenpassen?
1948 schrieb Friedrich Wolf die Erzählung Lichter überm Graben, deren Handlung drei Jahrzehnte zuvor spielt: Im Winter 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, erleben deutsche Soldaten in den Schützengräben bei Douai einen ungewöhnlichen Winter. Fernab von zu Hause, umgeben von Schnee und Kohlenhalden, begegnen sie Germaine, einer mutigen jungen Frau, die ihnen nicht nur durch ihren Charme, sondern auch durch ihre unerschütterliche Stärke den Alltag erträglicher macht. Als ein französischer Soldat auftaucht und um die Rückkehr seiner Verlobten Germaine bittet, entsteht ein unerwartetes Bündnis. Dieses Buch erzählt eine bewegende Geschichte von Hoffnung, Menschlichkeit und unerwarteten Freundschaften im Angesicht des Krieges. Lichter überm Graben ist eine Erzählung über die kleinen Momente des Friedens und der Menschlichkeit inmitten des großen Schreckens.
Die folgende Leseprobe aus Schnurzel, das Neinchen lädt dazu ein, einen außergewöhnlichen kleinen Hasen kennenzulernen: Schnurzel, das starrköpfige, aber liebenswerte Kind von Purzel und Paolo Dreibein. Mit einer Mischung aus Eigensinn, Humor und einem Herz am rechten Fleck stellt Schnurzel die Hasenkolonie immer wieder vor Herausforderungen und sich selbst. Ob im täglichen Umgang mit den strengen Erwartungen seines Vaters oder den Hänseleien seiner Spielkameraden, Schnurzels Weg ist alles andere als einfach. Doch hinter dem ewigen Nein verbirgt sich eine tiefe Sehnsucht, verstanden und akzeptiert zu werden. Tauchen Sie ein in diese warmherzige und zugleich nachdenklich stimmende Geschichte, die zeigt, wie wichtig es ist, zu sich selbst zu stehen.
Purzel und Paolo Dreibein haben ein Kind. Es ist ein seltsames Häschen mit weißem Fell und einigen braunen Streifen. Das Weiße stammt von Purzel, der Mutter, das Braune von Paolo, dem Vater. Wenn Purzel das Häslein sieht, muss sie manchmal an jenen Ostertag in ihrer fernen Heimat denken, da sie mit dem Saft der bunten Wiesenblumen die Ostereier für die Menschenkinder färbte, wobei ihr schneeweißes Fell blaue, rote und grüne Flecke erhielt ein richtiges Osterhasenfell.
Lange ist es her. Und viel ist inzwischen geschehen.
Das Kind von Purzel und Paolo hieß in der Hasenkolonie allgemein Schnurzel. Damit hatte es folgende Bewandtnis: Das Häschen besaß den festen Sinn um nicht zu sagen den Eigensinn seiner Mutter. Wenn nun seine Spielkameraden es zu etwas mit aller Gewalt zwingen wollten, oder wenn die alten Hasen ihm mit Strafen drohten, dann sagte das Purzelkind: Mir ist alles schnurzwurzpiepe! Deshalb hieß es nach der ersten Silbe einfach Schnurzel.
Wie gesagt, Schnurzel war ein richtiger Trotzkopf.
Rief man ihn: Schnurzel, du musst jetzt dieses oder jenes tun!, so erwiderte es stets, ohne lange zu überlegen, mit dem einen Wort: Nein! Deshalb hatte es auch noch den Spitznamen das Neinchen. Weiß der Himmel, woher das ewige Nein kam!
Die älteren Hasen nannten Schnurzel ein schwieriges Kind, das man einsperren und kurzhalten müsse. Die jungen Hasen aber hänselten Schnurzel, indem sie sagten: Du musst zwanzigmal den Sandhügel kopfüber herunterrollen, oder wir beißen dir die Ohren ab. Vater Dreibein setzte wegen seines Trotzes Schnurzels Abendfutter oft auf die Hälfte herab und sperrte das Söhnchen tags in den dunklen Erdbau. All das half nichts. Fragte man nach solch einem Dunkelarrest: Willst du das nächste Mal gehorchen?, so antwortete Schnurzel sofort: Nein!
Die Mutter war darüber sehr betrübt. Sie versuchte es mit Güte. Wenn sie leise bat: Rupfe draußen doch junge Grasspitzen für den Abendsalat, so sagte in diesem Falle Schnurzel zwar nicht nein; aber es stand da, steif wie ein Stock. Es war einfach wie gelähmt. Am nächsten Abend ging es dann freiwillig die Grasspitzen holen, der Mutter zuliebe. Aber da hatte die Mutter es schon selbst besorgt.
Darüber war nun das Neinchen traurig. Es hatte ein gutes Herz und tollte oft auch fröhlich mit seinen Kameraden. Aber es konnte einfach nicht über seinen eigenen Schatten springen, wie man so sagt.
Als Schnurzel, das Neinchen, älter wurde, meinte Vater Dreibein, man müsse nun mit ihm zum Ziele kommen. Er hatte beobachtet, wie Schnurzel die zarten, aber bitteren Spitzen der Aloepflanze, die im Frühjahr der guten Verdauung wegen dem Salat beigemischt wurden, stets ausspuckte. Vater Dreibein tat nun absichtlich etwas mehr Aloespitzen in das Abendessen. Wie er sah, dass Schnurzel an dem Salat herummäkelte und jede kleine Aloespitze heraussuchte, da befahl er: Der Salat wird gegessen, wie er angemacht ist! Ich zähle bis drei!
Die Mutter trat rasch zwischen beide und sagte sanft: Paolo, bitte! Doch Vater Dreibein schob sie zornig beiseite, stellte sich neben sein Söhnchen und kommandierte: Eins! Zwei Schnurzel rührte sich nicht.
Drei! Vater Dreibein stupste Schnurzels Kopf mit aller Kraft in den Salat. Wirst du es endlich begreifen!
In diesem Augenblick feuerte Schnurzel mit seinen Hinterläufen aus, so dass der ganze Salat mit den Aloespitzen dem Vater ins Gesicht flog und in seinem Bart hängenblieb. Nur dadurch, dass Mutter Purzel zwischen die beiden sprang, wurde Schlimmeres verhütet.
Ein andermal hatte der Vater seinen Krückstock, den er wegen seines fehlenden Hinterbeins im Alter benutzte, irgendwo draußen stehengelassen. Es war schon Nacht. Vater Dreibein befahl Schnurzel: Gehe hinaus und hole mir den Stock! Schnurzel erwiderte prompt: Nein! Der Vater, der die Sache diesmal nicht auf die Spitze treiben wollte, verspottete Schnurzel: Entschuldige, ich vergaß, es ist draußen Vollmond! Da jagen die Wölfe ringsum!
Das ist mir schnurzwurzpiepe, entgegnete Schnurzel ruppig, obwohl es ihm leid tat, den Vater zu kränken.
Schon gut, mein Kind, sagte die Mutter, bleibe hier! Ich gehe!
Nein, lass mich!, wehrte ihr Schnurzel. Wie der Blitz war es zur Tür hinaus und kam alsbald mit dem Krückstock zurück.
Die folgende Leseprobe aus Die Roten Hundertschaften stürmen Remscheid führt uns direkt ins Zentrum der politischen und sozialen Umbrüche während des Kapp-Putsches im März 1920. Aus der Perspektive eines Arztes, der inmitten der Wirren seinen Dienst antritt, wird eindringlich geschildert, wie das Leben in der industriellen Arbeiterstadt Remscheid von den Ereignissen geprägt wird. Der Blick auf die militärische Besetzung, die sozialen Missstände und den entschlossenen Widerstand der Arbeiterschaft gegen die Putschisten zeigt eindrucksvoll die Atmosphäre dieser bewegten Zeit. Die Erzählung lädt dazu ein, die Bedeutung von Solidarität und Standhaftigkeit in einem Moment nationaler Krise zu entdecken.
Kapp-Putsch März 1920
Februar 1919 wurde ich wegen meiner Beteiligung an den Demonstrationen nach Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs Ermordung aus meiner Stellung im Militärlazarett Arnsdorf bei Dresden entlassen. Ein Jahr lang schob ich Kohldampf. Da sah ich in den Ärztlichen Mitteilungen die Stadtarztstelle Remscheid mit der Verwarnung für uns Ärzte: Vorsicht, Kollegen, sozialistischer Stadtrat! Am folgenden Tag saß ich auf der Bahn, geriet in Magdeburg zwei Tage in Schutzhaft der weißen Bataillone des Noske-Generals von Lüttwitz, die auf das damals rote Braunschweig marschierten. Am 20. Februar 1920 landete ich in Remscheid. Ich schob mit meinem Köfferchen abends den steilen Kegel der Stadt hinauf; es regnete, grau und schwarz die Häuser, ringsum ein Wald von Schloten und Essen, feuerspuckend, qualmend, rußend der Kohlenpott.
Am 1. März 1920 trat ich meine Stelle als Stadtarzt an; es hatte sich außer mir nur noch ein Kollege für Klein-Moskau gemeldet. Ich begann in fünf Bezirken der Stadt je eine Beratungsstelle für Mütter und Säuglinge einzurichten. In erbärmlichem Zustand auch die Kleinkinder, die Kriegskinder mit ihren großen käsigen Gesichtern und ihren dünnen Marmeladenbeinen. Meine ärztliche Tätigkeit nahm mich ganz in Anspruch.
Am 13. März 1920 war ich früh 7.30 Uhr in meinem Dienstzimmer im Rathaus, um mit meinen Fürsorgerinnen den Tagesdienst durchzusprechen. Plötzlich draußen auf dem Rathausplatz militärische Signale, Pferdegetrappel, Rattern von Wagen auf dem Pflaster ein Maschinengewehr fährt vor unserem Rathaus auf, und jetzt eine Batterie, sie protzen ab, gehen in Stellung, und jetzt ausgeschwärmt, Infanterie, alle tragen Totenköpfe auf ihren Stahlhelmen die Baltikumer, die weißen Totenkopfgarden des Majors von Lützow und des Hauptmanns Lichtschlag! Major von Lützow, ein wohlgenährter Herr mit dicken roten Bäckchen wie ein Weihnachtsengel, erscheint selbst im Rathaussaal und erklärt uns Beamten: die sozialistische Schieberregierung sei hiermit endgültig abgesetzt und die Regierung der Ruhe und der Arbeit unter dem Reichskanzler Kapp eröffnet.
Als wir das Rathaus verlassen, ist der Marktplatz schon befestigt, mit Stacheldraht abgesperrt, gerade wird das Pflaster aufgebrochen, werden Minenwerfer, Geschütze und MGs in Stellung gefahren; in den Zugangsstraßen stehen schon die Schilder: Weitergehen! Wer stehenbleibt, wird erschossen!
Ich wollte in unser Parteilokal; aber ich merkte an der Menschenmenge, die in sehr weitem Bogen herumstand, es war bereits verpfiffen. Einen ganzen Tag irrten wir in den kleinen Vororten zwischen Lennep, Elberfeld und Remscheid umher, bis die Funktionäre sich trafen, bis ein Aktionsausschuss gebildet war, bis SPD, USPD, KPD sich auf die Generalstreikparole geeinigt.
Die folgende Leseprobe aus Transportarbeiter vor die Front! zeichnet ein eindringliches Bild vom Leben und Kampf der Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg. Der Autor schildert seine Erfahrungen in einer idealistisch geprägten Siedlungszelle auf dem Barkenhoff bei Bremen, die als Experiment für eine bessere Gesellschaft dienen sollte. Doch zwischen harter Arbeit, internen Konflikten und der Isolation von der Außenwelt wird deutlich, wie schwierig der Weg zu gelebtem Kommunismus sein konnte. Die Erzählung gibt zugleich Einblick in den politischen Widerstand gegen den aufkommenden Militarismus und zeigt die Herausforderungen, denen sich die Arbeiterbewegung in einer feindseligen Umgebung stellen musste.
Ich gab meine Stelle als Stadtarzt von Remscheid auf und ging als Siedler und Torfarbeiter auf den Barkenhoff bei Bremen. Es war dies eine Siedelungszelle von kriegsbeschädigten Hand- und Kopfarbeitern Bauern, Gärtner, einige Handwerker, Fabrikarbeiter aus allen Gegenden Deutschlands, dann noch eine Lehrerin für die Waisenkinder der im Januar/März in Berlin gefallenen Genossen wir hatten diese Kinder bei uns aufgenommen. Schließlich fungierten Heinrich Vogeler, dem einst der Hof gehörte, und ich noch als Lehrer, Gärtner, Torfarbeiter und Arzt.
Die Gefahr der Zelle, der Isolierung, der Insel manifestierte sich bei uns immer mehr. Wir wollten einen Kommunismus in nuce, in der Nussschale, in Reinkultur, unter der Glasglocke, ohne Kompromisse. Wir hatten zwei Pferde, wir liehen sie den Bauern aus, die die Gäule schunden, ohne genügendes Futter, ohne Pflege, ohne Ruhe, die uns um die zugesicherte Gegenleistung betrogen. Wir mieden Konflikte mit der Umwelt und schlugen uns gegenseitig fast die Schädel ein. Wir wollten in dem Wirrwarr der Jahre 1920/21 ein Stützpunkt für die Bremer Arbeiterschaft sein; aber die Bremer Arbeiter, die jeden Samstag Sonntag in Scharen zu uns hinauskamen, bestaunten uns mit Recht wie exotische Tiere, wie ein Panoptikum.
Wir schufteten wie die Neger täglich zwölf bis vierzehn Stunden im Feld und Moor; wir wollten damals gewaltlos Die Zelle erzwingen (man bedenke immer: Es war das Jahr 1920!), aber wir isolierten uns immer mehr.
Da kam der 1. August.
Natürlich hatten auch wir eine Antikriegsdemonstration angesetzt, in dieser stockreaktionären bäuerlichen Gegend. Natürlich verbot sie der Landrat. Gendarmerie untersuchte den Hof nach illegalen Schriften. Wir beschlossen nun, in Bremen selbst zu demonstrieren mit der revolutionären Arbeiterschaft. Unsre Delegation drei Genossen und eine Genossin pilgerte nach Bremen. Von den Treppen des Museums für Völkerkunde, am Hauptbahnhof, sprachen wir zu ein paar tausend Arbeitern. Auch gegen die Intervention Polen/England kontra Sowjetunion eiferten wir. Jetzt Gesang der Internationale. Die Polizei zerstreute uns. Wir bildeten immer wieder einen dünnen Demonstrationszug, den die sonntäglichen Spießer spöttisch beäugten. Dann standen wir in hilflosen Grüppchen auf einem Platz.
Die folgende Leseprobe aus Der XV. Jahrestag der Oktoberrevolution auf dem Roten Platz in Moskau entführt die Leser und Leserinnen in die eindrucksvolle Kulisse einer der bedeutendsten Feierlichkeiten der Sowjetunion. Mitten im Herzen Moskaus erlebt der Erzähler den Marsch von eineinhalb Millionen Menschen, die die Errungenschaften der Revolution und den Geist der internationalen Solidarität feiern. Die Atmosphäre ist geprägt von militärischer Präzision, revolutionärem Pathos und der Anwesenheit prominenter Delegierter aus aller Welt. Diese Schilderung bietet einen lebhaften Einblick in die politische Symbolik und die Begeisterung, die diesen historischen Moment durchdrangen.
Eineinhalb Millionen Arbeiter, Bauern und Rotarmisten marschieren in acht Stunden über den Roten Platz. 1932
Sechs Uhr früh. Es ist noch dunkel, aber ganz Moskau ist schon auf den Beinen. Nur wenige Trams fahren noch bis sieben Uhr. Die Straßen werden schon eingeteilt für die An- und Abmärsche der Arbeiterkolonnen und der Roten Armee: überall rote Ordner und Miliz, die mit mächtigen Stricken die Neben- und Querstraßen absperren und die Menschenmenge der Viermillionenstadt dirigieren. Endlich gegen halb acht Uhr bin ich bei meinem Freund und Genossen Wischnewski. Ein Riesenglück: er hat doch noch einen Propusk, einen Ausweis, für mich für die Tribünen des Roten Platzes bekommen. Wischnewski ist der Übersetzer meiner Matrosen von Cattaro. Er war selber einer der roten Matrosen von Kronstadt, die vor fünfzehn Jahren die ersten Schüsse auf das Winterpalais abgaben und damit das Signal zum Eingreifen der Macht. Er kämpfte dann mit der Wolgaflottille jene schweren Kämpfe, die Larissa Reißner beschrieb; später zog er mit Budjonnys Erster Reiterarmee gegen die weißen Generäle der Ukraine, hat den polnischen Feldzug mitgemacht, erhielt den Orden der Roten Fahne; dann Jahre auf der Militärakademie; heute ist er mit fünfunddreißig Jahren Vizeadmiral, Kommandant einer Torpedobootsflottille auf dem Schwarzen Meer und einer der besten Dramatiker der Sowjetunion. Um neun Uhr stehen wir auf dem Roten Platz, etwa zwanzig Meter rechts vom Monument, dem Grabmal Lenins. Die Regimenter marschieren gerade auf, alle Truppengattungen, auch Matrosenbataillone und GPU. Gegen halb zehn Uhr ist die Hälfte des Riesenplatzes mit den Kadern der stehenden Formationen gefüllt. Anmarsch der Delegationen der Länder: Spanien, England, Japan, China, Frankreich, Amerika, Deutschland. Sie nehmen neben uns Aufstellung vor den Tribünen. Schon kommen die Botschafter und Vertreter der ausländischen Mächte mit ihren Damen und Militärattachés. Die Militärattachés postieren sich direkt vor uns; der Deutsche ist ein Oberstleutnant der Kavallerie. Punkt zehn der Kommandoruf Smirno! Die Bataillone stehen, sechs Musikkapellen setzen zu einem kurzen Signal ein, dass der Platz nur so dröhnt. Woroschilow sprengt von der Seite des Moskwa-Flusses heran. Die Bataillone salutieren, melden; die Internationale dröhnt über den Riesenplatz, jetzt hört man auch in verschiedenen Intervallen und Tonstärken andere Kapellen von der Iljinka her, vom Teatralnyj-Platz, von den Brücken die Internationale. Rechts von mir steht mein Kamerad Seka Saro, der japanische Delegierte zum Plenum unseres Arbeitertheaterbundes. Wir geben uns plötzlich die Hand; es ist kein Taumel; aber es läuft einem doch heiß und kalt den Rücken herunter. Vor uns der deutsche Oberstleutnant salutiert mit betonter Strammheit den erhobenen roten Fahnen und dem Kampfgesang des revolutionären Proletariats. Uns gegenüber an den ehemaligen riesigen Markthallen über die ganze Breite des Platzes weg die Losung: Es lebe der revolutionäre Weltoktober! gleich neben dem Lenin-Bild das Transparent in deutscher Sprache, dann in französischer, neben dem Stalin-Bild auf der andern Seite in chinesischer und dann in englischer Sprache!
Die folgende Leseprobe aus Lichter überm Graben gewährt einen eindringlichen Einblick in die menschlichen Momente, die selbst in den düsteren Stunden des Krieges aufblitzen. Mitten im Schützengraben, umgeben von Gefahr und Entbehrung, organisieren die Soldaten heimlich ein Wiedersehen, das von Kameradschaft und leisen Melodien geprägt ist. Diese Szene zeigt die Zerbrechlichkeit, aber auch die tiefe Menschlichkeit, die inmitten des Chaos der Schlacht überlebt, und lädt dazu ein, über die kleinen, flüchtigen Lichtblicke im Dunkel des Krieges nachzudenken.
Unsere Gruppe im Unterstand beriet die ganze Nacht. So einfach war die Sache nun nicht. In zwei Tagen zur Weihnacht wurden wir abgelöst. Zum Glück stellte unsere Gruppe den Postholer der Kompanie. Dieser musste also Germaine abends in der Dunkelheit heranbringen. Die rechte Anschlussgruppe im Graben musste verständigt werden, das heißt, sie musste an dem Austauschpreis beteiligt werden, das heißt, wir mussten die von Pierre zu liefernde Tabakration auf sechzehn Mann aufteilen, schon damit alle dichthielten. Auf dieser Basis verhandelten wir die kommende Nacht mit Pierre, der ebenfalls einen Kameraden als Zeugen mitgebracht hatte.
Am nächsten Abend kam mit unserem Postholer ein anderer Soldat im Landsermantel und mit Schneehaube überm Kopf. Es war Germaine. Sie wurde in unserm Unterstand in einer Ecke unter Decken verstaut. Schorsch saß im Stroh und spielte leise: Bin von den Bergen gestiegen. Er verlor ja eine Braut eine Seelenbraut.
Kommen wir noch einmal auf das Nein-Sagen zurück. Selbst die Geschichte des kleinen Hasenkindes zeigt, wie schmal der Grat zwischen Selbstbestimmung und Sturheit ist und da müssen wir gar nicht die nicht immer einfachen und die nicht immer gleichberechtigten Beziehungen zum Beispiel zwischen Frauen und Männern in den Blick nehmen.
Zunächst bleibt festzuhalten, wie wichtig und richtig der Satz ist: Nein heißt nein. Denn damit werden Grenzen gesetzt, damit wird Souveränität demonstriert. Und Souveränität ist der Anfang von Persönlichkeit. Und Persönlichkeit ist das höchste Glück, sagt Goethe.
Für ein besseres Verständnis des Begriffs mag ein kurzer Ausflug ins Völkerrecht dienen (Sie wissen schon, Frau Baerbock ). Im Völkerrecht gibt es den Begriff der staatlichen Souveränität. Darunter wird die grundsätzliche Unabhängigkeit eines Staates von anderen (Souveränität nach außen) und als dessen Selbstbestimmtheit in Fragen der eigenen staatlichen Gestaltung (Souveränität nach innen) verstanden. Gedanken zu diesem Thema hat sich auch der berühmte französiche Jurist Jean Bodin (1529 oder 1530 bis 1596) gemacht, der sich dazu 1576 in seiner Schrift Les six livres de la République (Sechs Bücher über den Staat) geäußert und als früher Fürsprecher des Absolutismus erwiesen hat. Für Bodin, der aus bürgerlichen Verhältnissen stammte und der wahrscheinlich der Sohn eines Schneidermeisters war, galt der König als der einzige Souverän, der grundsätzlich nur Gott verantwortlich war.
Lebensschicksal und Schriften dieses Mannes sind auf jeden Fall mindestens einen, wenn nicht mehrere neugierige Blicke wert gerade und auch wenn er als Staatsanwalt an Hexenprozessen beteiligt war und 1580 mit De Magorum Daemonomania (vom außgelaßnen wütigen Teuffelsheer, allerhand Zauberern, Hexen und Hexenmeistern, Unholden, Teuffelsbeschwerern, Warsagern, Schwartzkünstlern, Vergifftern, Augenverblendern, &c., wie die vermög aller Recht erkant, eingetrieben, gehindert, erkündigt, erforscht, peinlich ersucht und gestrafft werden sollen sogar ein Handbuch für Richter geschrieben hat, die mit Hexenprozessen befasst waren.
In Bezug auf das Privat- und Berufsleben sind bei der Diskussion des Themas Souveränität vier Faktoren wichtig Selbstsicherheit, Unabhängigkeit, Interaktion und Selbsteinschätzung. Souveränität bedeutet kurz zusammengefasst, dass ein Mensch eigenständig und unabhängig handelt, ohne sich von anderen beeinflussen zu lassen. Sowohl Denken als auch Handeln sind eigenverantwortlich und selbstbestimmt. Ein souveräner Mensch strahlt ein hohes Maß an Selbstsicherheit und Gelassenheit aus, vermittelt gleichzeitig aber große Kompetenz, Selbstständigkeit und Professionalität. Das alles kann einem einfallen, wenn man von einem kleinen Hasen liest, der es sich angewöhnt hat, immer Nein zu sagen. Wobei man sich auch die Frage stellen darf, wie souverän es ist, immer und zu jeder Gelegenheit immer nur Nein zu sagen. Manchmal muss man auch als Häschen Ja sagen.
Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die Bücherpakete für die nächste Woche werden gerade geschnürt.
Im Jahr 1930, also vor nunmehr fast einem Jahrhundert, schrieb Friedrich Wolf die Erzählung Aus meinem Leben. Aus dem Lebenslauf eines Zeitdichters: Fritze, ein fünfjähriger Junge, wächst im Rheinland auf, umgeben von den düsteren Schatten des Kleinbürgertums. Schon früh erlebt er eine Welt, die ihm fremd und zugleich faszinierend vorkommt: Von Tauschgeschäften bis zu Freundschaften mit Tippelbrüdern - er bewegt sich an der Grenze der Legalität.
Doch als ihn die politischen Umwälzungen des frühen 20. Jahrhunderts ins Zentrum historischer Ereignisse reißen, wird aus dem neugierigen Kind ein Arzt, Schriftsteller und Revolutionär. Diese autobiografischen Skizzen zeichnen den Weg eines Mannes, der sich unermüdlich für Menschlichkeit und Gerechtigkeit einsetzt, und der den Krieg als Arzt hautnah erlebt hat. Ein Werk über Mut, Zweifel und den Preis des Idealismus.
Und schon der Einstieg in diesen Text macht neugierig, wobei es nicht schaden kann, wenn man sich zumindest ein wenig in deutscher Geschichte und speziell in der Geschichte der Arbeiterbewegung auskennt:
Ein Fünfjähriger steht Schmiere
Mein Vaterhaus: Kleinbürgertum im Rheinland. Wichtige Kindheitserinnerung: Menne Andrae, ein Geselle in der Werkstatt meines Vaters. Stundenlang sitze ich als Fünfjähriger bei ihm und lasse mir von ihm erzählen und aus dem Wahren Jacob vorlesen; die satirischen Witze auf Bismarck und den Reichstag kapiere ich allerdings nicht.
Eines Tages ist der Geselle entlassen; er sei ein Krakeeler, ein übler Genosse. Ich stöbere ihn auf in der Herberge zur Heimat. Er gießt einem Herbergsbruder, der aus einer Handverletzung stark blutet, eine braune Flüssigkeit über die Wunde und sagt mir: Fritze, das hilft so sicher wie Gift; das ist Arnica, musst du dir merken! Immer wieder, wenn ich als Arzt Arnica verschreibe, fällt mir Menne Andrae ein.
Und immer dann, wenn Sie jetzt von und über Friedrich Wolf, den jüdischen Kommunisten, den Arzt und Schriftsteller, lesen oder hören, dann werden Sie gar nicht anders können, als an Arnica zu denken. Und das ist ausnahmsweise bei Wolf kein Frauenname