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Ein Bericht vom Rand der Gesellschaft, ein Sohn der Landstraße und ein Überfall auf die Erde - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 06.06.2025) – „Ich bin gut aufgehoben – wenigstens vorderhand. Das Experiment ist gelungen, und der Patient – lebt. Wenn auch nur als Schiffskoch auf „Ippen IV“.“ Mit diesen Sätzen beginnt das dritte der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 06.06. 2025 bis Freitag, 13.06.06. 2025) zu haben sind. 1979 erschien im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar die Erzählung „Ippen IV“ von Adam Scharrer: Ein ehemaliger Gefangener wird zum Schiffskoch auf einem alternden Frachter, der unermüdlich die Ostsee kreuzt. Auf der „Ippen IV“ findet er nicht nur Arbeit, sondern ein Stück Würde, Kameradschaft - und Zeit zum Nachdenken. Mit scharfem Blick und leiser Ironie schildert Adam Scharrer das Leben einfacher Männer an Deck, ihre Träume, ihre Vergangenheit und ihre stille Hoffnung. „Ippen IV“ ist ein literarisches Dokument über ein Schiff, das mehr ist als bloß Transportmittel: ein schwimmender Mikrokosmos der Arbeiterklasse, der zwischen den Stürmen des Lebens und der Geschichte standhält. „Ippen IV“ ist ein eindringlicher, poetischer Bericht vom Rand der Gesellschaft - und mitten aus dem Herzen der Menschlichkeit.

Und so geht es nach den ersten Sätzen weiter:

„Ippen IV“? Du möchtest gerne wissen, was „Ippen IV“ ist? Also höre! „Ippen IV“ ist ein schon alter Ostseevagabund. Er trägt 200 Tonnen. Auf „Ippen IV“ ist ein Kapitän und sieben Mann Besatzung. „Ippen IV“ trägt seinen Zucker, sein Mehl, seinen Kaffee, sein Öl, Maschinen und sonstige Fracht von Stettin nach Kiel, von Kiel nach Lübeck, von Lübeck nach Stralsund und Rostock. Hin und her jahraus, jahrein. Der Kapitän auf „Ippen IV“ brauchte so Ende April einen Koch, und ich habe draußen bei der Menschentreibjagd ein wenig kochen gelernt. Und wenn die Not uns lehrt, uns zusammenzureißen, vermögen wir viel. „Gut, Heinrich!“, sagte der Kapitän, der mich wiedererkannte, „du kommst auf ,Ippen IV‘ – aber du kennst mich nicht. Ich bin Kapitän, und du bist Koch.– Anders geht das nicht. Verstehst du?“

Es ging auch nicht anders, denn auch Kapitän Arnsdorf hat keine Lust, Vergangenheit auszugraben, gerade jetzt. Er ist früher über den Ozean gefahren und war dann bei der Marine. Das genügte. Dass er in Kiel Rebellen anführte, braucht eine Reederei nicht zu wissen.

Im Anfang haperte es ein bisschen. Da haben sie mich angefahren, wenn es Kartoffelsuppe gab. „Son Watersupp, dat is keen Äten.“ Und wenn mir der Makler zähes Fleisch andrehte und mir davon kein Beefsteak gelang, dann hieß es: „Wat schall wie woll mit son Absatzflecke maken?“ Aber jetzt ist der Koch auf „Ippen IV“ eingefahren und hat sogar Zeit, über vieles nachzudenken.

Du möchtest mehr aus meinem Leben erfahren. Das ist für mich eigentlich ein wenig zu viel Ehre. Du hast auf andern Gebieten und unter andern Verhältnissen mindestens ebenso viel erfahren oder gesehen. Nur verstehst du wohl die Sprache der Tatsachen, die Schreie der Unterdrückten, ihre Irrungen und Wirrungen und ihren Heroismus noch nicht richtig zu deuten, sonst brauchtest du nicht in dem Leben eines Einzelnen zu suchen, dessen Schicksal nur ein winziges Teilchen des Gesamtschicksals der Klasse der Habenichtse ist. Aber du lernst es noch, ich weiß es. Und darum will ich dir schreiben.

Ebenfalls 1979 veröffentlichte der Aufbau-Verlag Berlin und Weimar zwei weitere Texte von Adam Scharrer – die Erzählungen „Werkmeister Bohnenstroh und seine Erfahrungen“ und „Auch eine Jugend. Ein Leben am Rande der Gesellschaft“.

Werkmeister Bohnenstroh ist stur, stolz und verteidigt voller Vorurteile seine überkommenen Werte und „Erfahrungen“ - gegen die Moderne, gegen die Arbeiter, gegen alles, was ihm fremd erscheint. Doch die gesellschaftlichen Verhältnisse wandeln sich radikal, und die Selbstgewissheit des kleinbürgerlichen Bohnenstroh gerät ins Wanken. Adam Scharrer zeichnet hier mit feinem Spott und tiefem Mitgefühl den tragikomischen Niedergang eines Mannes, der der Zeit nicht standhalten kann - und dabei nicht nur ökonomisch, sondern auch menschlich scheitert.

In dem zweiten Text berichtet Adam Scharrer über einen Jugendlichen zwischen Armut und Aufbruch: Heinrich Sperber ist kein Held, kein Rebell - er ist einer von Tausenden, ein Sohn der Landstraße, der das Elend der deutschen Unterschicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit den eigenen Händen tastet. In schonungsloser Ehrlichkeit schildert Adam Scharrer die Geschichte eines Jungen, der von Kindheit an mit harter Arbeit, Hunger und Demütigung konfrontiert wird, der durchs Land vagabundiert, zwischen Aufbegehren und Resignation schwankt - und doch seine Menschlichkeit nicht verliert. Eine autobiografisch geprägte Sozialreportage über Ausgrenzung, Überlebenswillen und Solidarität - kraftvoll, erschütternd, zeitlos.

Erstmals 1986 veröffentlichte Alexander Kröger als Band 199 der Reihe „Spannend erzählt“ im Verlag Neues Leben Berlin seinen Science-Fiction-Roman „Die Engel in den grünen Kugeln“: Kriege sind zum Zeitpunkt der Handlung dieses Buches auf der Erde längst Geschichte. Doch dann droht Gefahr aus dem All. Etwas Unbegreifliches ist geschehen. Da sind in Nordeuropa fremde Raumschiffe gelandet und überziehen die Erde mit Krieg. Es dauert lange, bis die Menschen wirksamen Widerstand leisten können, da viele von ihnen zunächst noch an die Friedfertigkeit der kosmischen Eindringlinge glauben.

Dem E-Book liegt die überarbeitete Auflage zugrunde, die 2014 unter dem Titel „Falsche Brüder“ im Projekte Verlag Cornelius GmbH Eisleben und Halle erschienen war. Dieser utopische Roman ist gleichzeitig eine Parallelhandlung zu „Robinas Stunde Null“ von Alexander Kröger.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Kann es auch im schlimmsten Krieg Menschlichkeit geben – noch dazu gegenüber Feinden?

Während des Zweiten Weltkrieges spielt die ergreifende Erzählung „Die Ohrfeige mit Spätzündung“ von Friedrich Wolf. In den unbarmherzigen Wintern der russischen Steppe treffen sowjetische Soldaten auf eine Gruppe versprengter deutscher Soldaten, die dem Tod nahe sind. Unter diesen Soldaten befindet sich der junge Werner K., der mit einer quälenden Erkenntnis ringt - eine Einsicht, die ihm erst spät bewusst wird. Die grausamen Erfahrungen des Krieges, die Begegnung mit der Menschlichkeit seiner Feinde und die Erinnerung an die Worte seines Bruders führen ihn zu einer schmerzhaften, aber kathartischen „Spätzündung“. Eine tief bewegende Geschichte über Schuld, Vergebung und die langsame Erleuchtung des Geistes inmitten der Kriegswirren. Und so beginnt diese Erzählung:

Die Ohrfeige mit Spätzündung

Es war in den letzten Januartagen 1943. Versprengte Reste der deutschen sechsten Stalingradarmee lagen überall noch in der vereisten Steppe zwischen Kalatsch am Don und Karpowka, von wo der Ring in der Richtung Pitomnik Aleksejewka sich zusammenzog. Die Sowjettruppen, die vom mittleren Don westlich von Kletskaja nach Süden vorgestoßen waren, hatten bereits im Dezember harte und erfolgreiche Tage hinter sich. Das schwierigste aber in der winterlichen Steppe, wo alle Dörfer und Gehöfte zerstört waren, blieb das Nächtigen bei 40 Grad unter Null. Während des stürmischen Vormarsches und der Kampfhandlungen spürte man die Nächte kaum anders als die Tage. Doch je enger der Ring und Raum um Stalingrad und je geringer die Bewegungsspanne wurde, um so mehr machte sich die furchtbare Kälte bemerkbar. Vor allem für jene versprengten Splitter der Hitlerarmee in der öden Eissteppe.

Am 3. Februar, gleich nach der Kapitulation, trat eine sibirische Schützendivision den Vormarsch nach Westen an. Und hier stießen wir bei einer kurzen Rast in einem zerstörten Dorf auf ein Menschenhäuflein von etwa zwanzig ehemaligen Hitlersoldaten. Man muss schon „ehemaligen“ sagen. Denn diese völlig  verschmutzten, in Lumpen gehüllten, ausgezehrten Wesen mit tiefen Augenhöhlen und grauschwarzer Haut glichen mehr lebenden Schatten als lebenden Menschen. In solchen Fällen war ich zuerst einmal Arzt. Nur einige der Schattenwesen konnten sich erheben und baten um Brot.

Die Bitte war nicht so leicht zu erfüllen. Denn die sowjetische Division befand sich auf dem Vormarsch; sie hatte nur ihre Gefechtsverpflegung und die „eiserne Ration“, die sie nicht anbrechen durfte. Da ich mich bei einem Regimentsstab befand, wandte ich mich an den Kommandeur und sagte ihm, dass die gänzlich entkräfteten, versprengten deutschen Soldaten unweigerlich sterben würden, wenn man ihnen nicht etwas Nahrung gäbe und sie mitnähme. Der Kommandeur meinte, ich solle mich direkt an das bei den deutschen Gefangenen lagernde Bataillon – wenn auch mit meinem schlechten Russisch – wenden und versuchen, ob die Sowjetsoldaten freiwillig etwas von ihrer Gefechtsration abgäben.

In Adam Scharrers eindringlicher Figur aus „Werkmeister Bohnenstroh und seine Erfahrungen“ verdichten sich die Widersprüche einer Zeit im ideologischen Umbruch. Was zunächst wie eine einfache Begegnung in einer Mieterversammlung beginnt, entwickelt sich zu einem beklemmenden Einblick in das Denken eines Mannes, der zwischen Erfahrungsstolz, Betriebsloyalität und antisemitischer Verblendung schwankt. Die folgende Passage zeigt, wie gefährlich naiv und gleichzeitig selbstgerecht sich solche Haltungen in den Alltag einschleichen – und welche Reaktionen sie hervorrufen.

Ein Jahr später traf ich Herrn Bohnenstroh dann wieder in einer Mieterversammlung. Dort belehrte er uns, wie der Kampf gegen das Wucherkapital geführt wird und dass die Juden uns im Sack haben, dass sie das deutsche Volk ausziehen wie eine Spinne. Er hat laut und lange gesprochen, aber ein paar Arbeiter sind dann bös mit ihm umgegangen. Wenn das deutsche Volk intellektuell und physisch so minderwertig sei, erklärten sie, dass eine an Zahl verhältnismäßig geringe Rasse sich so hoch über es erhebt, dann wäre dieses Volk doch sowieso unfähig, sich zu „erneuern“. Dann wäre es besser, all jene, die ihre eigene Minderwertigkeit so offen bekennen, kurzerhand totzuschlagen. Herr Bohnenstroh saß ganz geknickt. Er hatte nicht mit Einwürfen gerechnet, die er nicht begriff, und ahnte wohl, dass eine neue Entgegnung ihm eine neue Blamage bringen würde. Er verfärbte sich und war ganz benommen, als er unter die gezählt wurde, die totzuschlagen seien. Und dass man ihm das so ins Gesicht sagte, das wäre eine Rohheit, meinte er.

Das sagte er jedoch nur zu mir. Draußen im Hof. „Ich bin über fünfzig Jahre alt und weiß aus Erfahrung, dass ein Mensch, der ehrlich vorwärtsstrebt, nicht untergeht.“ Dann begann er von seinem Betrieb zu erzählen. Als der große Abbau kam, wäre auch beinahe er drangewesen. Aber die Firma habe gewusst, wer er sei, was er könne. Und dass manch einer mit dran glauben musste – das sei nicht die Schuld seines Chefs. Dieser sei ein rechtschaffener Mann. Er hat den Betrieb hochgebracht, ohne dem Zinskapital die Hand zu reichen. Das ging nur, indem jeder Mann im Betrieb das einsah und das Letzte hergab. „Glauben Sie mir, das Herz hat mir geblutet, als ich sah, wie der Mann gekämpft hat. Diese Unsummen von Steuern, die dem Betrieb doch glatt entzogen wurden! Und wenn der Mann nicht durchgehalten hätte, wer würde am stärksten betroffen? – die Arbeiter! Sie fliegen auf die Straße. Heute haben wir es geschafft, trotz der Konkurrenz. Man muss eben die Dinge richtig kennen. Ich weiß, was ich sage, was ich will, auch wenn das mitunter falsch verstanden wird. Dass sich die Arbeiter aufhetzen lassen, das ist der Fehler. Und dahinter steckt doch nur der Jude, glauben Sie mir. Ich bin über fünfzig Jahre alt, ich habe meine Erfahrungen.“

Werkmeister Bohnenstroh ging dann. Er hatte doch noch Gelegenheit gefunden, zu beweisen, dass er mehr Respekt verdient als diese rohen Menschen aus dem Hinterhaus. Man sah es ihm an. Nur eines störte ihn: dass ich gar nicht widersprach. Er sagte: „Ich weiß, Sie haben eine andere Meinung, aber Ihre Meinung achte ich. Mit Ihnen kann man wenigstens reden.“

In „Auch eine Jugend. Ein Leben am Rande der Gesellschaft“ beschreibt Adam Scharrer eindrucksvoll das Leben eines Heranwachsenden, der fern von bürgerlicher Geborgenheit seinen Weg auf der Landstraße sucht – getrieben von Hunger, Hoffnung und dem Wunsch, nicht unterzugehen. Die folgende Passage schildert mit schmerzlicher Offenheit und drastischem Realismus, wie sich Überlebenswille, Jugendträume und körperliche Erschöpfung zu einer existenziellen Erfahrung verdichten – eine Momentaufnahme des Elends, das zugleich von ungebrochener Lebensenergie durchzogen ist.

Sechzehn Wochen in Heu- und Strohschobern zu nächtigen, jeden Morgen, wenn die Sonne höher kommt, nach dem Rauch der Bauernhäuser zu schauen, wo zuerst Kaffee gekocht wird, und dann untertänigst vorzusprechen ist gar nicht so schlimm. Ich wurde bald klug und sah mich abends rechtzeitig nach den entsprechenden Freihotels um. Auch wenn es einmal vierundzwanzig Stunden regnet, nimmt man das nicht tragisch. Es geht nicht weiter als bis auf die Haut. Wenn man gerade Pech hat und zwischen Würzburg und Aschaffenburg durch den Spessart wandert, vor dem Regen nirgends ausweichen kann und sich trotzdem unter einen Baum stellt, auch wenn man weiß, dass es dort nicht trockener ist, so gehorcht man eben dem inneren Bedürfnis, sich gegen völlige Wehrlosigkeit aufzubäumen.

Jugendillusionen sind zähe. Der letzte Rettungsanker war bei mir immer, dass die alten Speckjäger auch einmal jung gewesen sein müssen. Wo ich nur konnte, suchte ich etwas aus dem Leben dieser Alten zu erfahren.

Sie hatten alle einmal hier und dort gearbeitet. Hatten Liebste gehabt, schöne Zimmer bewohnt. Daran klammerte ich mich. Die größte Angst hatte ich davor, aufgegriffen und per Schub nach Hause befördert zu werden. Sonst konnte mich so leicht nichts aus der Ruhe bringen – vorderhand. Beweis:

Ich unterbreche meinen eintönigen Trott und stelle mich unter einen Baum. Trotzdem ich wusste, dass ich dort keinen Schutz hatte und deswegen bald wieder weitergehen würde, weil man im Stehen ja doch nicht ausruhen kann. Ich wollte eben momentan nicht länger weitertrotten. Das Wasser lief mir am Körper hinunter. Die Straße war aufgeweicht, und so blieb es nicht dabei, dass bei jedem Tritt nur die Suppe in meinen Schuhen quietschte – sie hatten auch viel zu große Löcher, um Sand, kleine Steine usw. fernzuhalten. Das alles mahlte unter den Sohlen und zwischen den Zehen. Diese Schuhe mussten also von den Füßen. Ich blieb noch eine kleine Weile stehen, hing dem Gedanken nach an Arbeit und die Liebsten, die ich irgendwo einmal, wie auch andere Handwerksburschen, bekommen würde. Vorderhand vielleicht nicht. Ich war körperlich fast noch ein Kind, und viele fragten mich, warum ich von der Schulbank fortgelaufen wäre. Aber so ein bis zwei Jahre auf der Landstraße, dachte ich, dann werde ich schon noch wachsen.

Mit einem Male fühlte ich so etwas wie einen elektrischen Schlag im Körper. Dieses Gefühl kannte ich genau, weil wir in der Lehre mit der Durchleitung von elektrischem Strom durch Maschinen oder Eisenstangen – die der Betreffende, dem das Attentat galt, gerade berührte – eine angenehme Abwechslung sahen. Trotzdem die Elektrizität den ganzen Körper packt, sucht man doch unwillkürlich den Teil des Körpers zu isolieren, wo sie überspringt. Man fühlt dort eine stärkere Erschütterung. So war es auch hier. Dieser Punkt schien bei mir zwischen den Beinen an der unteren Bauchgegend zu sein. Ich fasste mit beiden Händen dorthin und fühlte auch einen Fremdkörper durch die Hose. Um sicherzugehen, schloss ich die Hände aus Leibeskräften zur Faust. Ich merkte, dass der Gegenstand, den ich gefasst hatte, nachgab, und mein Wille zum Leben diktierte den Willen zur Vernichtung des Ungewissen, auch wenn es der Teufel selbst sei. Ich muss sehr stark gedrückt haben, denn ich sah nachträglich die Spuren meiner Fingernägel in meiner Handfläche. Als ich glaubte, dass selbst besagter Teufel tot sein müsse, wenn er es sei, ließ ich los.

In „Die Engel in den grünen Kugeln“ vermischen sich Spionage, Science-Fiction und psychologischer Nervenkitzel zu einer packenden Erzählung über Mut, List und das Spiel mit der Angst. Die folgende Szene führt mitten hinein in einen riskanten nächtlichen Einsatz, bei dem Tarnung, Timing und Improvisation über Leben und Scheitern entscheiden. Zwischen außerirdischer Überwachung und tierischer Tarnung wird der Leser Zeuge eines ebenso absurden wie spannenden Schleichmanövers – mit einer Kuh als unwahrscheinlicher Verbündeter.

Am späten Nachmittag pirschten wir um das gesamte Objekt. An der Rückfront der Ställe befanden sich Luftschleusen. Wenn überhaupt, schien dort ein Einstieg möglich. Wachen entdeckten wir auf dieser Seite nicht.

Je näher der Abend rückte, desto unruhiger wurde ich. Verabredungsgemäß rückte Sven zu mir. Wir stimmten uns ab; das meiste musste jedoch ohnehin so genommen werden, wie es sich ergäbe.

Sven zeigte sich ebenfalls voller Unruhe, und er versuchte, auch unter Hinweis auf das ausgebliebene Flugzeug, mich zu überreden, die Unternehmung gemeinsam zu starten. Vereinbarungen und Order seien nichts Starres. Man müsse sich den Gegebenheiten anpassen. Ob ich ihn überzeugt hatte, dass es dennoch für uns besser sei, wir trennten uns, wusste ich nicht. Es wurde Zeit für mich.

Im letzten Augenblick kam mir eine Idee. Bisher erschien es mir am Schwierigsten, mich dem freistehenden Objekt zu nähern, ohne bemerkt zu werden. Die Polarnacht blieb durchsichtig. Buschwerk nahe der Gebäude fehlte. Ich hätte riskieren müssen, beim Annähern ertappt zu werden. Selbstverständlich wäre es für die Anderen dann ein Leichtes gewesen, mich auszuschalten. Dennoch, ich hätte es so gewagt, weil es eine andere Lösung anscheinend nicht gab.

Aber um mich herum standen und lagen wiederkäuend Kühe. Sie gehörten ins Landschaftsbild, daran hatten sich wohl auch die Außerirdischen gewöhnt. Wenn ich also ...

Es war noch nicht so dunkel, dass ich nicht hätte wählen können. Dennoch wurde der erste Versuch ein Reinfall. Als ich mich auf das Tier, das mir gutmütig erschien, setzen wollte, wurde es bockig, drohte auszubrechen. Da sprang ich lieber wieder ab.

Dann hatte ich Glück. Ich schwang mich auf eine Kuh, die scheute ein wenig, stand offenbar erschrocken, brummelte vor sich hin und ging dann wie verstört einige Schritte. Ich redete ihr, tief zu den Ohren gebeugt, gut zu. Nur allmählich ließ sie sich durch Schenkel- und Fersendruck bewegen, langsam den Hang hinunterzutrotten. Ich lag so flach, wie ich nur konnte, auf ihrem Rücken, klammerte mich mit Armen und Beinen fest, versuchte dennoch, den Blick nach vorn frei zu halten.

Im offenen Hof, den die Gebäude flankierten, glaubte ich die Schemen dreier Kugeln zu erkennen, die bewegungslos beieinander standen. Doch plötzlich, ich wäre deswegen beinahe zu Boden gegangen, setzte sich eine ruckartig in Bewegung, kam auf mich zu, hielt an der Gebäudeecke jedoch an, bog rechtwinklig zum Giebel hin ab, änderte erneut den Kurs, flitzte die Rückseite - mein Ziel - des Hauses entlang und näherte sich wenig später aus entgegengesetzter Richtung den zwei still verharrenden Artgenossen. Eine Streife - also bewachten sie doch.

Vorsichtig dirigierte ich mein Reittier, ließ es ab und an eine Weile stehen. Und ich gewahrte, dass andere Kühe ebenfalls nachtwandelten. Ich benötigte so noch fast eine Stunde, bis ich meinem Ziel nahe war, dann lenkte ich das Tier zur Rückwand. Unmittelbar über mir befand sich die Luftöffnung, verschlossen mit einer feststehenden, halb offenen Streifenjalousie. Schon wollte ich mich damit befassen, als in einem Abstand von nicht einmal drei Metern die Wachkugel erneut vorbeiflitzte. Als ich mich vom Schreck einigermaßen erholt hatte, sah ich zur Uhr. Eine Stunde und 20 Minuten lagen zwischen der ersten und dieser Kontrolle. Es blieb die Frage, ob auf einen solchen Turnus Verlass war.

Reden wir doch noch einmal von der “Ippen IV“, die Adam Scharrer in einer Passage seines spannenden Buches geradezu liebevoll beschreibt. Dort lesen wir:

„Ippen IV“ ist schon ein alter Kämpe. Seine Nachfolger laufen schneller, haben stärkere Rippen. Vielleicht brechen seine alten Knochen einmal in einer Brandung - dann werden die andern seinen Weg fortsetzen. Die Mannschaft auf „Ippen IV“ meint das auch. Aber sie will nicht von „Ippen IV“ herunter. Wozu auch? Sie wohnen alle so in der Nähe: in Stralsund, in Ziegenort, in Rostock, in Stettin. Dort haben sie Frau und Kinder und kommen, wenn sie Glück haben, für ein paar Stunden nach Hause. Sie wissen, dass „Ippen IV“ so lange fährt, bis er einmal müde untertaucht und sich schlafen legt. Und so lange fahren sie mit. In ihren Augen glänzt keine Hoffnung mehr. Sie sind mit „Ippen IV“ alt geworden und leben von ihrer Würde. Erster Steuermann, zweiter Steuermann, Matrose. Erster Maschinist, zweiter Maschinist, Heizer. Koch. Kapitän. Jeder sein eigener Vorgesetzter und Vorgesetzter über einen andern. Der Kapitän für alle. Auf „Ippen IV“ fährt eine alte Generation der Hoffnungslosigkeit entgegen. Nur der zweite Maschinist und der Heizer hoffen noch - in jedem Hafen auf ein junges Weib.

Auch der Kapitän und der Koch lieben „Ippen IV“, weil er verschwiegen ist. Er plaudert nichts aus von Gesellen, die der Sturm verschlug. Er trägt sie brav über die Ostsee, hin und her.

Mitunter scheint es, als verstünde er uns. Wenn vom Strande her ein Wasserball in unsere Fahrt schwimmt oder ein keckes kleines Schifflein, das spielenden Kindern am Strande fortsegelte, dann genügt ein scharfes Herumwerfen des Steuers, und aus unserm übermütigen Lachen scheint „Ippen IV“ herauszuhören, dass wir das Spielzeug haben wollen. Dann dreht er gutmütig bei mit seiner schweren Last und steuert auf den Wasserball, auf das Schifflein zu, ganz nahe, dass wir es greifen können, und setzt dann wieder seinen Kurs fort - Dorrototo - Dorrototo. Mit uns lacht die Sonne und spiegelt sich in der ruhigen See. Und die Möwen, die uns begleiten, holen das Brot aus unsern Händen, schießen pfeilschnell davon und schreien: Habt Dank, ihr Wassermenschen; ist es nicht herrlich, unter weitem Himmel, auf weiter See in der Sonne zu baden? So denke ich manchmal.

Gestern sahen wir die Ostseeflotte im Manöver auf der Höhe von Lübeck. Hei, wie die Lichter der Torpedoboote jagten, hin und her. Und im Hintergrunde sieht man, mit dem Glas, die schweren Brocken, vom matten Licht der Sterne verräterisch preisgegeben. Eine Salve rollt aus den schweren Rohren; rollt wie ein schweres Gewitter über das große Wasser.

So klingt es, wenn ein alter Freund über ein altes Schiff schreibt, das schon viel erlebt hat und noch immer zuverlässig seinen Dienst verrichtet. Wollen Sie nicht auch die Bekanntschaft von „Ippen IV“ und seiner Mannschaft machen – einschließlich des Schiffskochs?

Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die nächste Büchersendung mit fünf Sonderangeboten ist schon fast unterwegs.

Auch in der nächsten Woche stehen weitere Texte von Adam Scharrer im Sonder-Angebot, darunter seine Erzählung „Der Mann, der seine Heimat suchte“, die 1979 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar erschien: Als russlanddeutscher Kriegsgefangener wird Johann Ostermann auf einen badischen Bauernhof geschickt - zurück in jenes Land, das seine Vorfahren einst verließen. Dort begegnet er einer erschöpften Familie, die mit Verlust, Mangel und der Willkür der Kriegswirtschaft kämpft. Ostermann wird zum stillen Beobachter, zum Teil des Alltags, zum Spiegel einer zerrissenen Gesellschaft - und zum Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft.  Dieser Roman von Adam Scharrer ist nicht nur ein literarisches Dokument der Kriegszeit, sondern auch eine zutiefst menschliche Erzählung über Identität, Solidarität und den langen Weg zur inneren und äußeren Heimat.

Und hier begegnen wir Ostermann das erste Mal:

Als der Feldwebel, der in Iwatzewitze die Namen der gefangenen Russen in eine Liste eintrug, den Namen Johann Ostermann hörte, horchte er neugierig auf. „Johann Ostermann?“, fragte er überrascht. „Jawohl!“, antwortete der vor ihm stehende, etwa dreißigjährige Mann in deutscher Sprache. „Ich stamme aus Kronau, einem deutschen Dorf in Russland.“

Ostermann wurde dem Abteilungsstab überwiesen und dann als Dolmetscher verwendet. Einige Monate später wurde er nach Deutschland transportiert und zur Arbeit auf einen Bauernhof im Dorf Lückenhausen abkommandiert. Diese Abkommandierung war ihm sehr willkommen. Im Dorf schien es ihm leichter, das Ende des Krieges abzuwarten, als in dem streng überwachten militärischen Betrieb. Auch hoffte er besseres Essen zu erhalten. Er hatte schon stark an Gewicht verloren infolge der elenden Suppen und winzigen Brotrationen.

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