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Kunst des Humors – Humor der Kunst. Beitrag zu einer fröhlichen Wissenschaft von Gerhard Branstner
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
08.11.2022
ISBN:
978-3-96521-774-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 115 Seiten
Kategorien:
Darstellende Kunst/Theater/Geschichte & Kritik, Darstellende Kunst/Theater/Generell, Darstellende Kunst/Theater/Dramaturgie
Theaterwissenschaft, Theaterregie und Theaterproduktion
Theater, Kunst, Humor, Utopie, Realität, Dekadenz, Optimismus, Komödie, Tragödie, Theaterkritik, Komik, antike griechische komödie, Tragik
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Der Humor in der Gestaltung des Komischen

Wir erinnern daran, dass das Normale in dem Begriffe, den es gemeinhin hat, nicht Maßstab der ästhetischen Erkenntnis, also auch nicht der Erkenntnis des Komischen sein kann. Die künstlerische Darstellung hat demnach gerade hinsichtlich des Komischen eine Aufgabe darin, das durch die Gewohnheit zur Norm erhobene Normale infrage zu stellen. Das wird erreicht, wenn das Komische in seiner Darstellung den gewohnten Vorstellungsverbindungen entzogen und in entgegengesetzte gestellt wird. Speziell muss der Gewohnheit in ihrer Tendenz, die Quantität (das Normale) als Argument gegen die Ausnahme zu werten und dieser in einem komischen Konflikt von vornherein die Komik zuzuordnen, entgegengewirkt werden, denn oft genug ist nicht die Ausnahme, sondern das Normale, mit dem sie in Konflikt gerät, der komische Teil oder zumindest nicht unbeteiligt. Ebendieser Konstellation gibt Moliere Ausdruck, wenn er Alceste im „Misanthrop“ gerade dadurch zu einem Charakter werden lässt und ästhetische Anteilnahme verschafft, dass er ihn nicht schlechthin als komische Figur zeichnet, sondern ihn seiner Umgebung gegenüber (partiell) als im Recht erscheinen lässt, denn Alceste führt einen hartnäckigen Kampf gegen die Heuchelei, Unaufrichtigkeit und das leere Geschwätz der Menschen seines nächsten Umkreises. Die Differenziertheit dieser Gestalt verdeutlicht Moliere in einem Gespräch zwischen Alceste und Philinte. „Philinte (zu Alceste): … In Ihrem wilden Kampf mit Lug und Unnatur betrachtet man. Sie schon als komische Figur.“ Worauf Alceste erwidert: „Das ist mir grade recht! Das wollt ich ja erreichen! Das freut mich, denn ich seh darin ein gutes Zeichen! Ich würde IRR an mir, vor Schand müsst ich vergehn, würd ich von diesem Pack als Weiser angesehn.“

Dieser Dialog zeigt, dass die Komik Alcestes zum Teil der Komik seiner Umgebung geschuldet ist. Und die Umgebung wird in das ihr zukommende Unrecht gesetzt, indem Moliere dem Alceste gewisse moralische Qualitäten verleiht. Zugleich wird aber auch Alceste durch seine Einseitigkeit, seinen Totalitätsanspruch zur komischen Figur. Die vornehmliche Aufgabe des Komödiendichters ist es demnach, das fälschlicherweise als vernünftig Angesehene in seiner Komik und das fälschlicherweise als komisch Angesehene in seiner Vernünftigkeit zu zeigen.

Der Humor ist in seiner prinzipiellen Aversion gegen die Gewohnheit nun nicht nur ein Mittel, die Komik in ihren wirklichen Proportionen zu erkennen, er ist auch Mittel ihrer Gestaltung. Die Geschichte der komischen Genres zeigt uns eine Vielzahl von Möglichkeiten, den Gegenstand der Darstellung dem üblichen Aspekt zu entrücken. Wir wollen hier nur eine Möglichkeit näher beschreiben, nämlich die Erfindung einer der „Natur der Sache“ nicht entsprechenden Konstellation, um die Dinge in ein ungewohntes Licht zu setzen. Beispiele dafür finden wir genug. So ist Mark Twains „Yankee an König Artus’ Hof“ in eine Zeit verlegt, die mit derjenigen, in die ein Yankee hineingehört, kontrastiert, sodass sowohl die Komik des Yankees als auch die Mittelalterlichkeit des Feudalismus deutlicher werden. Eine ähnliche Wirkung der Technik des zeitlichen Kon- trasts sieht Hegel im „Don Quijote“, wenn er schreibt, dass der „Roman des Cervantes das Rittertum schon als eine Vergangenheit hinter sich hat, die daher nur als isolierte Einbildung und fantastische Verrücktheit in die reale Prosa und Gegenwart hineintreten kann, doch ihren großen und edlen Seiten nach nun auch ebenso sehr weiter über das zum Teil Täppische, Alberne, zum Teil Gesinnungslose und Untergeordnete dieser prosaischen Wirklichkeit hinausragt und die Mängel derselben lebendig vor Augen führt“. Ein anderes Beispiel geben Stendhal und Balzac, wenn sie den Sorel oder Rastignac in eine soziale Umgebung geraten lassen, in der sie „rechtens“ nicht zu Hause sind, um dadurch sowohl den Charakter des Helden sich deutlicher entfalten zu lassen als auch diese Umgebung „und die Mängel derselben lebendig vor Augen“ zu führen. Die Technik des Kon- trasts finden wir auch des Öfteren von Chaplin angewendet, indem er die Klassen, Konventionen der Schauplätze durcheinanderbringt, den „Charlie“ in eine Umgebung geraten lässt, die ihn nichts angeht.

Neben dieser Verkehrung der üblichen zeitlichen bzw. sozialen Verhältnisse finden wir vor allem bei Brecht die Verkehrung der üblichen Meinungen (nach dem Motto: mal sehen, ob nicht auch das Gegenteil stimmt). So wird in den Flüchtlingsgesprächen die nachteilige Meinung über Schlamperei verkehrt, indem sie auf ihre Vorteile hin untersucht wird (wodurch selbstredend die Schlamperei nicht schlechthin gerechtfertigt, sondern der Faschismus entlarvt und Möglichkeiten seiner Bekämpfung gezeigt werden sollen); so wird im „Kreidekreis“ üblichen Auffassungen am laufenden Band ihr Gegenstück präsentiert, angefangen von dem Streit um das Land bis zu den Richtersprüchen des Azdak. Dass Brecht diese Technik nicht nur hier, sondern auch im „Guten Menschen von Sezuan“, im „Schwejk“ und in anderen Werken angewandt hat, ist kein Zufall. Um das verständlich zu machen, muss die Effektivität der Technik des Kontrasts in ihrem Mechanismus erfasst werden.

Kunst des Humors – Humor der Kunst. Beitrag zu einer fröhlichen Wissenschaft von Gerhard Branstner: TextAuszug