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Der falsche Mann im Mond. Utopischer Roman von Gerhard Branstner
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
04.09.2016
ISBN:
978-3-95655-716-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 168 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Science Fiction /Action und Abenteuer, Belletristik/Krimis & Detektivgeschichten/Polizeiprozesse
Klassische Science-Fiction-Literatur, Kriminalromane und Mystery: Polizeiarbeit
Science Fiction, Mond, Erfinder, Schwerkraft, Patentraub, Betrug, Krimi
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Lunastadt glich einem aufgestörten Ameisenhaufen. Callingtons in den nächsten Stunden zu erwartende Ankunft hatte alles, was laufen konnte, auf die Beine gebracht, denn das inzwischen allen zu Ohren gekommene Gerücht, dass es bei dem Skaphandersprung nicht mit rechten Dingen zugegangen sein solle, hatte die Popularität des Mannes ungeheuer gesteigert. Es schien, als ob die Leute gerade darin die besondere Sensation erblickten. Jedenfalls hoffte jeder darauf, dass der Schwindel, wenn überhaupt, dann natürlich in Lunastadt zum Platzen kommen würde. Also waren alle auf den Beinen, unter ihnen auch Simin. Aber er allein hatte es in der Hand, ob die erhoffte Sensation Wirklichkeit wurde. Zu diesem Zweck hatte er sich rechtzeitig zum Raketenhafen begeben, um, wenn möglich, unter den mit Callington ankommenden Reportern einen zu finden, der den Skaphandersprung seinerzeit selbst beobachtet hatte, denn Simin wollte sich noch über einige Punkte Gewissheit verschaffen. Dazu benötigte er jedoch einen Augenzeugen, der eine geschulte Beobachtungsgabe besaß.

Simin hatte einige Mühe, sich durch die den Raketenhafen umlagernde Menge zu drängeln, um an einen günstigen Standort zu gelangen. Als er es endlich geschafft hatte, schob er seinen von der Rempelei etwas in Unordnung geratenen Raumanzug wieder zurecht und fasste sich in Geduld; eine Verspätung war hier nichts Ungewöhnliches. Die Leute machten es sich denn auch alsbald bequem. Die meisten hockten sich nieder, einige legten sich sogar der Länge nach hin, schoben die Hände unter den Schutzhelm und blickten in die Schwärze des unendlichen Raumes. Auch Simin hockte sich nieder; er blickte jedoch nicht ins Schwarze und noch weniger in die Sonne, deren grelles Licht ihm trotz der mit einem Filter versehenen Sichtscheibe unerträglich erschien. Vielmehr heftete er seine Augen auf die wie üblich auf dem Horizont sitzende Erde, deren Anblick ihn immer wieder faszinierte. In einem wunderbar milden Blau freundlich zum Mond heraufleuchtend, hatte sie für Simin stets etwas Anheimelndes an sich. Daraus erklärte es sich wohl auch, dass er, wie übrigens die meisten anderen Bewohner des Mondes auch, von der Erde ,da unten' sprach, obwohl sie doch, vom Mond aus gesehen, über ihm stand. Von der Erde ,da oben' zu sprechen hätte sie aus dem vertrauten Verhältnis gerissen, an das man sich nun einmal in seinen Erdentagen gewöhnt hatte.

Die Menge geriet in Unruhe, alle sprangen auf und schauten in die Schwärze des Weltraums. Simin versicherte sich noch einmal der Tatsache, dass er von seinem Standort aus ohne Schwierigkeit an die Reporter herankommen konnte, und gab sich dann ebenfalls dem Schauspiel hin, das ein wie ein Komet aus der Nacht des unendlichen Alls auftauchendes Raumschiff dem menschlichen Auge bot. Aus einem wie ein ferner Stern leuchtenden kleinen Punkt wurde allmählich eine kleine Kugel, die immer schneller an Größe gewann, ohne dass sie jedoch näher zu kommen schien. Erst wenn das Schiff seinen direkten Kurs auf den Mond in eine Umlaufbahn verändert, wird seine Bewegung deutlich erkennbar. Eben diese? Manöver führte das Raumschiff, das Callington nach Lunastadt brachte, jetzt aus. Simin blickte auf die Uhr und stellte eine Verspätung von beinahe einer Stunde fest, denn in diesem Augenblick hätte das Schiff bereits landen müssen, während es in der Tat noch eine volle Umkreisung um den Mond zu absolvieren hatte. Die Menge ließ sich denn auch wieder auf den Boden nieder, um teils sitzend, teils liegend die Mondumfahrt des Raumschiffes abzuwarten.

Als es endlich so weit war, als die Rakete wieder auftauchte und in der gewohnten Präzision auf dem Hafengelände aufsetzte, blieben alle ungerührt sitzen oder liegen, denn keiner von ihnen durfte das Hafengelände betreten; allein das Stadtoberhaupt von Lunastadt trat mit einer kleinen Abordnung aus dem Hafengebäude und eilte über das Landefeld auf das Schiff zu, um den Gast mit einigen wohlabgewogenen, willkommenheißenden, zurückhaltenden Worten zu begrüßen. Danach begaben sich Gäste und Abordnung in das Hafenbüro, um die nötigen Formalitäten zu erledigen. Jetzt kam die Menge allmählich wieder in Bewegung. Und als sich die Tür des Hafenbüros öffnete und, allen voran, Callington heraustrat, stürmte alles auf ihn zu und umgab ihn samt seiner Begleitung wie eine undurchdringliche Mauer. Callington winkte der Menge mit großer Geste zu und ließ es geschehen, dass ihn einige auf ihre Schultern hoben und im Kreise herumtrugen. Callington winkte wieder, diesmal mit beiden Armen. Und auch die Menge winkte, die meisten ebenfalls mit beiden Armen. Da all das jedoch unter freiem Himmel, also hier auf dem Mond ohne die für eine Akustik nötige Atmosphäre vonstattenging, war von dem ganzen Trubel nicht der geringste Laut zu hören. Wer neu auf dem Mond war und diese Erscheinung zum ersten Mal erlebte, kam sich wie in einer Geisterwelt vor, in der er und alle anderen wie durch einen Zauber ihrer Stimme beraubt worden waren. Auch Callington schien jetzt von diesem Gefühl ergriffen zu sein; er winkte noch einmal ohne rechte Überzeugung, ließ dann die Arme sinken und hockte reichlich ratlos auf den Schultern der Männer. Als es weiterhin still blieb, hob er dennoch die Arme wieder hoch, konnte sich aber nicht entschließen zu winken. Die Menge brach in ein Gelächter aus, das Callington wohl sehen, aber nicht hören konnte, worüber er vollends in Verlegenheit geriet und Hilfe suchend um sich blickte.

Als man sich endlich seiner erbarmte und ihn zu Boden setzte, wurde er sogleich von seinen Begleitern gefasst und durch die Menge hindurch zu dem bereitstehenden Fahrzeug geleitet, in dem er sich wie ein verängstigtes Hündchen verkroch.

Simin hatte Callingtons Verhalten aufmerksam beobachtet, dabei aber nicht versäumt, nach den Reportern Ausschau zu halten. Im gleichen Augenblick, als Callington seinen Auftritt beendete, machte Simin sich an einen der Reporter heran und brachte sein Anliegen vor. Der Mann verwies ihn an einen seiner Kollegen, der sich auch bereit zeigte, Simin behilflich zu sein.

Simin führte ihn aus der Menge heraus und zum Hafenbüro. Dort bat er einen ihm bekannten Angestellten um einen Raum, in dem man einige Minuten ungestört sein könne.

„Ich unterhalte mich nicht gern über Sprechfunk", erklärte er dem Reporter, sobald sie in den zur Verfügung gestellten Raum eingetreten waren. „Ich hoffe, Ihnen geht es nicht anders."

„Ich bin nur selten darauf angewiesen", entgegnete der Reporter, der wie Simin den Helm des Schutzanzuges abgenommen hatte und sich jetzt in einen der Sessel setzte. „Für mich ist es eher eine Abwechslung als eine Behinderung."

„Jedenfalls mindert es die natürliche Beziehung zwischen den Menschen", meinte Simin. „Mit dem Telefon geht es mir ebenso. Wenn ich den Gesprächspartner nicht in natura vor mir habe, bin ich mir nie ganz sicher, ob ich ihn richtig verstehe. Irgendetwas fällt immer weg, wenn die Technik in den Kontakt zwischen den Menschen eingeschaltet wird."

„Andererseits wären ohne sie manche Kontakte gar nicht möglich. Ich nehme aber an, Sie wollten sich nicht darüber mit mir unterhalten."

„Doch, doch", versicherte Simin.

Der Reporter brach in Gelächter aus. „Ich finde das wirklich grotesk! Da fliegt man einige Hunderttausend Kilometer durch den interplanetaren Raum, und das erste, wonach man nach der Landung gefragt wird, ist, ob man das Telefon mag."

„Oder den Sprechfunk", ergänzte Simin lächelnd. „Ich möchte mir nämlich Gewissheit verschaffen, ob ich in Ihnen einen Mann vor mir habe, der seine eigenen Sinnesorgane vollständig zu benutzen versteht und sich nichts vormachen lässt."

„In dieser Hinsicht kann ich Sie beruhigen; schließlich war ich der einzige unter den Zeitungsleuten, der die Seriosität von Callingtons Unternehmen angezweifelt hat."

„Was hatte Sie dazu veranlasst?"

„Die Tatsache, dass die Firma Douglas kaum die wissenschaftlichen Voraussetzungen, keinesfalls aber die technischen zur Verfügung hatte."

„Sind Sie sich dessen sicher?"

„Absolut. Bevor ich über die Wirklichkeit eines Ereignisses berichte, informiere ich mich stets über seine Möglichkeit. Das ist mein Arbeitsprinzip. Es setzt mich in die Lage, der Wirklichkeit mit mehr Verständnis gegenüberzutreten; vor allem aber kann ich beurteilen, ob sie ihren Möglichkeiten gerecht geworden ist." „Ein ausgezeichnetes Prinzip; demnach waren Sie schon vor dem Skaphandersprung davon überzeugt, dass er unmöglich ist.'

„Ja."

„Und haben ihn deshalb besonders kritisch beobachtet?"

„Gewiss.“

„Und haben trotzdem nicht herausfinden können, auf welche Weise etwas wirklich geschehen konnte, das gar nicht möglich ist?"

„Nein. Zunächst erschien mir der Umstand verdächtig, dass Callington nicht an der vorgesehenen Stelle herunterkam. Bis man ihn fand, war einige Zeit verstrichen."

Der falsche Mann im Mond. Utopischer Roman von Gerhard Branstner: TextAuszug