Darwins Entdeckungen führen schnurstracks zum Kommunismus. Der Kommunismus ist die logische Konsequenz des Darwinismus. Das ist eine abenteuerliche Behauptung. Wenn sie aber richtig ist, haben wir es mit einer ungeheuren Erkenntnis zu tun. Und mit einem tiefen Eingriff in Wesen und Struktur des Marxismus. Daher ist zu Beginn ein Wort nötig zu dem, in was da eingegriffen wird. Und am Ende ein Wort zu den Folgen des Eingriffs.
Der Marxismus ist eine Wissenschaft, und zwar die einzige in Bezug auf seinen Gegenstand. So wenig es zwei Physiken gibt oder fünf Mathematiken oder siebenundzwanzig Philologien, so wenig gibt es mehrere Wissenschaften, betreffend die allgemeinen, wesentlichen Gesetzmäßigkeiten in Natur und Gesellschaft. Andererseits kennt jede Wissenschaft verschiedene Schulen, heftige Streite und eklatante Irrtümer, ruhige und sprunghafte Entwicklungen, Seiteneinsteiger, dumme und kluge Bekämpfungen und Abwehrkämpfe. Der Marxismus ist eine Wissenschaft wie jede andere.
Und der Marxismus ist eine Wissenschaft wie keine andere. Die erste Besonderheit besteht in seiner Grundlegung. Sie geschah mehr oder weniger durch einen einzigen Menschen, obwohl ihr Umfang gewaltig und ihr Inhalt vielgestaltig ist. Diese Grundlegung war eine Herkulesarbeit und ist einmalig in der Wissenschaftsgeschichte, weshalb diese Wissenschaft zu Recht den Namen eines Menschen trägt.
Eine zweite Besonderheit des Marxismus ist seine Lehensgefährlichkeit. Marxisten wurden und werden millionenfach in Gefängnisse geworfen und in Konzentrationslager, werden millionenfach gefoltert, für ihr ganzes Leben verkrüppelt und millionenfach um ihr Leben gebracht, von Kapitalisten und von Stalinisten. Der Marxismus selbst wird ununterbrochen und massenhaft auf die unterschiedlichste Weise entstellt, verfälscht, verleumdet, verschwiegen und verdammt; in ihm angedichtete und in wirkliche Krisen gestürzt.
Die dritte Besonderheit ist seine Aushöhlung von innen her. Das kann die revisionistische Aushöhlung sein oder die dogmatische, zum Beispiel die von Bernstein oder die von Stalin. Das kann aber auch die (dem Revisionismus nachempfundene) Abwicklung sein, wie das seit einiger Zeit in der PDS geschieht. Da wird der Marxismus mehr und mehr auf eine beliebige Anschauung reduziert oder ganz verabschiedet.
Diese Besonderheiten trugen und tragen dazu bei, dass der Marxismus kaum dazu kam und kommt, sich wie eine normale Wissenschaft zu entwickeln.
Wie stand Marx zu Darwin? Darwin war eine Quelle, die Marx kannte, aber nicht nutzte. Marx hatte sein System bereits einigermaßen beisammen und zu Ende gedacht. Insofern kam Darwin zu spät. Wer reißt schon das, was er gerade frisch errichtet hat, wieder auf? Und fängt noch mal von vorne an? Also ordnete er Darwin neben sich ein, indem er ihn als den Mann lobte, der auf dem Gebiete der lebenden Natur das getan habe, was sie (Marx und Engels) auf dem Gebiet der Gesellschaft getan haben, nämlich die objektiven Entwicklungsgesetze aufgedeckt. Damit war die Welt in Chicago-Manier unter Marx und Darwin aufgeteilt. Womit Marx Darwin mehr würdigte als dieser ihn. Überdies war die wissenschaftliche Leistung von Marx ungleich größer als die von Darwin, wovon dieser keinen Begriff hatte. Aber unabhängig davon ist die von Darwin aufgedeckte Gesetzmäßigkeit ungleich umfassender als die von Marx. Und sie ist allen von Marx aufgedeckten Gesetzmäßigkeiten übergeordnet, wovon dieser nun wieder keinen Begriff hatte. Ich rede von dem Gesetz der Anpassung.
Alle von Darwin erkannten Gesetze haben ihren schließlichen Sinn und Zweck im Gesetz der Anpassung. Dieses Gesetz ist das grundlegende Entwicklungsgesetz allen Lebens, also auch des gesellschaftlichen, menschlichen. Es ist das einzige Gesetz, das gleichermaßen für die lebende Natur und für die Gesellschaft gilt. Das hat Darwin selber nie begriffen, und Marx auch nicht.
Es handelt sich hier nicht um die fälschliche Übertragung von Darwin in Form des Sozialdarwinismus und dergleichen, um biologische Versimpelungen oder um das Verständnis der Anpassung als moralische oder politische Unanständigkeit.
Das Gesetz der Anpassung kann nicht in der Form auf die Gesellschaft übertragen werden, in der Darwin es begriffen hat. Es erhält, angewandt auf die Gesellschaft, zwei grundlegende Besonderheiten. Die erste Besonderheit besteht darin, dass der Mensch sich der Natur anpasst, indem er die Natur sich anpasst. Wenn das Tier im Winter eine Ortsveränderung in wärmere Zonen vornimmt oder sich einen Winterpelz wachsen lässt, zieht der Mensch einen Mantel über oder heizt die Wohnung ein. Das Tier verändert sich, der Mensch verändert seine Umwelt.
Die zweite Besonderheit besteht darin, dass der Mensch sich mittels seiner gesellschaftlichen Organisation der Natur anpasst. Von den Produktionsinstrumenten und Produktionsverhältnissen, den Klassenstrukturen über die Wissenschaften bis zu Staat, Justiz, Moral usw. ist ihm die gesellschaftliche Organisation Organ der Anpassung.
Beide Besonderheiten der menschlichen Anpassung haben ihre Vorläufer im Tierreich.
Es gibt massenhaft Beispiele dafür, dass das Tier, dem Menschen vergleichbar, die Umwelt auf sich einrichtet, zum Beispiel im Nest- oder Höhlenbau oder in der Vorratswirtschaft. Und auch die gesellschaftliche Organisation als Organ der Anpassung kennen wir in den vielfältigsten Vorformen, erinnert sei nur an die Arbeitsteilung der Termiten oder die Sozialverbände höherer Tiere, mittels derer sie sich erfolgreich anpassen. All diese Vorformen der beiden menschlichen Besonderheiten könnten uns jedoch nur zum Verständnis dafür dienen, dass die menschliche Anpassung von grundsätzlich anderer Art ist. Beide Besonderheiten der menschlichen Anpassung verleihen ihr eine weit höhere Qualität als die tierische. Aber sie machen sie zugleich als Form der Anpassung schwer erkennbar. Sie täuschen darüber hinweg, dass der Mensch wie alle lebende Natur der Anpassung unterliegt. Das dialektisch Besondere erscheint als der Gegensatz des Allgemeinen. Oder anders gesagt: diese beiden Besonderheiten zu erkennen war Voraussetzung. um die Anpassung als das für Natur und Gesellschaft gleichermaßen gültige Gesetz zu entdecken.
Die Anpassung der Natur an den Menschen ist immer Anpassung des Menschen an die Natur. Wir ziehen den Mantel im Winter an und nicht im Sommer. Wir tun, was immer wir auch tun, abhängig vom Klima, von den Jahreszeiten, von den Tageszeiten, von Tag und Nacht. Wir können nichts ausrichten ohne den Stoff der Natur (Holz, Kohle, Wasser, Wind, Sonne, Schwerkraft usw.). Kurz: Wir können, so sehr wir sie auch bis zur Unkenntlichkeit verwandeln, nur das Material der Natur verwandeln, und immer nur nach den Gesetzen der Natur.
Das Gesetz der Anpassung ist immer wirklich und immer wirksam. Aber seine Erkenntnis findet erst dann statt, wenn die Anpassung gefährdet wird. Und auch dann wird zunächst nicht das Gesetz, sondern die Gefahr reflektiert. Daher die Kopflosigkeit gegenüber der Gefahr, die Sinnlosigkeit und der Opportunismus der Maßnahmen, die Unfähigkeit und Schlafmützigkeit selbst der sozialistischen Parteien, die Unterschätzung der Gefahr, die peinliche Vernunftlosigkeit des Gedankens. Und die selbstmörderische Hilflosigkeit. Das Hauptproblem besteht allerdings darin, dass die Verursacher und Nutznießer der Umweltzerstörung über die Mittel verfügen, die Erkenntnis der Schäden und ihre Schuld daran zu verdecken.
Das Gesetz der Anpassung gilt nicht erst am kritischen Punkt, wie das Fallgesetz nicht erst wirksam ist, wenn uns die Tasse aus der Hand fällt. Das Gesetz der Anpassung gilt für alle lebende Natur von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende, und es gilt für die Gesellschaft von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende. Es ist das einzige Gesetz, das für beide Wirklichkeiten gilt. Auch in Zeiten, wo wir in Einklang mit der Natur leben.
Mit dem so erkannten Gesetz der Anpassung verliert der Mensch seine unnatürliche, künstliche Isoliertheit. Die Einheit von Mensch und Natur muss nicht, wie zu Zeiten von Lessing und Goethe, vermittels des Pantheismus hergestellt werden oder wie früher vermittels der Mythologie oder wie heute vermittels der verschiedensten naiven, unwissenschaftlichen, spekulativen oder praktizistischen Ganzheitstheorien. Die Einheit von Mensch und Natur kann endlich per objektivem Gesetz, also gültig und befriedigend begriffen werden. Der Mensch wird wieder zu einem Kind der Natur.