Am 17. Dezember 1946 wurden im Bombenschutt der ehemaligen Dresdner Exerzierhalle zwei an den Knien abgetrennte Frauenbeine gefunden. Die Mordkommission der eben erst gebildeten Volkspolizei in der Ostzone begann mit ihren Ermittlungen. Vorhandene Anhaltspunkte waren sehr gering, und die Aufgabe schien fast unlösbar.
Beide Beine steckten in einem vermoderten Sack. Jemand hatte sie in Zeitungspapier eingewickelt. Nach dem Zustand der Beine zu urteilen, musste die Straftat noch nicht lange zurückliegen. Die Identität konnte aber erst nach dem Auffinden der anderen Körperteile geklärt werden. Vermutlich lagen auch sie in der Nähe des Fundortes. Also kämmte die Polizei das umliegende Gelände durch. Unweit davon wurde sie bald fündig und entdeckte weitere Menschenteile.
Besser gediehen die Ermittlungen damit noch nicht, jedoch konnte zumindest die Gegend des Verbrechens, die Talstraße, in Betracht gezogen werden.
Auf einem der Zeitungsblätter des ersten Fundes befand sich ein grüner Tintenklecks. Wenn er auch einer Stecknadel im Heuhaufen glich, so begannen die Beamten mit der Suche nach der Herkunft solcher Tinte. Immerhin war das zur Häufigkeit blauer Tinte eine weniger benutzte Farbflüssigkeit. Als Ergebnis angestrengter tagelanger stupider Recherchen sahen die Beamten statt rot nur noch grün. Unter anderem wurde dabei festgestellt, dass auch im Dresdner Glühlampenwerk solche grüne Farbe Verwendung fand. Im Laufe der dort angestellten Forschungen stießen sie auf eine interessante Information: Seit dem 11. Dezember wurde im Werk die vierzigjährige Wicklerin Käthe Stiehler vermisst. Sie hatte einen siebenjährigen Sohn, von dem ebenfalls jede Spur fehlte.
Sofort konzentrierten sich die Ermittlungen auf das Umfeld der Käthe Stiehler. Sie sang im Betriebschor des Glühlampenwerkes. Zu den Proben kam sie immer mit ihrer Arbeitskollegin und Freundin, der vierunddreißigjährigen Wicklerin Frieda Lehmann.
Am 12. Dezember erschien diese allein in der Singestunde und antwortete achselzuckend auf die Frage, wo sie denn ihre Freundin hätte: Vielleicht ist was mit ihrem Jungen. Auch zur Betriebsweihnachtsfeier fehlte Käthe Stiehler. Die Freundin vergnügte sich allein und erwiderte: Was weiß ich. Vielleicht ist sie verreist.
Käthe Stiehler lebte als Kriegerwitwe mit ihrem Sohn allein. Auch Frieda Lehmanns Mann wurde seit 1944 als vermisst gemeldet. Beide Frauen besuchten sich gegenseitig und trösteten sich über ihren Schmerz bei auf dem Schwarzmarkt erworbenem Bohnenkaffee hinweg.
Allmählich begann sich auch die bisher arglos gewesene Frieda Lehmann zu wundern. Mehrfach äußerte sie unter ihren Arbeitskollegen: Ich kann nur staunen, dass mir die Käthe nicht gesagt hat, wo sie hinfahren will. Die Befragung der Wohnungsnachbarn Käthe Stiehlers brachte der Kripo auch keine Hinweise.
Am 28. Dezember 1946 druckten deshalb die Dresdner Tageszeitungen folgende amtliche Bekanntmachung: Seit dem 11. Dezember wird Frau Käthe Stichler und ihr siebenjähriger Sohn Heinz vermisst. Beide verließen an diesem Tag gegen 16 Uhr ihre Wohnung auf der Großenhainer Straße 106 und sind seitdem nicht mehr gesehen worden. Wer Angaben über den Verbleib der Vermissten machen kann, teile dies dem Kriminalamt Dresden, Landhausstraße 17, Fachabteilung I, Zimmer 22, mit.
Auch diesmal blieben die Meldungen sehr dürftig. Die Leute hatten mit ihrem eigenen Überleben zu tun, und solche Straftaten gehörten für sie fast noch zu den Ereignissen des Krieges. Dresden lag in Schutt und Asche. Wer noch irgendetwas Brauchbares aus den Trümmern zerren konnte, tat das in voller Konzentration darauf.
Die Bemühungen der Beamten aus der Fachabteilung I richteten sich nun auf Hausdurchsuchungen. Bei der Freundin der Stiehler, Frieda Lehmann, von der sie sich am meisten Auskünfte über die Vermisste erhofften, fanden sie ein Glas mit grüner Tinte. Wie aber bereits bekannt, wurde mit solcher im Glühlampenwerk gearbeitet, und jeder kam an die Flüssigkeit auf legale Weise heran.
Frieda Lehmann regte sich über die Durchsuchungen bei ihr sehr auf. Ja, sie wären befreundet und besuchten sich öfters gegenseitig. Aber sie wären es nicht so, dass sie sich gegenseitig informierten, was sie in Zukunft vorhätten. Beide Frauen hatten das Glück, in einem vom Bombenabwurf verschont gebliebenen Gebiet der Dresdner Neustadt zu wohnen. Sie hatten ihr Hab und Gut retten können und lebten einigermaßen unversehrt. Sie teilten Freud und Leid gemeinsam und halfen sich. Warum sollte sie, Frieda Lehmann, dann plötzlich anderen Sinnes sein.
Schon wollte sich die Kripo auf neue Bereiche orientieren, da machte einer der Beamten eine interessante Entdeckung. Frieda Lehmann hatte fünf Jahre lang bei dem Fleischermeister Hirschfeld in Leubnitz-Neuostra als Hausmädchen gearbeitet. Ungefähr zum vermuteten Zeitpunkt der Mordtat war sie dort zu Besuch gewesen.
Seitdem fehlte dem Fleischermeister ein langes scharfes Messer.
Eines wusste die Kripo: Die Leichen mittlerweile hatte man den Jungen gefunden waren, wenn dies auch im Zusammenhang mit der Art und Weise des Verbrechens makaber klang, sehr fachgerecht zerlegt worden. Konnte Frieda Lehmann während ihrer Zeit als Hausmädchen nicht einiges davon bei den Fleischergesellen beobachtet haben?
Nun liefen die Verhöre Frieda Lehmanns bohrender ab. Sie wehrte sich heftig gegen die Fragen, widersprach sich aber dann in ihren Antworten, wurde unsicher und gestand schließlich den erstaunten Beamten, denn sie hatten selber nicht so richtig daran geglaubt, den Doppelmord.
Ausschlaggebend war gewesen, dass Bekannte der Lehmann erklärten, sie habe bei ihnen Wäsche, Kleider und Mäntel untergestellt mit der Bitte, diese solange aufzubewahren, bis sie in ihrer Wohnung wieder Platz dafür hätte. Über die Herkunft solcher Werte konnte Frieda Lehmann der Kripo keine stichhaltigen Auskünfte liefern.
Arbeitskollegen und Nachbarn Käthe Stiehlers erkannten an der Kleidung, dass sie diese getragen hatte.