Sie standen vor ihrem Haus, und sie lud ihn noch ein.
Die Wohnung lag unter dem Dach. Die Räume hatten schräge Wände, und der Flur war sehr klein. Er wunderte sich über einen Teddy, der auf dem Boden lag und dem ein Auge fehlte und ein Ohr. Sie bemerkte seinen Blick, und ihre Augen blickten wieder spöttisch. Sie öffnete leise eine Tür und winkte. Der Raum war dunkel, aber er sah zwei Betten übereinander.
»Jens und Heike«, sagte die Frau. »Jens ist sechs, Heike zwei.«
Er stand da und konnte es nicht fassen. Sie berührte seine Schulter, sanft, aber bestimmt, und er ging vor ihr her auf den Flur.
Im Wohnzimmer hingen zwei Bilder, ein Frauenkopf von Modigliani und der goldene Fisch von Paul Klee. Es gab keine Sessel im Raum, nur flache runde Sitze. Er saß nicht bequem. Sie fragte ihn, ob er etwas trinken wolle, und er nickte.
»Ich habe zwei Ehen hinter mir«, sagte die Frau, »ich bin fünfundzwanzig. Das erste Mal war ich achtzehn und hochschwanger zur Hochzeit. Es war so viel Leidenschaft dabei, ich hätte nie geglaubt, dass es enden würde. Aber in der Ehe endet wohl jede Liebe.«
»Sie wird nur anders«, sagte er.
»Anders?«
»Etwa wie ein Gebirgsfluss«, sagte er, »der herabschießt ins Tal und dann einmündet in einen stillen See. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen?«
Sie sah ihn an, und auf ihrer Stirn stand eine Falte.
»Man muss es vorher klären«, sagte er, »dieses Einfließen, der Fluss ist noch da. Viele sind zu jung, sie sehen nur den Fluss, wohl auch die Biegung, nicht den See. Man muss auf den Grund des Sees sehen, vorher, auf jeden Stein.«
Er kam sich vor wie ein alter Mann bei diesen Worten, und er war erst vierzig.
»Ein schönes Bild«, sagte die Frau, »aber es ist abstrakt.«
»Ich kann es auch anders sagen«, fuhr er fort. »Vor der Hochzeit muss alles geklärt sein, nüchtern geklärt: wie man wohnt, wie man es hält mit dem Haushalt, wie viele Kinder man will ... Man kann nur so viel Freude ernten, wie man sät. Sät man nicht, kommt keine Frucht.«
»Vielleicht sollte man mit vielen reden vorher«, sagte die Frau.
»Die wenigsten würden es hören«, sagte er, »wenn der Fluss zu wild dröhnt, kommt kein Wort an.«
»Ich habe wieder geheiratet«, sagte sie, »nicht die große Liebe wie beim ersten Mal, einen soliden Mann. Er war gut, half im Haushalt, wusch sogar Windeln, war fürsorglich und fleißig, hatte nie einen Flirt. Ich habe trotzdem Schluss gemacht. Keiner hat es verstanden, wo es doch so ein vorbildlicher Mann war.«
»Sie haben ihn nicht mehr geachtet«, fragte er.
»So ist es wohl«, sagte sie.
Sie goss ihm nach.
»Er wurde sein eigenes Vorbild«, sagte sie, »wollte Diktator sein, und wirkte lächerlich dabei. Je weniger ich es wollte, um so mehr wollte er. Moralpredigten lösen etwas aus bei mir, aber sicher nicht das, was der andere will. Genau das Gegenteil.«
Er sah, dass sie schöne Hände hatte.
»Sein Standpunkt«, sagte die Frau, »sollte auch meiner sein, weil er nie irrte. Dann wäre es gegangen, und immer gut. Aber dazu muss einer mehr Mann sein, in allem. Da darf er nicht umkippen, wenn es mal schwierig wird, keinen Weltschmerz zeigen. Dann muss er in allem führen. Aber führen und versagen, das ist schlimm. Jede Achtung ist weg.«
»Und Sie haben die Scheidung eingereicht?«, fragte er.
»Bei beiden«, sagte sie.
Einen Augenblick folgten ihre Augen dem Rauch der Zigarette, dann sah sie ihn wieder an.
»Ich arbeite in der EDV, gebe Daten ein. Sie werden gespeichert, und man kann sie abfragen. Einzeln nutzen sie nichts, aber in der Masse sind sie alles. Manchmal denke ich, man müsste ein Modell haben für jede Ehe. Man müsste alles eingeben in den Computer, die Erwartungen, die Fehler, die jeder hat, was weiß ich, hundert Daten und mehr.«
Es war spät geworden, und er erhob sich, als er glaubte, dass sie müde wurde. Aber er war unsicher.
Sie standen im Flur, er hielt ihre Hand ein wenig länger und sah sie an, seltsam berührt. Er wusste nicht, ob er bleiben sollte, aber vielleicht suchte sie nur das Gespräch.
Noch auf der Treppe zögerte er ...