Tausende von Werst erstreckte sich das dürre Land, zwischen Dnepr und Altai, von Omsk bis Samarkand. Wüstenhafte Gebiete, Kysilkum und Karakum, wechselten sich ab mit Salzebenen, Grasländer mit nackten, tausend Meter hohen Bergkuppen. Es gab keine Straßen, keine Eisenbahnen, wenige Trockentäler und noch weniger Flüsse. Es gab nur den Weg, den die Karawanen in zweitausend Jahren getreten hatten.
Ein Trampeltier mit fünf Zentnern Last zwischen den beiden Höckern legte dreißig Werst am Tag zurück, ein Dromedar ohne Last schaffte hundert.
Es konnte vier Tage durch mörderische Sonnenglut ziehen, ohne zu trinken.
Die Herden der Kasachen in den feuchten Gebieten fraßen im Sommer das verbrannte Federgras der Ischimer- und der Barabasteppe, im Winter die gefrorenen Wermutsträucher im Süden.
Ein elfjähriger Junge war kein Dromedar und kein Hammel. Er konnte nicht vier Tage dursten und dazu vierhundert Werst laufen. Er konnte sich nicht von verdorrtem Schafschwingelgras ernähren. Ein Mensch war ein Punkt inmitten dieser Einöde. Assad zog durch einen der ödesten Teile der Steppe zwischen dem Flusse Tschu im Süden und dem Tafelland der Kasachischen Schwelle im Norden. Assad wanderte durch die Bet Pak Dala, die Hungersteppe.
In der ersten Nacht war der Junge rasch vorwärts gekommen. Das Land war leicht gewellt wie ein bei mäßigem Seegang erstarrtes Meer. Der Mond ließ die Höhen seltsam erglänzen. Die blauschwarzen Schattenflecke belebten die einförmige Landschaft.
Tapfer und gleichmäßig schritt Assad aus. Hätte er die ungeheure Weite begriffen, er hätte erschrocken innegehalten. Keine Telegrafenleitung führte ihn zu Menschen, keine Poststation erwartete ihn. Nur der Nordstern wies ihm die Richtung, und ein Ziel trieb ihn, Karagantin zu finden, wo die Rubel auf der Straße liegen sollten.
Still war die Steppe in der Nacht. Das Rascheln seiner nackten Füße in den Grasnarben und das Säuseln des Windes in den Dornensträuchern schienen die einzigen Laute zu sein. Wenn der Junge die Kuppe eines Hügels erreicht hatte, blieb er stehen, um zurückzublicken. Er suchte Ekibastus, die schwarze Kerbe des Tsei. Nicht, dass er es bedauerte, von einer Stätte wegzugehen, an der er die Hälfte seines Lebens zugebracht hatte. Dabei war dies die wichtigere gewesen. Denn von den ersten sechs Jahren wusste er nicht viel mehr als die Namen seiner Eltern und seines Volkes. Das Gesicht der Mutter war längst verblasst. So sehr sich Assad bemühte, er konnte es sich nicht mehr vergegenwärtigen. Einzelne Bilder waren ihm geblieben: Schafe und Lämmer, der Ritt auf einem Hammel; ein lachendes Gesicht, das sich über ihn beugte; ein qualmendes Feuer mit bärtigen Männern darum; schaukelnder Himmel, schaukelnder Himmel. Aber er wusste nicht mehr, hatte ihn die Mutter in den Schlaf gewiegt oder hatte er auf einem schwankenden Kamel gelegen. Ein feuriges Band längs des ganzen Horizontes: brennende Steppe; dann riesige Lehmwürfel, viele Menschen wie eine ungeheure Herde. Das war alles, was Assad aus den ersten sechs Jahren seines Lebens noch wusste. Wenig, aber er fühlte, es war das Bessere gewesen, das er wieder zu suchen auszog.
Wenn Assad von einem Hügel nach Ekibastus zurückschaute, dann deshalb, um zu sehen, welche Strecke er zwischen sich und den Teppichhändler gebracht hatte.
Eine kleine Schlucht zerriss die Ebene. Assad turnte hinab. Der Grund war steinig. In der Mitte wand sich ein dünner Wasserfaden, wie Quecksilber im Mondlicht blinkend. Assad legte sich auf das Geröll und trank.
Wenn der Geburtstag des Propheten war, musste man feiern, und wenn man Wasser hatte, musste man trinken. Wer wusste, wo es wieder einen Fluss gab oder einen See oder wenigstens ein Rinnsal? Die Flaschen mussten geschont werden.