Im Traum sieht Cola eine Frau auf einer Wiese liegen. Ihr Gewand ist zerrissen, ihr Körper von Wunden bedeckt. In dem Verlangen zu helfen kniet er neben ihr nieder, da schlägt sie die Augen auf. Aber sie blickt nicht ihn an, sondern einen Mann, der plötzlich neben ihm steht. Er ist von hochgewachsener schöner Gestalt, ein blonder Bart bedeckt das Gesicht. Zärtlich und zugleich kraftvoll hebt er die Frau vor sich aufs Pferd, und ruft: Viva Italia! Die Frau setzt sich lachend im Sattel auf, dann sprengen beide davon. Cola will ihnen nachsetzen, aber vor seinen Füßen öffnet sich ein gähnender Abgrund. Er kann den Schwung seines Körpers nicht mehr aufhalten und fühlt sich stürzen.
Den ganzen Tag sinnt Cola über den Traum nach. Schickt ihm der Himmel mit diesem Gesicht eine Botschaft? Italien, von Kämpfen zerrissen, blutet aus vielen Wunden. Es wartet auf seinen Retter, der ihm den Frieden bringt. Ist er, Cola, der Mann, der Italien aufrichtet und lachen macht? Er sieht den Abgrund, der ihn im Traum verschlang, und erschaudert.
Gegen Abend kommt Bartholomäus und sagt ihm, dass seine Abreise nach Avignon unmittelbar bevorstehe. Überschwänglich umarmt Cola Bartholomäus, als hätte ihm dieser die Rückkehr nach Rom verheißen.
So sehr freust du dich?, fragt Bartholomäus beklommen.
Ach, mein Freund, erwidert Cola, Schlimmeres als die Monate in Raudnitz kann mir nicht mehr begegnen. Was ist schon der Tod gegen diese sich hinziehende Marter. Aus der Verzweiflung heraus bin ich furchtlos geworden. Ich werde mich in Avignon verteidigen und dann bald vor dem himmlischen Richterstuhl stehen, wo mir Gerechtigkeit werden wird. Wie sollte ich mich da nicht freuen!
Von dem Traum erzählt er Bartholomäus nichts.
Ein letztes Mal begegnen sich Cola und Ernst von Pardubitz. Der Erzbischof verbirgt nur mit Mühe sein Erschrecken. Ein Jahr ist vergangen, seitdem er den Römer gesehen hat. Damals war er bleich und hager. Jetzt steht ein beleibter Mann vor ihm, aus dessen schlaffem Gesicht ihn müde rot geäderte Augen anblicken. Schwerfällig sind seine Bewegungen.
Es gibt nicht mehr viel zu sagen. Ein paar gut gemeinte Ratschläge, für die Cola mit leichtem Kopfneigen dankt. Colas höfliche Grüße an König Karl. Keine Bitterkeit ist in ihnen, nur ein leises Bedauern. Wären sie einander unter anderen Umständen begegnet, hätten sie Freunde werden können. Das wissen beide, und für einen Augenblick drängt es sie, das auszusprechen.
Der Erzbischof mahnt sich zur Besonnenheit. Schließlich wurde Cola auf seine Weisung hin eingekerkert. Vor zwei Jahren hätte er dem Römer noch raten können, Prag auf schnellstem Wege zu verlassen, doch damals sah er in ihm ein Faustpfand. Der Plan ist misslungen, und Cola droht der Scheiterhaufen. Ernst von Pardubitz weiß, dass er seine Schuld am Schicksal Colas nicht durch ein freundliches Wort aus der Welt schaffen kann. Er und dieser Römer sind Schuldige und Opfer zugleich.
Auch Cola widersteht der Regung, seine Gedanken preiszugeben. Der Erzbischof könnte seine Worte als Unterwerfung missdeuten. So verlässt er mit angestrengt aufrechtem Gang das Gemach des Erzbischofs.
Vom Fenster aus sieht Ernst von Pardubitz zu, wie Cola, umringt von den Knechten der päpstlichen Gesandten, das Pferd besteigt. Es war ein guter Einfall, Bartholomäus mit den Abgesandten des Papstes auf die Reise zu schicken. So wird er die Briefe, die er bei sich trägt, gefahrlos nach Avignon bringen und kann gleichzeitig darauf achten, dass man den Gefangenen gut behandelt.
Hoffentlich habe ich nicht doch einen Fehler gemacht, denkt der Erzbischof, als er sieht, wie Bartholomäus an die Seite Colas reitet und beide lebhaft miteinander sprechen. Bartholomäus ist ein kluger, manchmal aber auch ein unbeherrschter junger Mann. Wenn er nun eine Flucht des Römers begünstigte Der Erzbischof ertappt sich bei dem Gedanken, dass ihm dies nicht einmal unrecht wäre. Schließlich sind die päpstlichen Gesandten jetzt für Cola verantwortlich. So steht es in dem Dokument, das sie vor der Übergabe unterzeichnet haben. Dem eitlen Fant Johann, Bischof von Spoleto, gönnte er eine Niederlage. Kommt hier an, bunt wie ein Pfau, und führt sich auf, als ob er der Papst selber wäre. Von Cola di Rienzo redete er nur wie von einem gefährlichen Tier, das er der Kurie gegen gute Belohnung zuführen werde. Den Dummen ist eben alles dumm. Bartholomäus wird es schwer haben. Ihn, Ernst von Pardubitz, betrifft diese Sache nicht mehr. Aber ein Schmerz bleibt doch.
Die Reiter auf dem Hof setzen sich in Bewegung. Der Erzbischof schaut ihnen nach, bis sie hinter den Büschen am Moldauufer verschwinden. Ihm ist, als verdunkle sich der Himmel über Prag und ein fernes Grollen erschüttere den Boden unter seinen Füßen.
Gott beschütze dich, Cola, und uns alle, murmelt der Erzbischof.
Cola erinnert sich nicht, einen Frühling wie diesen je erlebt zu haben. Über den Wiesen schweben lilafarbene und gelbe Schleier von Schaumkraut und Löwenzahn. Bunte Schmetterlinge tanzen zwischen rosa umflorten Zweigen, aus denen die Bienen schon ihre Tracht einbringen. So weit das Auge reicht, schwelgt die Welt im Blütenrausch.
Geblendet von den Farben des Himmels und der Erde, betäubt von den Düften, fühlt Cola, wie eine süße Mattigkeit seine Glieder durchströmt. So muss einem Verhungernden zumute sein, der plötzlich an einer reichgedeckten Tafel sitzt, voll heißen Verlangens, doch zu schwach, die dargebotenen Freuden zu genießen.
Die Bauern auf den Feldern unterbrechen die Arbeit, so bald sie des Reitertrupps ansichtig werden. Manche kommen auch neugierig an den Wegrand. Cola schaut in ihre Gesichter, als wolle er sie sich für alle Zeiten einprägen. Er spricht kaum. Am späten Nachmittag kann er sich nur noch mit großer Anstrengung im Sattel halten. Bartholomäus sieht seine Schwäche und verlangt, in der nächsten Herberge Übernachtung zu suchen.
Bischof Johann und seine Begleiter widersprechen. In den Herbergen verkehrt allerlei Gesindel aus dem dunklen Böhmerwald. Sie drängen, bis zum Augustinerkloster nach Taus zu reiten. Dort erwarten sie weiche Betten und eine gute Küche.
Wie Ihr wollt, sagt Bartholomäus, aber dann werdet Ihr Euren Gefangenen nicht lebendig bis nach Regensburg bringen.
Diese Vorstellung erschreckt Bischof Johann. Die Worte des Papstes klingen ihm im Ohr: Ich will diesen Mann haben, wagt nicht, ohne ihn zurückzukommen! Bischof Johann berät sich mit seinen Begleitern und teilt dann Bartholomäus herablassend mit, er habe aus verschiedenen Gründen beschlossen, heute nicht mehr bis nach Taus zu reiten.