"Das bißchen Money, Mensch, das juckt doch kein Ministerium. Okay, Lissy hat es geschafft. Glückwunsch. Aber wie steht's mit den größeren Dingen? An der Hochschule? In dieser Stadt? In diesem Land? Sich einmischen! Verändern? Wie denn? Den Leipzigern reißen sie ihre wertvollste Kirche unter dem Arsch weg und ..."
"Hör auf mit dieser Kirche", schrie ich. "Es ist doch nichts entschieden. Der Architekturwettbewerb, wie der Karl-Marx- Platz mal aussehen soll, ist gerade erst abgeschlossen. Stand in der Zeitung! Mußte nur mal lesen."
Stefan sagte trocken: "Sie werden sie trotzdem in die Luft jagen."
Aber ich wollte und konnte das nicht glauben. Die Paulinerkirche war das von den Bomben des zweiten Weltkrieges einzig verschont gebliebene Gebäude aus den Anfangszeiten der Leipziger Universität. Niemand konnte mit gutem Gewissen an den Aufbau einer neuen modernen Bildungsstätte gehen und gleichzeitig deren historische Wurzeln ausreißen!
Ratlos griff ich nach dem Becher voll Milch, der vor mir stand, trank und schüttelte mich. Ein entsetzliches Gesöff. Ich fragte nach einer Kneipe. Peter zuckte zusammen und sagte: "Du, entschuldige, ich wollte dich nicht ärgern. Und wenn du beleidigt bist, dann sollte ich gehen."
"Ich will nur was zu trinken kaufen", erwiderte ich.
Valerie lächelte, ließ sich durch Stefans düster werdendes Gesicht wenig beeindrucken, schwebte in die Küche und kam mit einer Flasche Rotwein wieder. Sie hantierte mit dem Korkenzieher, holte drei Weingläser und sagte zu Stefan, der keine Anstalten machte, ihr behilflich zu sein: "Sonst reicht die Milch nicht für dich."
Peter, Valerie und ich stießen unsere Gläser aneinander. Stefan guckte in die Luft, als ob er einer obszönen Handlung beiwohnen müßte. "Stefan, es ist keine Pisse", sagte Peter. Valerie und ich lachten laut und lange. Und Stefan, der einen solchen Satz einer Frau niemals verziehen hätte, suchte sich mit einem sehr gequälten Lächeln trotz allem mit Peter zu verbünden, um unser Gegacker besser ertragen zu können. Aber der ließ sich darauf nicht ein. Valerie, völlig außer Atem, sah Peter mit strahlenden Augen an und sagte: "Du bist wunderbar."
"Na fein", konstatierte Stefan und konnte seine Eifersucht kaum verbergen.
"Wirkliche Veränderungen", nahm Peter das Gespräch wieder auf, "gleich wo, zum Beispiel auch an unserer Hochschule, setzen zunächst personelle Veränderungen voraus. Ganz logisch. Aber wie soll das geschehen? Die Herrschaften wollen ihre Posten behalten. Das ist überall so. Wer einmal oben ist, will es auch bleiben!"
"Ich glaube nicht, daß man bei uns alle Dozenten rausschmeißen muß", wandte ich ein.
"Okay, alle wäre wirklich übertrieben", erklärte Peter. "Aber guck dir Doktor Schröder an. Seine Spezialstrecke hat er ganz passabel drauf, aber natürlich ist er nicht in der Lage, ein qualitätsvolles Hegelseminar durchzuführen. Moment, ich bin noch nicht fertig. Jetzt kommt's: Nun nimmt dem Schröder das keiner übel. Ich finde es nur beschissen, daß er nicht dafür jemand von der Uni besorgt. Nein, Hegel ham' wir nicht. Und warum? Käme ein Dozent von der Uni, fiele es Schröder schwer, die Fama aufrechtzuerhalten, kein anderer als er wäre wirklich kompetent in ästhetischen Fragen. Unseren Ästhetikunterricht wirst du also weder verbessern noch bereichern können, weil Schröder zum einen glaubt, er wüßte schon alles, und sich zum anderen keinen Konkurrenten engagieren würde."
Peters Arroganz regte mich auf. "Und weil du das alles so ganz genau weißt, läßt du die Dinge laufen, wie sie laufen?"