Fast ein halbes Jahr war seit jenem unglücklichen Zwischenfall vergangen. Eines schönen Tages kam Christoph nach Hause, während Sebastian noch übte. Christoph stand auf dem Flur und neigte den Kopf zur Seite, um besser hören zu können, was da aus dem Musikzimmer ertönte. Er stutzte. Das waren doch nicht die Übungen, die er seinem Bruder aufgegeben hatte. Ein Gedanke schoss Christoph durch den Kopf, der ihm so ungeheuerlich erschien, dass er ihn gar nicht zu Ende zu denken wagte: Hatte Sebastian etwa den Notenschrank aufgebrochen? Dann würde er...
Er riss die Tür auf, stürzte ins Musikzimmer, zum Klavier. Sebastian aber spielte weiter, ohne aufzuschauen. Christoph erschrak über die trotzig-kampfentschlossene Miene seines kleinen Bruders; er sah die von Sebastian geschriebenen Noten, hörte, was er spielte, hörte, wie er es spielte, und konnte nichts anderes tun, als still dazustehen und andächtig zu lauschen.
Ist denn das die Möglichkeit? Mein kleiner Sebastian hat eine wunderschöne Fantasia komponiert und spielt sie so sauber und gefühlvoll wie ein junger Gott. Bei diesem Gedanken musste sich Christoph schämen. Es war ihm die Einsicht gedämmert, dass er seinem Bruder Unrecht getan hatte.
Am nächsten Tag schon saß Sebastian mit Christoph an der Orgel der Ohrdrufer Kirche und entlockte dem Instrument zaghaft die ersten Töne.