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Feuer am Suvastrand. Südseegeschichten von Walter Kaufmann
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
10.11.2020
ISBN:
978-3-96521-288-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 119 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Multikulturelle Beziehungen, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Geschichten vom Meer
Meeresgeschichten, Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Familienleben, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Liebe und Beziehungen, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Soziales, Erste Hälfte 20. Jahrhundert (1900 bis 1950 n. Chr.), Fidschi
Seefahrt, Rassendiskriminierung, Fidschi-Inseln, Gewerkschaft, Solidarität, Liebe, Armut, Stolz, Unterdrückung, Ausbeutung
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Gerade als ein eingeborener Ober herbeieilte, um nach ihren Wünschen zu fragen, entdeckte sie an einem Tisch in der Nähe einen Mann, der in steifer Haltung vor einem Glas Bier saß und dessen Gesichtsausdruck deutlich erkennen ließ, dass er sich in der fremden Umgebung unbehaglich fühlte. Die ganze Erscheinung und das Benehmen des Mannes machten es unmöglich, ihn den Touristen, Pflanzern und Regierungsbeamten zuzuordnen, die in dem Hotel verkehrten. Möglicherweise, sagte sich Betty Selby, war er von einem der Frachter im Hafen, ein Matrose, der gerade dienstfrei war und sich hierher verirrt hatte.

Der Anker und die Schlange, die auf seiner linken Hand eintätowiert waren, schienen diese Annahme zu bestätigen, doch die übrigen Merkmale des Mannes widersprachen ihr. Er war schmalbrüstig, und sein mageres Gesicht, das von einer billigen Nickelbrille mit dicken Linsen zum Teil verdeckt wurde, war bleich. Sein schlecht geschnittenes sandfarbenes Haar endete in gerader Linie über dem dürren Hals, der von dem ausgefransten Kragen eines Drillichhemdes eingefasst wurde. Und da die Vorstellung, dass ein solcher Mensch sich in das exklusive Innere des Hotels verirrt hatte, für Betty Selby jetzt etwas Reizvolles hatte, entschloss sie sich zu dem Trick, mit dem sie gelegentlich Bekanntschaften machte.

Nachdem sie einen weiteren Ginfizz bestellt hatte und der Ober davongeeilt war, erhob sie sich plötzlich und ging mit gutgespielter Munterkeit und mit ausgestreckten Armen auf den Mann zu. „Ist das die Möglichkeit – Freddy Brown“, rief sie, „was hat denn Sie an diese Küste verschlagen?“

Hastig schluckte der schmächtige Mann das Bier im Munde herunter, und indem er seine kurzsichtigen Augen auf die anziehende, kühl-elegante Frau richtete, erklärte er, dass er nicht Brown heiße. „Sie haben sich geirrt, Miss“, sagte er.

„Aber nicht doch, das kann doch nicht sein!“, heuchelte Betty Selby.

„Doch, doch“, beharrte der Mann, „mein Name ist Pratt, Arthur Pratt. Nie in meinem Leben bin ich unter dem Namen Brown gereist!“

„Na so was, eine unheimliche Ähnlichkeit, bestimmt“, behauptete sie und setzte sich, als sei es unmöglich, den Schock über diesen Zufall stehend zu ertragen. „Unheimlich!“, wiederholte sie.

„Vielleicht“, räumte der verwirrte Pratt ein, „vielleicht ist es eine dieser Verwechslungen, von denen man ab und zu liest.“ Da er nicht wusste, was er weiter sagen sollte, rutschte er verlegen auf seinem Sitz hin und her.

„Sicher, so was muss es sein!“, sagte Betty Selby und hob das Glas mit verdünntem Gin an ihre Lippen, das der Kellner diskret von einem Tisch zum andern getragen hatte. „Bitte verzeihen Sie mir, aber ich hätte geschworen …“ wieder studierte sie den Fremden mit überzeugend echtem Erstaunen, „… dass Sie Fred Brown aus Brooklyn in New York sind.“

Bei diesen Worten gelang es Pratt, aus einem verlegenen Schweigen auszubrechen. „Ich bin in meinem ganzen Leben nie in Amerika gewesen, Miss“, versicherte er. „Ich bin Neuseeländer.“

„Ah“, sagte Betty Selby, „geschäftlich hier, vermute ich.“

„Sozusagen“, stimmte der kleine Mann zu und versteckte seine Tätowierung unter der Fläche seiner rechten Hand.

War er ihr vorher bemitleidenswert erschienen, so fand sie ihn jetzt, wo er sich solche Mühe gab, komisch. Wahrhaftig, die sonderbaren Eigenheiten der menschlichen Natur gaben dem Leben Würze! Wie vielen Männern war sie begegnet, die ihre Persönlichkeit verzerrten und entstellten in dem Versuch, etwas zu scheinen, was sie nicht waren.

„Der Freddy Brown, mit dem ich Sie verwechselt habe“, erklärte sie mit geheimer Belustigung, „war Barmixer in einem Neuyorker Hotel – ein sehr ulkiger kleiner Mann!“

„Ah ja“, sagte Pratt, offensichtlich getroffen von diesem Vergleich. „Ich habe selber mal in der Hotelbranche gearbeitet.“

„Und jetzt?“

„Jetzt habe ich mit Schiffen zu tun, Miss.“

Da es ihr nicht gelang, einen plötzlichen Heiterkeitsausbruch zu unterdrücken, wandte Betty Selby ihr Gesicht ab.

„Was ist denn daran so komisch?“, fragte Pratt.

„Nichts. Entschuldigen Sie bitte.“

„Ach“, sagte Pratt bitter, „ich hätte nicht hier hereinkommen sollen – ich war ein Esel!“

Dieses Bekenntnis erweckte genug Mitgefühl in ihr, um ihre Vergnügungslust zu dämpfen. Wie schnell hatte ihr Angriff die Vorspieglungen des kleinen Mannes zerstört, wie schnell war er unter ihren prüfenden Blicken in sich zusammengesunken. Sie hatten ganz klar mit ungleichen Waffen gekämpft – es wäre bei weitem fairer gewesen, sich für ihr Spiel einen aus dem Heer jener widerwärtigen Hochstapler auszusuchen, die mit wohlgepolsterten Brieftaschen durch die Welt reisten.

„Bitte“, sagte sie aufrichtig zu Pratt, „nehmen Sie es nicht tragisch, ich bin keine Prinzessin. Nur eine kleine Journalistin, die honigsüße Reklametexte für Reiseführer schreibt. Mein Name ist Selby, Betty Selby.“

„Sie sind Schriftstellerin“, sagte er und betrachtete sie durch seine Brillengläser mit aufrichtigem Interesse. „Das ist schon was, nicht wahr?“

„Routineangelegenheit“, erklärte sie ihm und trank ihren Gin aus. „Bezaubernde Fidschi-Inseln, von Korallen umsäumt, eingestreut in das Blau des Pazifik –“ Sie blickte über die Veranda auf die im Regen daliegende Bucht und lachte. „Küsten, über die kühlend die Passatwinde wehen, sonnenbeschienene, sternüberglänzte, von Palmen eingefasste Buchten. Wie klingt das, Mr. Pratt?“

„Es klingt gut“, versicherte er.

„Aber es ist so unecht wie eine farbige Ansichtskarte“, sagte sie.

Feuer am Suvastrand. Südseegeschichten von Walter Kaufmann: TextAuszug