Damals, als sich die Berber in unserem Wohnzimmer häuslich niedergelassen hatten und ich mit meiner Beute, dem Citybike und dem Geld, nach Hause gekommen war, erschien gegen Abend plötzlich die Polizei bei uns. Herta hatte den beiden Beamten geöffnet, die nun ins Zimmer kamen, wo das „Zigeunerlager“ aufgeschlagen war. Einige der Typen hatten sich bereits für die Nacht eingerichtet und es sich bequem gemacht. Andere lärmten noch und hielten sich an ihren Bierbüchsen fest.
Sie verstummten, als sie unseren „Besuch“ bemerkten, und ich steckte unwillkürlich meine Hand in die Hosentasche, wo ich den blauen Schein aufbewahrte. Die beiden Uniformierten grüßten höflich und verlangten dann Auskunft über die Art der Zusammenkunft. Mein Vater, der kaum noch richtig sprechen konnte, versuchte zu erklären, dass es nur ein Treffen alter Freunde sei, aber das verstand wahrscheinlich nur ich. Die Fremden konnten aus seinem Gestammel kaum etwas Verständliches heraushören. Jeden Augenblick rechnete ich damit, dass entweder von dem Citybike oder dem Überfall die Rede sein würde, denn ich musste annehmen, dass die Bullen deswegen bei uns aufgetaucht waren. Dann müsste sich bald herausstellen, ob mir die Freunde meines Vaters tatsächlich ein lückenloses Alibi ausstellten oder nicht.
Aber was würde Herta sagen, die ganz genau wusste, dass ich die Wohnung verlassen hatte?
Die Beamten sahen sich im „Zigeunerlager“ um. Hinter ihnen stand Herta und schüttelte immerzu ihren Kopf. Sie schien einfach nicht begreifen zu können, dass sie tatsächlich in ihr Wohnzimmer blickte.
„Es gibt Beschwerden von Nachbarn“, sagte nun der eine der beiden Beamten. „Ruhestörung, Belästigung und so weiter ..." Er ließ meinen Vater, der etwas erwidern wollte, diesmal nicht zu Wort kommen. „Deswegen erkläre ich die Feier jetzt für beendet. Jeder geht am besten dorthin, wo er hingehört. Und zwar leise und ohne andere zu stören“
„Alles haben sie mir versaut“, klagte Herta und blickte die Polizisten an, als könnten sie den Schaden wiedergutmachen.
„Halt’s Maul!“
„Und meine ganzen Vorräte aufgefressen. Jetzt habe ich nicht mal was für die Kinder.“
„Das tut mir leid.“ Der Polizist hob die Schultern. „Das müssen Sie unter sich ausmachen ..." Er sah meinen Vater aufmerksam an. „Aber friedlich, kann ich da nur raten ...“ Er tippte mit dem Finger an seine Mütze und verließ das Zimmer, von seinem Kollegen gefolgt, der keinen Ton von sich gegeben hatte. Im Flur blieben sie wie Säulen stehen und warteten, bis der letzte „Gast“ unsere Wohnung verlassen hatte. Die „Proteste“, die einige von ihnen im Vorübergehen äußerten, kümmerten die Beamten nicht. Noch von der Straße her vernahm ich lauten Wortwechsel, aber bald darauf herrschte sowohl dort unten wie auch bei uns endlich Ruhe.
Doch es war eine Ruhe vor dem Sturm. Denn wenige Augenblicke später tönte Sven’s Stimme so laut, dass sie bestimmt im ganzen Haus zu hören war: „Mein Geld! Mein Geld ist geklaut!“
Als ich darauf in unser Zimmer kam, saß mein Bruder auf seinem Bett und hielt den Blechdeckel, der das Fundament seines Geldturms dargestellt hatte, in seinen Händen. Er zitterte am ganzen Körper wie unter einem Fieberschauer.
„Heute früh war es noch da“, sagte Herta, die nach mir hereingekommen war. Tröstend strich sie meinem Bruder über den Kopf. „Beim Aufräumen habe ich es doch gesehen.“
„Dann kann es nur ...“, ich starrte Herta an.
„… einer der Saufbrüder geklaut haben“, ergänzte sie, und ich nickte.
Es war merkwürdig: Am gleichen Tag, an dem ich ein Fahrrad und eine Handtasche geklaut hatte, wurde mein Bruder um sein mühsam Erspartes erleichtert. Ein Bumerang, der jedoch den Falschen getroffen hatte.
Herta war in unser verräuchertes und verstänkertes Wohnzimmer gelaufen; wahrscheinlich wollte sie meinen Vater zur Rede stellen. Ob er jedoch wusste, wem er es zutrauen sollte, den Turm „abgetragen“ zu haben, bezweifelte ich. Außerdem war er viel zu besoffen, um auch nur noch einen klaren Gedanken fassen zu können.
Hilflos fand ich Herta im Wohnzimmer, wo sich mein Vater auf der Couch zusammengerollt hatte und nur mühsam die Augen offenhalten konnte. „Du bist ein elender Scheißkerl“, sagte sie verächtlich, und es fehlte nicht viel, dass sie ihn angespuckt hätte. Angewidert wandte sie sich um, schob mich hinaus und schloss danach die Tür. Es kam mir vor, als sei es etwas Endgültiges — der Vorsatz nämlich, niemals wieder dieses Zimmer zu betreten, in dem er jetzt seinen Vollrausch ausschlafen würde.
Gemeinsam versuchten wir dann, Sven über seinen Verlust hinwegzuhelfen. Dabei hatte ich allerdings mehr Erfolg als unsere Mutter, weil ich ihm versprach, bald für Ersatz zu sorgen.
Hertas Frage, wie ich dies anstellen wollte, ließ ich unbeantwortet und blinzelte meinem Bruder aufmunternd zu.