»Nein. Ich kenne andere. Auch aus der FDJ-Leitung welche ...« Sie stockte, schien sich noch immer vorsichtig herantasten zu wollen. »Du bist Genossin, nicht wahr? So ziemlich die einzige hier weit und breit ... Ich hab's mir zusammengereimt, als ich zufällig Zeuge eines Gesprächs wurde. Zwischen zwei Hebammen. Wenn du Dienst hast, warnte die eine die andere, solle sie bloß nicht den Norddeutschen Rundfunk hören, der, wie du ja weißt, hier unentwegt dudelt. Sie bezeichnete dich als Spitzel.«
»Als was?«
»Als Spitzel der SED. Dein Vater muß irgendwas angestellt haben. Und von dir hieß es, du habest Doktor Braune in eurer Parteiversammlung angeschwärzt.«
»Doktor Braune?« Ein wenig erschrak Claudia jetzt. »Warum sollte ich?«
»Im Aufenthaltsraum, als dort die neuen Übergardinen aufgehängt wurden. Sie verdeckten jedoch in voller Breite die Wand mit dem Bild von Honecker daran. Jemand vom Personal wies Doktor Braune darauf hin, und er ordnete an, es abzunehmen. Was macht das schon, soll er geantwortet haben, da guckt doch sowieso keiner hin.«
»Ich schwör es dir, Heike. Ich weiß nicht das geringste davon. Was geht mich der Hetzsender an. Jeder ist selber schuld, der sich davon berieseln läßt. Und auch das mit der Parteiversammlung ist eine Lüge.«
»Ich dachte es mir. So eine bist du nicht.«
Stunden später, nachdem sie ihren Dienst beendet hatten, auf dem gemeinsamen Weg von der Klinik zur Bushaltestelle, setzte Heike ihr Gespräch mit einer anderen Eröffnung fort.
»Claudia, ich habe Angst.«
Sie sah sie mit ihren blauen, furchtsam geweiteten Augen an, wirkte verzagt wie ein Kind plötzlich, obwohl sie bereits achtzehn war.
»Wovor denn?«
»Versprich mir, es für dich zu behalten.«
»Bin ich etwa eine Tratsche?«
»Irgendwem muß ich es sagen. Und du - du bist selber Mutti ... Ich bin im dritten Monat. Zum Wochenende, sofort nach dem Praktikum, fahr ich nach Haus und lasse mir das Kind nehmen. Ich habe schon einen Arzt konsultiert, und der meint, jetzt sei der günstigste Zeitpunkt für einen Eingriff ... Mein Verlobter ist bei der Armee. Er erfährt erst gar nichts ...« Sie schnupfte und trocknete sich ein paar Tränen ab, die über ihr pummliges Gesicht rannen.
»Aber, Mädchen, du weinst ja.« Claudia legte ihren Arm um sie.
»Ach, weißt du, ich würde mein Baby so gern austragen. Aber bei den Aversionen hier, an unserer Schule? Die Baumholder predigt doch ständig, daß wir uns keine Kinder anschaffen sollen. Sie würden uns nur beim Studium stören. Und bekämen wir doch eins, müßten wir es in die Wochenkrippe abschieben ...«
Ja, davon wußte auch Claudia ein Lied zu singen.
Nun säuberte sie den Kreißsaal und gewahrte hin und wieder, wie nebenan Heike desgleichen tat. Der letzte Tag ihres Praktikums war herangerückt, und am Montag würde sie sich in das Krankenhaus ihres Heimatortes begeben.