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Akte Nora S. von Erik Neutsch
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Preis E-Book:
4.99 €
Veröffentl.:
09.08.2014
ISBN:
978-3-86394-201-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 58 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Moderne Frauen, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
DDR, Kündigung, Bohrturm, Harz, Ingenieur, Emanzipation, Liebe
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Die Schneemassen tauten, das Wasser stürzte zu Tal. Nora war inzwischen in einen anderen Mann verliebt.

Sie durchstreiften die Wälder, und Nora vor allem war unersättlich darin. Sie ging den dichtesten und dunkelsten Tannen nach, lehnte sich an ihn, spähte ängstlich in die schwarzen, schwankenden Wipfel und legte es unbedingt darauf an, sich zu verirren. Doch wohin sie ihn auch führte, immer wieder wußte er den Weg zurück. Sie schalt ihn wegen seiner Nüchternheit. Nicht einmal ihr zuliebe könne er Furcht haben, wenigstens so tun, als ob, und um Hilfe rufen. Er lachte, nahm sie und trug sie ins Moos, Doch plötzlich schrie sie auf, entwand sich seinen Armen und lief an eine Quelle, die klar und kräftig aus dem Boden sprudelte. Die grünen Blätter des Siebensterns krochen schon aus der Erde. Tief hingen die Zweige der Fichten und Lärchen. Likendeel aber begriff nicht, was das wieder zu bedeuten hatte, ihr Aufschrei und ihre plötzliche Freude.

»Ich hab’s«, sagte sie, und ihre Wangen hatten sich hektisch gerötet. »Es wird zwar mühevoll sein, aber wir sollten es wagen. Wer weiß, wann die Proben aus dem Labor zurückgeschickt werden.«

Er verstand sie noch immer nicht.

»Wir wechseln das Wasser aus. Nicht mehr die Kolben, die Manschetten. Sondern das Wasser. Vielleicht führt dieses hier keine ätzenden Stoffe mit sich. Du kennst dich aus in der Erde, Hans. Jeden Meter hast du durchforscht, jedes Zeitalter. Wäre es möglich?«

Er zuckte die Achseln. »Möglich ist alles. Die Jahrmillionen des Gesteins sind an Funden unerschöpflich. Einmal grub ich im Keuper den Plateosaurier aus...«

Werner Koch hatte sich abgewöhnt, über die Ideen der Ingenieurin zu staunen. Diesmal jedoch, als Nora ihren Vorschlag der Brigade unterbreitete, ergriff ihn der Eifer. »Alle Achtung«, und damit war sein Urteil gefällt. Sie erklommen mit dem Schlepper die Hänge und rückten so nahe wie möglich an die Quelle heran. Likendeel ging voraus, er kannte den Weg und prüfte mit einer Spitzhacke den steinigen Untergrund. Dann füllten sie das Wasser in Schläuche, fuhren zurück an den Bohrturm und gossen es in das Spülbecken. Zwei Tage brauchten sie, bis sie die Flüssigkeit erneuert hatten. Nach einer Woche aber hielten zum ersten Mal die Manschetten. Als Nora das Gehäuse öffnete, zitternd vor Aufregung, entdeckte sie in den Zylindern nicht die geringste Gemüllspur. Sie atmete auf. Ihr kamen vor Freude die Tränen. Und auch der Meister jubelte, riß sie an sich und stampfte mit ihr in wilden Sprüngen über das Geröll des Bohrfeldes.

Und dennoch: Der Gedanke, das Übel bei der Wurzel zu packen und statt mit Wasser mit Druckluft zu pumpen, war damit nicht ausgelöscht. Nora vertiefte sich immer mehr in ihre Überlegungen. Sie saß an Likendeels Arbeitstisch, bediente sich seiner Geräte, rechnete, maß und zeichnete provisorische Skizzen auf das Papier. Doch ehe sie ihrem Betrieb davon Mitteilung machen konnte, wurde sie fristlos entlassen. Enttäuscht und hilflos stand sie nach der Nachricht mit dem Telefonhörer in der Hand und ließ sich von Likendeel trösten. Und auch ehe sie ihm antworten konnte, daß sie nun abreisen müsse, um die Pumpenwerke von ihrer Entdeckung zu informieren, sagte er: »Du bleibst jetzt bei mir. Ich verlasse dich nicht.«

»Nein, Hans. Das Ganze beruht auf einem Irrtum.«

»Du ahnungsloser Engel. Du weißt ja nicht, was inzwischen geschehen ist.«

»Was ist denn geschehen?«

»Ich habe für dich gearbeitet. Hier der Brief vom Geologischen Dienst. Die Genossen wissen deine Leistung zu schätzen. Wir übernehmen dich sofort.«

Erst jetzt erfuhr sie von dem Streit, der hinter ihrem Rücken um sie geführt worden war. Und diese Nachricht entmutigte sie fast noch mehr als die Auskunft, die sie soeben von ihrem Betrieb erhalten hatte. Niemand hatte sie nach ihren Wünschen und Plänen gefragt. Die einen so wenig wie die anderen. Sie fühlte sich verkauft.

»Ihr habt mich wie einen Gegenstand, wie ein lebloses Ding verschachert«, sagte sie bitter.

»Ich liebe dich. Und ich brauche dich. Und ich hätte immerzu Angst, daß du mir wieder fremd werden könntest, wenn du so weit von mir fortgehst.«

 

Akte Nora S. von Erik Neutsch: TextAuszug