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Zeit der Störche von Herbert Otto
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Preis E-Book:
7.99 €
Preis:
11.49 € (Film)
Veröffentl.:
02.03.2015
ISBN:
978-3-95655-305-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 329 Seiten, Film: 174 Min., 1 DVD
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Liebesroman/Spannung, Belletristik/Moderne Frauen
Belletristik: romantische Spannung, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
Liebe, Freundschaft, Lehrer, Bohrturm, DDR
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Nun hörte sie die Stimme im Wald und das Echo der Stimme über dem Teich. Sie nahm den Bikini aus der Tasche und zog sich an. Es war vielleicht ein Angler, der auf den Steg wollte; die Schritte im Schilf kamen direkt auf sie zu. An Christian dachte sie nicht, und als sie ihn erkannte, war sie froh, dass nicht irgendein Fremder kam, sondern er.

„Sieh da, Frau Susanne! Guten Tag. Störe ich?"

„Nein", sagte sie leichthin.

„Ist da noch Platz für mich?"

„Sehr stabil ist der Steg nicht", sagte sie.

„Solche Stege halten immer mehr aus, als man denkt", sagte er, kam herüber, gab ihr die Hand und setzte sich. Er musterte sie mit seinen hellgrünen Augen vergnügt und schweigend: Mund, Schläfen und Augenbrauen, der seltsame Kopfputz aus Schilfstängeln. Ihr Bikini saß knapp, war rot und etwas verblichen. Christian sah, dass sie seinen Blicken folgte, aber das hinderte ihn nicht, ihren Busen anzusehen und die braunen Beine. Er hätte sie gern irgendwo berührt oder einen dieser Schilfstängel aus dem Haar gezogen oder etwas Freches gesagt. Er war wirklich froh, hier zu sitzen, sie so dicht neben sich zu haben, greifbar nahe und so herrlich fremd.

„Fehlt was?", fragte sie plötzlich und hatte einen strengen Ausdruck im Gesicht, aber er blieb heiter und sagte: „Im Gegenteil."

„Warum sehen Sie mich an wie ein Taxator?"

„Nein. Ich sehe Sie einfach an."

„Und mich stört das einfach", sagte sie ärgerlich, denn er hörte nicht auf zu lächeln.

„Es ist schön, Sie anzusehen."

„Lassen Sie überhaupt etwas gelten außer Ihrem eigenen Vergnügen?"

„Doch", sagte er. „Aber widerwillig, und nur, wenn ich muss. Immer nur an der äußersten Grenze."

„Ohne Ausnahme?", fragte sie.

Er legte sich neben sie auf den Steg, sodass er aus dem Schatten von unten in ihr Gesicht blicken konnte. Er sah unter ihrer Achsel das dunkle Haar, und es gefiel ihm, denn er mochte nicht, wenn Mädchen sich irgendwo am Körper rasierten oder Haare auszupften. Alles sollte sein, wie es war.

„Es ist kein Wetter für Philosophie", sagte er.

„Also ohne Ausnahme. Und immer widerwillig. Auch auf dem Turm?"

„Auf dem Turm? Das ist vielleicht die einzige Ausnahme. Wieso fragen Sie danach?"

„Damit Sie antworten."

„Eine Bestätigung braucht man", sagte er. „Der Turm kann das. Eigensinnig und schmierig wie er ist. Und gebrechlich. Man muss ihn zwingen. Das ist alles andere als Vergnügen oder jedenfalls eine merkwürdige Art von Vergnügen. Immer erst hinterher zeigt dir der Turm, wer du bist. Immer mit Verspätung. Vergnügen mit Spätzündung."

Sie konnte gut zuhören, und er sah, dass ihr daran lag, ihn genau zu verstehen. „Um ehrlich zu sein - es ist der einzige Respekt, den ich aufbringe und der wirklich zählt. Das ist kein Verdienst, ich weiß, und ist auch nicht viel.“

„Schon etwas. Aber nicht sehr viel. Wie kommt das?"

„Die guten Einflüsse fehlen", sagte er ohne Bedauern. „Oder Vorbilder, wie man sagt." Ganz stimmt das nicht, dachte er. Kann sein, dass ich ohne Max verkommen wäre, und es würde mir nichts ausmachen, zu klauen oder schlampig zu arbeiten oder nur an die Zielprämie zu denken, wenn ein anderer an seiner Stelle wäre, dieser Jordan aus dem Lehrbetrieb vielleicht oder der Mann aus dem Opern-Café am Pfingstsonntag. Einer, den du nicht achten kannst oder der dich kalt lässt, was noch schlimmer ist.

„Es hängt viel davon ab, wen man trifft", sagte er.

Sie hatte bräunliche Augen. Es war ein helles Braun, und außen um die Iris lag ein dunkler Rand, und davon wurde ihr Blick fest und forschend und lieblich außerdem. Christian hätte gern ihre Schulter angefasst oder ihre Hand und musste sich zwingen, es nicht zu tun.

„Aber der Turm ist nicht das Wichtigste", sagte er.

„Sondern?"

„Was übrig bleibt, dass man lebt und sich dabei bewegt und alles benützt, was man hat. Dass man gern lebt und sich bewegt. Vielleicht das."

„Aber immer sind Sie sich selbst das Wichtigste?"

„Fast immer. Sie nicht? Was ist für Sie das Wichtigste?"

„Die Kinder, und dass ich große Pflichten mit ihnen habe, die ich so gut erfüllen muss, wie ich kann."

„Und das ist die Erfüllung oder das Glück, wie man sagt?"

„Ja."

„Und sonst? Ihr Mann zum Beispiel?"

An diese Lüge hatte sie schon nicht mehr gedacht, blieb aber dabei und sagte: „Auch mein Mann."

 

Zeit der Störche von Herbert Otto: TextAuszug