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Der Tod des alten Mannes von Egon Richter
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
17.06.2017
ISBN:
978-3-95655-809-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 226 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Biografisch, Belletristik/Familienleben
Biografischer Roman, Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Familienleben, Zeitgenössische Liebesromane, Generationenromane, Familiensagas
2. Weltkrieg, Sowjetische Besatzungszone, Neuanfang, Kriegsende, Kriegsgefangenschaft, Überläufer, DDR, Bodenreform, Genossenschaft, Fischer, Republikflucht, Liebe, Tod
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Über die niedergewalzten Felder wehte ein Geruch von Korn und schwelendem Brand. Hinter ihnen glösten die Reste des Dorfes. Vor ihnen stieg der Hügel an, unter dessen zerrupfter Pappel das russische MG-Nest liegen musste, vielleicht auch eine ganze Kompanie; wer konnte das wissen? Es war Neumond. Nur der fahle Schein der Sommernacht ließ sie die Konturen der Landschaft erkennen.

Es ging auf den Morgen zu. Sie mussten sich beeilen. Sie zogen sich die Böschung hinauf und lagen flach auf dem Boden.

Sie starrten auf die Stelle, an der sie das MG und die Russen vermuteten, und versuchten irgendetwas zu erkennen oder zu hören, aber nur ein lauer Wind strich über das Land und zirpte in den Blättern. Hinter ihnen, im Grabenunterstand, schnarchten die anderen. Auf dem Hügel unter der Pappel war alles still.

„Mensch, Robert“, flüsterte Gutschmid, „was machen wir, wenn keiner mehr da ist, wenn sie sich verzogen haben wie überall in den letzten Wochen.“

„Sie sind da“, sagte Robert Küster verbissen, „verlass dich drauf!“

„Schön“, flüsterte Gutschmid entschlossen, „dann wollen wir. Egal was kommt.“

Sie sahen sich an und wussten: wenn sie jetzt nicht gingen, dann würden sie nie mehr gehen. Und gehen wollten sie, trotz all ihrer Ängste. Wenn es gegen die Russen geht, hatte Robert Küster zu Anna gesagt, bevor er einrücken musste, dann lauf ich über, bei der ersten besten Gelegenheit, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Da hatte sie etwas gesagt, das er nicht von ihr erwartet hätte, denn so etwas wurde nicht ausgesprochen zwischen ihnen. Wenn dir was passiert, Robert, dann kann ich nicht mehr leben. Er hatte ihr mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht gewischt und mit großer Mühe hervorgebracht: Mir passiert nichts, Anna.

Daran musste Robert Küster denken, als er neben Gutschmid auf der Grabenböschung lag. und er war sich keineswegs mehr sicher, dass ihm nichts passieren würde. Aber wenn sie jetzt nicht gingen, dann würde die Angst über sie herfallen und sie zurücktreiben in den Graben.

Sie stießen sich aus ihrer Hockstellung ab und liefen auf den Hügel zu, gebückt, keuchend, getrieben von der Furcht, entdeckt zu werden. Sie stolperten über Steine und Unebenheiten, warfen sich in das nachtfeuchte, niedergetrampelte Korn. Überall glaubten sie Geräusche zu hören, aber sie waren sich nicht sicher, ob es nicht ihr eigener Atem war. Sie stießen sich wieder ab und rannten weiter. Da fing das Maschinengewehr auf dem Hügel anzurattern. Hinter ihnen stürmte die Kompanie aus dem Graben, sie hörten die Kommandos des Leutnants und die beiden kleinen Pak, die sich auf das russische MG einschossen.

Der Leutnant und die ganze Kompanie folgten den beiden. Sie kamen näher, Schritt für Schritt, genauso wie das Feuer des Maschinengewehrs, auf das die zwei zuliefen, hügelan. Um sie her pfiff und krachte es. Sie warfen sich nieder und sprangen wieder auf. Die Kompanie war schon neben ihnen - und das MG auf dem Hügel verstummte.

Sie rannten weiter ohne Aufenthalt, immer noch in der ersten Reihe, immer noch dem erhofften Ziel entgegen, und endlich waren sie da.

Eine Pak-Granate hatte das MG zerfetzt, die Leichen der beiden russischen Soldaten lagen daneben. Es war ein alter mit einem grauen Schnauzbart voller Blut und ein sehr junger mit geschorenem Kopf. Hinter ihnen ein menschenleerer Wald. Sie waren die einzigen gewesen unter der zerzausten Pappel.

Der Leutnant starrte in den Trichter auf die Toten, strich sich über das nasse Gesicht.

„Menschenskind“, sagte er, „zwei Tage! Das hält man nicht für möglich! Zwei Tage haben die beiden uns aufgehalten, und wir haben gedacht, hier liegt eine Armee!“

Sie standen da und starrten auf die Leichen.

Der Leutnant drehte sich um. „Küster und Gutschmid, Sie haben zwar ohne Befehl gehandelt, aber Sie haben die Front ein ganzes Stück vorwärtsgebracht. War mir von Anfang an klar, dass Sie nicht auf den Kopf gefallen sind. Alte Hasen, was?“

Der Leutnant schlug ihnen auf die Schulter.

„Das bringt Ihnen das EK! Und Sonderurlaub, ist ja klar!“

Gutschmid war bleich, Robert Küster sah sein ratloses Gesicht in der schwindenden Nacht. Der Leutnant sagte, ohne auf die toten Russen zu deuten: „Graben Sie die ein. Oder ist das zuviel für Sie?“

„Nein, Herr Leutnant“, sagte Robert Küster, „das ist nicht zu viel für uns.“

 

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