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Ahrenshooper Begegnungen. EIN HAUS AM MEER UND SEINE GÄSTE von Wolfgang Schreyer
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
05.04.2021
ISBN:
978-3-96521-428-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 234 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Biografisch, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Biografischer Roman, Familienleben, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
DDR, Ahrenshoop, Kurt Maetzig, Hubert von Blücher, Dieter Hoffmeier, Gerhard Rehbein, Wieland Herzfelde, Stefan Heym, Brigitte Reimann, Liebe, Gunar Cirulis, Walter Basan, Wolf D. Brennecke, Johanna und Günter Braun, Helmut Sakowski, Herbert Otto, Walter Kaufmann, Klaus Höpcke, Jürgen Frohriep, Horst Drinda, Kati Szekely, Ivan Maire, Werner W. Wallroth, Christina Laszar, Jana Brejchowa, Otto Mellies, Rolf Ludwig, Armin Müller-Stahl, Angela Brunner, Martin Selber, Hanns Anselm Perten, Egon Günther, Günter Kaltofen, Herbert Köfer, Ruth Kraft, Reiner Kunze, Erich Loest, Werner Steinberg, Rolf Schneider, Peter Bender, Christoph Links, Hasso von Blücher, Ralph Giardano, Herbert Nachbar, Lale Meer, Friedhelm Zubke, Hans Wollschläger, 9/11, Dieter Wellershoff, Eberhard Görner
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Das fremde Weib

„Wolfgang holt Brigitte nachmittags vom Bahnhof ab. Neugierig mustert sie mich bei der Begrüßung. Wir sollen uns mit Vornamen anreden, meint er, schließlich ständen wir ihm beide nahe. Brigitte lächelt spitzbübisch, sie gibt mir die Hand. Ihre mandelförmigen dunklen Augen und das schwarze Haar, zu einem langen Seitenzopf geflochten, gefallen mir. Sie ist schlank, etwas untersetzt, aber größer als ich. In dem roten Wollpullover und der langen schwarzen Hose, an den Knöcheln geschlitzt, wirkt sie mädchenhaft kokett, obwohl sie doch elf Jahre älter ist. Im Wohnzimmer raucht sie ‚Karo’, ohne dass Wolfgang Einspruch erhebt. Na ja, sie ist eben Schriftstellerin, und er schätzt ihre Bücher. Ich hab noch gar nichts von ihr gelesen und finde in seinem Regal ‚Die Frau am Pranger’; mit diesem Buch ist sie bekannt geworden.“

Ingrid hat das Abendbrot angerichtet, leckere Schnittchen auf einem großen Brett, doch sie fühlt sich von Brigittes Temperament an den Rand gedrängt. „Ich muss ihn also mit ihr teilen“, schreibt sie, „aber was kann ich schon bieten? Was hilft es, wenn er mich ab und zu mal anlächelt, diese Frau ist ja viel interessanter. Und ich, was bin ich für ihn? Ja, er hat ein Jahr um mich geworben und jetzt bin ich seine Freundin, aber doch nur heimlich. Brigitte hat irgendwelchen Kummer mit ihrem Mann, sie will mit Wolfgang darüber reden. Da störe ich natürlich, ziehe mich zurück und keiner von beiden hält mich auf.“

Sie kann nicht einschlafen, das fremde Lachen dringt zu ihr. „Wie soll es überhaupt weitergehen?“, fragt sie sich. „Erst jetzt denke ich an seine Frau. Was bringt die Zukunft? Vielleicht wollte er mich nur erobern, das war’s dann, und Brigittes Erscheinen ist ihm recht. Ein kleines Abenteuer, das braucht er als Schriftsteller, nun schiebt er mich beiseite. Wie konnte ich ihm nur glauben? Ich werde überhaupt keinem Mann mehr trauen; doch dann muss ich auch auf Zärtlichkeit verzichten. Mir fällt keine Lösung ein. Morgen jedenfalls will ich wissen, wer für ihn wichtiger ist – sie oder ich.“

Das immerhin wird ihr gleich nach dem Morgenbad – man schwimmt recht weit hinaus – im Strandkorb klar. „Ich bin wieder glücklich“, heißt es nun. „Ich falle ihm um den Hals, küsse ihn überschwänglich – egal, ob das wer beobachten kann. Doch da sind nur zwei Fischer am Boot, mit ihrem nächtlichen Fang. Wir haben die See und den Strand für uns allein. Er möchte jetzt frühstücken, doch ich ziehe ihn einfach ein zweites Mal ins Wasser. Wir tollen wie Kinder – gut, dass Brigitte so eine Langschläferin ist.“

Später am Meer fühlt Ingrid sich von der anderen taxiert, und tut es ihr gleich. „Auch Brigitte ist im Bikini“, hält sie fest. „Der Busen ist kleiner, die Hüften sind breiter als bei mir. Den leichten Gehfehler kaschiert ihre Selbstsicherheit gut. Aus dem Wasser kommend, höre ich sie zu Wolfgang sagen: ‚Sie ist ja ganz niedlich, aber willst du Lottchen das antun?’ Was hat sie bloß gegen mich? Gut, sie ist unglücklich in ihrer Ehe, aber sie hat doch ständig Freunde nebenbei, warum gesteht sie das nicht auch Wolfgang zu?“

Sie will das Gespräch nicht hören und legt sich abseits auf ihr Badetuch. Abends scheint das vergessen, man sitzt zu dritt bei einem Windlicht auf der Terrasse, lässt die Eiswürfel in den Drinks leise klirren und blickt auf zu den Sternen. Die Zigaretten der Frauen sollen die Mücken vertreiben. Nun entdecken die zwei sogar Gemeinsamkeiten. Brigittes Bruder Lutz ist der Schulfreund eines Verwandten Ingrids gewesen! „Beide kommen wir aus bürgerlichen Familien“, schreibt sie. „Auch sie mag meine französischen Lieblingsautoren und interessiert sich für Malerei. Über die Impressionisten kommen wir uns näher. Endlich gelingt es mir, am Gespräch teilzunehmen. Als Wolfgang schlafen geht, er ist ja ein Frühaufsteher, lästern wir über ihn. Doch kaum ist er weg, da verebbt unser Gespräch.“

Zu Ingrids Kummer schläft Brigitte in der Bettnische des Arbeitszimmers. Auch liest sie in jenen Tagen meist in Ilja Ehrenburgs Memoiren; etwas hochnäsig gibt sie ihr Bulgakows „Der Meister und Margarita“. Das Buch hat sie mitgebracht und glaubt, es würde die andere überfordern. „Die Frau am Pranger“ hingegen gefällt Ingrid recht gut. Das sagt sie der Autorin auch und verschweigt wohlerzogen, dass ihr Jorge Amados Roman „Gabriela“ doch lieber ist.

„Richtig erleichtert bin ich, als Wolfgang sie wieder zum Zug bringt“, heißt es dann. „Wir haben uns zwar in den letzten Tagen besser verstanden, doch hörte ich einmal, wie sie in der Küche zu ihm sagte: ‚Na, da hast du ja jetzt deine langersehnte Kindfrau.’ Was meint sie nur damit? Ich frage ihn ein paar Tage später, da nimmt er mich gerührt in seine Arme, ohne es mir zu erklären, und macht mich damit erst recht neugierig. Sicher ist es ihm peinlich – also doch etwas Schlechtes. Keinen kenne ich hier, den ich danach fragen kann. Vielleicht findet sich etwas in den Büchern, die er schrieb, als wir uns noch nicht kannten.“

Das erweist sich als heiße Spur. Ingrid mag Abenteuerromane nicht, doch beim raschen Durchblättern stößt sie im „Grünen Ungeheuer“ auf ein Mädchen namens Chabelita, das ihr ähnlich ist; nicht bloß äußerlich. Wie seltsam! „Wolfgang selber schätzt das Buch nicht mehr, er rät mir zu einem anderen. Heimlich lese ich weiter, hab das Gefühl, ein Rätsel zu lösen. Tatsächlich, die Heldin ist die Miniaturausgabe einer gutgebauten Frau, deshalb auch Kindfrau genannt. Gott sei Dank, das ist ja nichts Schlechtes.

Zur Familie meines Bruders schreibt sie: „Mit Bernd und dem kleinen Thomas bin ich richtig gern beisammen, Erika jedoch bleibt zurückhaltend. Wir teilen uns die Hausfrauenpflichten, ich suche mich ihr im Gespräch zu nähern, doch wir sind zu verschieden. Vielleicht hat sie auch Angst, dass ihr Bernd eines Tages dem großen Bruder nacheifert.“

Die Zeit läuft ab, und Ingrid – sonst kein Kind von Traurigkeit – sinkt in ein Stimmungstief: „Wir umarmen uns jetzt häufiger, klammern uns aneinander, immer den Abschied vor Augen. Es wird richtig quälend. Was nützt es da, wenn er zu schreiben verspricht und bald wieder in Magdeburg sein wird? Für mich gibt es überhaupt keinen Trost. Ich hab ihn so lieb, will immer mit ihm zusammen sein und fürchte nun, dass alles zu Ende geht. Wie sollen wir uns denn sehen, wenn seine Frau davon erfährt? Was wird denn nun mit seiner Frau, die liebt er doch auch? Was bin ich dann für ihn, eine kleine Septemberliebe? Eigentlich weiß ich viel zu wenig von ihm. Den Gedanken an seine Ehe habe ich einfach verdrängt. Und Wolfgang, er kennt das Leben und hätte es voraussehen müssen. Aber vielleicht hat er uns beide gleich lieb, nur auf verschiedene Weise?“

Der Text schließt: „Das wär ja furchtbar. So kann man doch nicht leben. Heute die eine Frau und morgen die andere, so hab ich mir mein Leben nicht vorgestellt. Das habe ich mit Uwe doch gerade hinter mir. Wieso bin ich immer die Zweitfrau? Beim Abschied kann ich mit Wolfgang nicht mehr sprechen, mir kullern die Tränen übers Gesicht. Wir umarmen uns ein letztes Mal. Dann steige ich schnell in den Zug nach Magdeburg, winke ihm noch aus dem Fenster – und als er immer kleiner wird auf dem Bahnsteig, erscheint es mir, dass wir uns auch innerlich voneinander entfernen, bis nichts mehr bleibt.“

Ahrenshooper Begegnungen. EIN HAUS AM MEER UND SEINE GÄSTE von Wolfgang Schreyer: TextAuszug