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Zwischen Barrikade und Bühne. Gedichte 1920 - 1933 von Erich Weinert
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
27.06.2025
ISBN:
978-3-68912-529-5 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 624 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik
Historischer Roman, Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik
Agitprop, Antifaschismus, Arbeiterbewegung, Arbeiterdichtung, Aufbegehren, Aufstand, Berlin, Dadaistische Einflüsse, Dichter der Straße, Dichtung im Exil, Erich Weinert, Frontliteratur, Gesellschaftskritik, Ironie, Kabarettlyrik, Kampfgedichte, Klassenbewusstsein, Klassenkampf, Kommunismus, Kriegsverse, Linke Literatur, Literaturgeschichte, Lyrik 20. Jahrhundert, Parteilichkeit, Politische Lyrik, Proletarische Kunst, Reim und Revolte, Revolte, Roter Frontkämpferbund, Satire, Sozialistischer Realismus, Sozialkritik, Sprachgewalt, Unrecht, Volksnähe, Weimarer Republik, Widerstand, Zeitgeschichte, Zensur, Zwischenkriegszeit
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Von allerhand Tieren

1921

Einst hatt’ ein Löwe sein Getier versammelt

Und hatte lange und ergrimmt

Im Gottesgnadenton gestammelt

Und schließlich feierlich bestimmt:

Man müsse sich zum heilgen Kriege rüsten,

Zur Rettung der Nation und Dynastie!

Da scholl bewegt aus Untertanenbrüsten

Ein Hoch dem Kriege und der Monarchie.

 

Da stiegen alle Esel von Kathedern

Und zeigten militärische Allüren.

Die Füchse spitzten ihre Gänsefedern

Und schrieben Leitartikel und Broschüren.

Der Löwe schrieb: „An meine braven Schafe!

Der König ruft! Erwacht aus eurem Schlafe!

Verkennt den Ernst der großen Stunde nicht!“

Da taten auch die Schafe ihre Pflicht.

Sie stürmten wild an ihre Landesgrenzen,

Dem Feind die Hörner in das Herz zu bohren.

Im Lande blieben die Intelligenzen

Als unabkömmliche Kulturfaktoren.

Die Esel stiegen wieder aufs Katheder

Und sprachen von heroischer Verklärung.

Die Schweine handelten mit Fett und Leder

Und garantierten so die Volksernährung.

Die Geier stürzten sich auf die Tribute

Und schufen mit den Wölfen Syndikate.

Die Schafe aber zahlten treu dem Staate

Mit ihrer Wolle und mit ihrem Blute.

 

Man schreit hurra. Es hagelt nur von Siegen.

Rein überschaflich sind der Schafe Kräfte.

Die Wälder füllen sich mit Beutezügen,

Und alle Welt macht glänzende Geschäfte.

Die Wölfe schmücken sich mit hohen Orden,

Die Schweine werden schier zum Platzen mollig.

Doch nur die Schafe scheinen nicht mehr wollig

Und sind erheblich magerer geworden.

Das ganze Hammelvolk kam auf den Hund.

Die Sache hatte einen tiefren Grund:

Das Schweinevolk in höhren Positionen,

Das fraß begeistert doppelte Rationen.

Doch so was war den Schafen selbst zu bunt.

Und eines Nachts ist plötzlich alles stumm,

Die satten Bäuche fahren aus dem Schlafe:

Die Hammelschaft dreht die Gewehre um

Und konstituiert die Republik der Schafe.

 

Da flohn die Heimathelden in die Wälder.

Der Löwe selbst verschwand im Siegerkranz.

Das Schweinevolk versteckte seine Gelder.

Man zitterte vor jedem Lämmerschwanz.

Nun fühlten sich, von Etsch bis Belt,

Die Schafe über alles in der Welt.

Dann gaben sie, als einig Volk von Brüdern,

Für jedes Raubtier volle Amnestie.

Das kroch sogleich heran, sich anzubiedern,

Und predigte von Gleichheitsharmonie.

Es wandelte wie Schafe unter Schafen

Und huldigte Verfassungsparagrafen.

Gefallen waren die sozialen Hürden;

Und Wölfe, Esel, Geier, Schweine

Bekamen wieder Amt und Würden

Und gaben wieder jedem Schaf das Seine.

Der Oberhammel sprach zu seinen Heeren:

„Wir brauchen nichts als unsers Leibes Nahrung.

Die uns regieren, haben die Erfahrung.

Drum lasst euch nur verfassungsmäßig scheren!“

Da wurden gleich die Esel wieder keck,

Die Schweine wurden wieder fett und fetter,

Die Füchse schufen nationale Blätter,

Und selbst der Löwe kroch aus dem Versteck.

Die Wölfe trugen Orden auf den Lenden,

Die Geier schluckten hohe Dividenden.

Und eh man sich versehn, war weit und breit

Auf einmal wieder gute, alte Zeit.

Und auch die Wölfe hatten unterdessen,

Wo sie als Staatsanwälte figuriert,

So manchen armen Hammel aufgefressen,

Der einst für Hammelfreiheit agitiert.

Die Schafe lagen bei den Wiederkäuern

Und kauten Gras und zahlten ihre Steuern.

Und riss zuweilen eine Lammsgeduld,

Dann rief das Oberschaf: „Nur kein Tumult!

Ertragen wir mit Würde Gottes Strafe,

Denn wir sind auch nicht ohne Schuld.“

Das sahen denn die treuen Lämmer ein,

Die nichts verstehn und alles gern verzeihn,

Und kehrten heim zum großen Dauerschlafe.

Es waren eben veritable Schafe!

Der rote Feuerwehrmann

1925

Für eine politische Revue

Hallo, hier geht es drauf und dran!

Wo brennt’s im Land? Wo wackelt die Wand?

Ich bin der rote Feuerwehrmann!

Wir halten stand, den Hydrant in der Hand!

Wo ist Alarm? Immer umgeschnallt!

Wem ist zu warm? Dem geb’ ich kalt!

Wo die vaterländische Flamme blakt,

Wo die Schupo auf die Proleten drescht,

Da wird ‘rangehakt,

Da wird gelöscht!

Wo’s quiemt in der deutschen Kaffeemütze

Vor lauter Kriegsbegeisterungshitze,

Immer ‘ran mit der Spritze!

Wo sich die Stahlhelmkadetten besaufen

Für Kirche und Kapital,

Da nehmen wir sie untern kalten Strahl!

Da lernen sie laufen!

Achtung, wer hier mit dem Feuer spielt,

Der wird abgekühlt!

Die Fratzen mit den Etappenmonokeln,

Die sollen uns nicht die Bude verkokeln!

   Straße frei! Wir rücken an!

   Platz für den roten Feuerwehrmann!

 

Bei Tag und Nacht geht’s feste ‘ran!

Mit Herz und Hand! Da wackelt die Wand!

So lebt der rote Feuerwehrmann,

Mal durchgebrannt und mal abgebrannt!

Wer unsre Fahne in Brand gesteckt,

Dem schlagen wir die Fassade ein!

Wir sind Soldaten ohne Respekt

Und wollen es sein!

Wir pfeifen auf jede Ordnungsstütze!

Und qualmt der Spießer aus jeder Ritze,

Immer ‘ran mit der Spritze!

Wo es mufft nach altem Weihrauchduft,

Da machen wir frische Luft!

Der Ministerbonze mit Ordensschmuck,

Der kriegt eins auf den Zünder!

Ein Strahl mit drei Atmosphären Druck!

Immer ‘runter mit dem Zylinder!

Mit Gott für König und Vaterland?

Jawohl, mit dem Beil in der Hand!

Nur keinen blinden Alarm gezogen!

Sonst werden die Fensterscheiben verboten!

   Straße frei! Wer hat, der kann!

   Platz für den roten Feuerwehrmann!

 

Mal geht es los, mal fängt es an!

Dann kommt der Krach! Da wackelt das Dach!

Hallo, der rote Feuerwehrmann!

Den ersten Schlag! Immer feste nach!

Paläste stürzen, die Straße brennt!

Es qualmt und stinkt im Parlament!

Wie stehn die Kurse? Die Börse brennt!

Letzte Notierung! Die Welt ist kaputt!

Bis zum letzten Prozent

Alles Dreck und Schutt!

Das Zuchthaus brennt, es brennt die Kaserne!

Sprengkapseln ‘ran! Hier krachen Konzerne!

Die Menschenschinder an die Laterne!

Wir schlagen die alte Welt in Stücke!

Und wenn die letzte Zwingburg fällt,

Dann rauf auf die Trümmer, und ‘ran mit der Picke!

Dann bauen wir uns eine neue Welt!

   Straße frei! Wer fängt hier an?

   Platz für den roten Feuerwehrmann!

Es spukt am Brandenburger Tor

1926

 

1914

Tatütata! Was rasselt daher?

Die Wache raus! Die Wache spritzt!

Achtung! Präsentiert das Gewehr!

Tatütata! Vorbeigeflitzt!

Es gespenstert Unter den Linden.

Gerüchte aus allen Winden!

Kasernenalarm! Depeschen aus Wien!

Tatütata! Majestät in Berlin!

   Man spitzt das Ohr.

   Was geht hier vor?

Es spukt am Brandenburger Tor!

 

1918

Straße frei! Was knattert daher?

Matrosen stellen sie an die Wand.

Von oben spritzt das Maschinengewehr.

Der Kaiser, der Kaiser ist durchgebrannt!

Und hinter zerlumpten Muschkoten

Gespenstert das Heer der Toten.

Hurra, die rote Fahne weht!

Schützenfeuer! Zu spät! Zu spät!

   Schon rückt es vor,

   Das Gardekorps!

Es spukt am Brandenburger Tor!

 

1920

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Was rattert heran im Morgenrot?

Generalattacke! Die Nacht verrinnt!

Laden und Sichern! Der Lüttwitz* droht!

Es geht ein heimliches Wehen

Durch alle Siegesalleen.

Die kaiserlichen Banditen ziehn.

Haubitzen donnern über Berlin.

   Zu Befehl, Herr Major!

   Was geht hier vor?

Es spukt am Brandenburger Tor!

 

1925

Die Fahnen raus! Was tutet daher?

Achtung! Der neue Herr Reichspräsident!

Da spaliert das deutsche Altweiberheer

Und die Knüppelgarde der fünfzig Prozent.

Der Marschall schwenkt den Zylinder.

Da blöken Greise und Kinder.

Ganz ferne klingt es wie Trommelschall,

Wie Schwertgeklirr und Wogenprall.

   Man brüllt im Chor.

   Was geht hier vor?

Es spukt am Brandenburger Tor!

 

19-?

Tatütata! Was rasselt daher?

Die Wache raus! Die Wache spritzt!

Achtung! Präsentiert das Gewehr!

Tatütata! Vorbeigeflitzt!

Es gespenstert Unter den Linden.

Die Staatssymbole verschwinden.

Tatütata! Was rasselt daher? –

Wer war denn das? – War das nicht ER?

   Was geht hier vor?

   Es geht was vor!

Es spukt am Brandenburger Tor!

* Lüttwitz – am Kapp-Putsch beteiligter General der republikanischen Reichswehr.

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