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Stimmen aus dem Exil. Gedichte 1933- 1943 von Erich Weinert
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
07.07.2025
ISBN:
978-3-68912-531-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 308 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik
Historischer Roman, Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik
Antifaschismus, Arbeiterbewegung, Aufklärung, Aufstand, Ballade, Bücherverbrennung, Deportation, Dichtung und Wahrheit, Diktatur, Drittes Reich, Erinnerungskultur, Exil, Exilautor, Exillyrik, Gerechtigkeit, Hitlerregime, Internationale, Kommunismus, Konzentrationslager, Krieg und Frieden, Literatur im Exil, Menschenrechte, Moskau, Mut, Nationalsozialismus, Paris, Poesie, politische Lyrik, Repression, SA-Terror, Satire, Sozialismus, SS-Gewalt, Verbrechen, Verfolgung, Volkstribun, Widerstand, Zeitgedicht, Zivilcourage, Stimme der Vernunft
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Die Nacht des Gefangenen

Berlin 1933

Die Zellenwände bauchen sich und fliehn,

Als ob sie atmeten, als ob sie schwängen.

Das dünne Mondlicht spielt mit den Gestängen.

Und oben, wo die schwarzen Schatten hängen,

Sieht er die Augen der Verzweiflung glühn.

 

Er wirft sich hoch, starrt in die Dunkelheiten.

Da schwebt ein Riesenschädel, grau und fett,

Tief in die Stirn gezogen das Barett.

Und eine kalte Stimme hallt von weitem:

Ich will dir tausend Nächte Qual bereiten!

 

Er springt von seiner Pritsche, schlägt die Faust,

Die Stirn, das Ohr ans harte Fenstereisen.

Und wie der Nachtwind durch die Stäbe saust,

Fühlt er, wie die Gedanken nicht mehr kreisen,

Er packt mit voller Kraft das kalte Eisen.

 

Beruhigt schaut er in die Nacht und spricht:

Ich weiß, du lauerst, du Barettgesicht,

Dass ich in diesem Totenhause stürbe.

Du kannst mich martern, doch du zwingst mich nicht.

Auch tausend Nächte machen mich nicht mürbe!

 

Er lehnt sich an die Wand und lauscht und ruht.

In seiner Schläfe kühl verrauscht das Blut.

Und plötzlich – klopft es an die tauben Steine,

Ein Menschenwort: Genosse, geht dir s gut?

Ich bin bei dir, du bist ja nicht alleine!

 

Das weht wie warmer Wind in seine Zelle.

Das Klopfen fällt ins Herz wie heiße Tropfen.

Nun hört er’s wie durch tausend Wände klopfen:

Durch tausend Wände bricht’s wie eine Welle,

Wie eines Morgenhimmels rote Helle:

 

Genossen, unzerstört stehn unsre Rechte

Durch tausend und durch abertausend Nächte!

Und wenn man einst aus diesem Rattennest

Als ausgeblichne Schatten uns entlässt,

Dann sind wir Schatten, aber keine Knechte!

 

Und wie’s durch zehnmaltausend Wände spricht,

So klingt es in Millionen Herzen wider.

Der Herzschlag unsrer zehnmaltausend Brüder

Schlägt durch die Welt und schlägt den Kleinmut nieder

Und weckt den Morgenruf der Zuversicht!

 

Genossen, wenn der Nächte schwarzer Schauer

Durch eure Zellen kriecht, dann horcht hinaus!

Millionen Fäuste schlagen an die Mauer.

Einst schlagen sie das Tor zum Grab heraus.

Und helles Leben rauscht ins Totenhaus!

An einen deutschen Arbeiterjungen

Paris 1933

Nicht weinen, mein Junge, es ist geschehn.

Du kannst deinen Vater nicht wiedersehn.

Sie haben ihn auf der Flucht erschossen.

Junge, einen unserer besten Genossen!

 

Auf der Flucht erschossen! Junge, du weißt!

Sie haben dir schon gesagt, was das heißt.

Zwei Kugeln von vorn, in die Stirn, in die Lunge.

Sie haben ihn hingerichtet, mein Junge!

 

Du siehst mich an so entsetzten Gesichts.

Sei tapfer, mein Kind, ich erspare dir nichts!

Sie haben ihn wie einen Hund geschunden;

Er hat den qualvollsten Tod gefunden.

 

Als sie ihn holten, da hast du geschrien.

Und als er dich streichelte, schlugen sie ihn.

Er konnte kein Wort des Abschieds mehr sagen;

Sie hatten ihm schon den Mund zerschlagen.

 

Sie schlugen auf ihn drei Tage lang,

Bis dass ihm die Haut auseinandersprang.

Zittre nicht, Junge! Du musst es erfahren!

Ich will dir das Schrecklichste nicht ersparen.

 

Sie setzten ihm das Gewehr auf die Brust.

Aus blutendem Mund hat er singen gemusst.

Ihre Mordbrennerlieder musste er singen,

Auf blutenden Füßen musste er springen.

 

Und sähst du heute sein totes Gesicht,

Du würdest schreien, du kenntest ihn nicht.

Geschunden, zertreten, zerrissen, zerschossen!

Junge, einen unserer besten Genossen!

 

Wir trauern nicht, Junge, das ist nicht gut.

Jetzt nichts mehr fühlen als brennende Wut!

Und diese Glut darf nie mehr erkalten,

Für den Tag, Junge, wo wir Abrechnung halten!

Der Brand auf dem Opernplatz

Zum Jahrestag der Bücherverbrennung auf dem Opernplatz in Berlin am 10. Mai 1933

Paris 1935

Das war nicht neu. Das waren alte Dinge,

Das war zu allen dunklen Zeiten Brauch:

War je ein Regiment der Finsterlinge

Von Angst bedrängt, dass es der Geist bezwinge,

Umwölkte es verfallner Götzen Bauch

Mit Blutdampf, Brandgeruch und Opferrauch.

 

Ich nenne Finsterlinge jene Brut,

In deren innerem Wesen es beruht,

Des Unrechts Privilegien zu erhalten.

Sie stellt des Urrechts gärenden Gewalten

Gewalt entgegen, um sie auszuschalten.

Sie selber lebt vom Unrecht, das sie tut.

 

Wir wissen doch, weshalb sie uns verbrannten:

Der deutschen Feigheit, die wir tief erkannten,

Wir hatten dieser Feigheit Mut gemacht.

Millionen Feuer hatten wir entfacht,

Dass er nicht irrlief beim Beginn der Nacht.

Drum wissen wir, weshalb sie uns verbannten.

 

Das war nicht neu. Wer je den Massenglauben

An gottgesetzte Ordnung unterwühlt,

Den hieß es seiner Stimme zu berauben.

Denn dieser Stimme Schall zerbrach die Schrauben

Und drohte wie ein Donner zu zerstauben,

Was nur die Dummheit noch zusammenhielt.

 

Drum griffen sie in ihrem ersten Grimme

Nach unsrem Wort mit ihrer Mörderhand.

Sie zündeten ein Feuer auf im Land

Und glaubten, dass es in der Glut verglimme.

Sie glaubten, sie verbrennten unsre Stimme.

Doch war es nur Papier, was sie verbrannt.

 

Wir sind noch da. Wir sind noch nicht begraben.

Wir sind nicht schmählich aus der Welt geflohn.

Sie fühlen unsre Stimme sie bedrohn.

Denn nichts als Angstwut brüllt aus ihrem Hohn,

Weil wir dem Regiment nicht Ruhe gaben.

Sie wissen, dass wir scharfe Waffen haben.

 

Wer in die Hände fiel der Niedertracht,

Sie hat den Mund der Wahrheit stumm gemacht.

Doch seine Stimme ist nicht umgebracht;

Sie lebt in unsrer Bruderschaft Gedächtnis.

Aus unsrem Munde in der Zeiten Nacht

Erschalle neulebendig ihr Vermächtnis!

 

Wir sind noch da. Nicht müde des Gefechts.

Wir schreiten über die im Kampf Verglühten.

Wir scheuchen aus der Dämmerluft der Mythen

Die Henkermeister und die Troglodyten,

Bis siegreich aufflammt über dem Gekrächz

Das Wort der Wahrheit und das Wort des Rechts!

Stimmen aus dem Exil. Gedichte 1933- 1943 von Erich Weinert: TextAuszug