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Kurze Geschichten aus dem verfluchten Krieg von Erich Weinert
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Preis E-Book:
0.99 €
Veröffentl.:
11.06.2025
ISBN:
978-3-68912-517-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 49 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Kurzgeschichten
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Historischer Roman, Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Antikrieg, Arbeiterklasse, Bombenkrieg, Denunziation, Deserteur, Empathie, Entfremdung, Erschütterung, Exil, Familienzerfall, Faschismuskritik, Fliegeralarm, Gehorsam, Gerechtigkeit, Gestapo, Klassenbewusstsein, kommunistischer Widerstand, Kriegsalltag, Kriegstrauma, Menschlichkeit, Militarismus, Mut, Ostfront, Propagandalüge, Satire, schwarzer Humor, Soldatenschicksale, Spott, Todesstrafe, Unterdrückung, Verfolgung, Verlust, Verzweiflung, Volksgericht, Wahrheit, Wehrmachtskritik, Widerstand, Zeitzeugnis, Zivilcourage, Zweiter Weltkrieg
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EINE BELEIDIGUNG DES DEUTSCHEN VOLKES

In einem kleinen Wartesaal hörte ich neulich einen Mann, einen Ladenbesitzer aus Niederschlesien, folgende Geschichte erzählen:

„Vor vier Wochen kriegte ich für meine kranke Frau und für die Arbeit in Haus und Garten eine Ostarbeiterin zugeteilt, eine Ukrainerin. Wir waren sehr zufrieden, es war ein sehr sauberes, hübsches Mädchen, die auch Deutsch spricht. Und wie das so ist, wir sind gut mit ihr ausgekommen, sie hat mit am Tisch gesessen und ihre Mädchenkammer gehabt. Manchmal kam sie morgens ganz verweint runter. Ich habe sie gefragt, ob sie Kummer hat, wir wären doch sehr anständig zu ihr. Da hat sie mich so komisch angesehen und den Kopf geschüttelt, als könnte sie gar nicht verstehen, wie man so fragen kann. Einmal nach dem Abendbrot ist sie dann aus sich rausgegangen und hat erzählt, dass sie aus der Gegend von Kiew wäre, Lehrerin, und dass sie studiert hätte. “

Ein junger Schnösel, der mit uns am Tisch saß, fing an zu lachen: „In Russland? Und studiert? Lassen Sie sich man keinen Bären aufbinden!“ Der Mann guckte ihn von oben bis unten an: „Wissen Sie, dass die uns von deutschen Klassikern was erzählt hat, was wir selber noch nie gehört hatten?“ Und dann erzählte er weiter. „Ich schickte sie ein paarmal zu einem Kunden über die Straße, ein besserer Herr (hier machte der Mann eine Bewegung, aus der hervorging, dass es sich um einen Parteibonzen handeln musste), und da blieb sie einmal eine halbe Stunde weg und kam ganz verweint und derangiert zurück. ,Was ist los, Sonja?‘, frag ich erstaunt. Da wollte sie erst nicht raus mit der Sprache. Aber wie meine Frau sie streichelt, erzählt sie, der Mann hätte ihr Gewalt antun wollen. Ist das nicht der Gipfel der Gemeinheit? So ein schutzloses Mädchen? Ich konnte nicht mehr an mich halten, was da auch nachkommen konnte, und rüber zu dem. ,Ach‘, sagt der, ,Sie wollen wohl das ausländische Pack gegen einen Deutschen in Schutz nehmen. Sehr interessant!‘

Und was meinen Sie, der Kerl hat mir doch die Polizei an den Hals gehängt. Und nun läuft die Sache sogar beim Gericht. Und das Mädchen haben sie uns weggenommen, wegen würdelosen Verhaltens, und was meinen Sie, wer die gekriegt hat? Derselbe bessere alleinstehende Herr! Und nun stellen Sie sich vor, was das arme Ding da auszuhalten hat! Kein Mensch schützt sie doch da. Und ich werde mich nicht wundern, wenn die sich eines Tages aufhängt.“ Der Mann hatte sich richtig in Wut geredet. Da sagte der Schnösel, der mit am Tisch saß: „Ist auch ganz richtig so. Haben Sie nicht neulich im ‚Schwarzen Korps‘ gelesen? Wer diese Ausländerinnen so behandelt, als ob sie auf gleichem Fuß stehen, der beleidigt das deutsdre Volk!“

Da brüllte der Mann los: „Ich möchte das ganze deutsche Volk fragen, ob es sich von mir beleidigt fühlt, wenn ich so ein armes Ding in Schutz nehme, oder ob es sich nicht viel mehr beleidigt fühlt von dem Kerl da!“ Und alle, die dabeisaßen, riefen: „Sehr richtig!“ Der Schnösel verschwand auffällig schnell. Leider musste ich auch weg. Dem Mann gab ich noch einen Stoß und sagte im Vorbeigehen: „Es ist besser, Sie verschwinden hier.“

Wie weit ist es doch mit Deutschland gekommen! Schämen müssten wir uns, was wir uns alles bieten lassen müssen! Wie lange noch, wie lange noch!

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