PERSONEN:
Frau Butz, Beamtenwitwe
Ferdinand, ihr Sohn
Kniebus, Gymnasialdirektor
Der Schuldiener
ORT:
Sprechzimmer des Direktors
SCHULDIENER
(führt Frau Butz und Sohn herein) Bitte nehmen Sie Platz! Herr Direktor kommt gleich. (Er geht wieder.)
FRAU BUTZ
Danke.
FERDINAND
(weist auf ein Riesenbild Hitlers über dem Schreibtisch) Guck mal da, Mama!
FRAU BUTZ
Ist doch jetzt Vorschrift, Junge!
FERDINAND
Aber Goethe ist weg. Da hing nämlich früher Goethe!
FRAU BUTZ
So. Mhm. Also, Ferdi, ich bitte dich, sei nicht wieder vorlaut! Denk immer daran: Der Mann hats jetzt auch schwer muss doch mit den Wölfen heulen!
FERDINAND
(grinst).
FRAU BUTZ
Ich denke, er wird ja auch unsere Lage verstehen wo wir doch früher
DIREKTOR KNIEBUS
(tritt ein, hebt die Hand zum Gruß) Heil!
FERDINAND
(steht auf, hebt die Hand ein wenig).
KNIEBUS
(setzt sich) Sie haben mich zu sprechen gewünscht, Frau Butz. Ich nehme an, es handelt sich (er blättert im Terminkalender), es handelt sich um den Sohn. (Er mustert Ferdinand.)
FRAU BUTZ
Ganz recht, Genosse Kniebus.
KNIEBUS
Wenn Sie sich dieser schlichten Anrede bedienen wollen, Frau Butz, dann bitte entwürdigen Sie sie nicht durch Unvollständigkeit! Es heißt: Volksgenosse!
FRAU BUTZ
Ich weiß schon, was Sie sagen wollen aber ich dachte, hier, wo wir unter uns sind
KNIEBUS
Was heißt unter uns?
FRAU BUTZ
Sie kennen mich wohl nicht mehr? Wir waren doch im sechzehnten Kreis in der SPD zusammen! Sie hatten doch immer die Kulturabende bei den Frauen geleitet. Mein Mann hat immer große Stücke auf Sie gehalten. Er ist ja im Juni gestorben. Hat immer gesagt: Das ist eine Säule der Republik, der Genosse Kniebus!
KNIEBUS
Gestatten Sie, dass ich Sie unterbreche, Frau Butz! Sie sprechen von einer nun Gott sei Dank ausgelöschten, entehrenden Vergangenheit.
FRAU BUTZ
Ich wollte Sie ja auch gar nicht in Verlegenheit bringen, Herr Direktor. Ich weiß ja, dass Sie Rücksicht auf Ihre Stellung
KNIEBUS
Ich darf wohl zur Sache kommen! Also Ihr Sohn läuft Gefahr, den Reifegrad nicht zu erwerben. Der junge Mann hat sich durch sein renitentes Wesen, die Prinzipien der Unterordnung und des Gehorsams noch nicht begriffen habend, die Sympathie seines Ordinarius verscherzt und ich glaube, dass jede mütterliche Intervention hier überflüssig ist, so gut sie gemeint sein mag.
FRAU BUTZ
(nach einer Pause) Es war ja auch nicht so, dass ich eine Protektion wollte. Ich dachte nur daran, wie sehr Sie sich damals in Ihren Vorträgen für Gerechtigkeit eingesetzt hatten. Ich dachte, um es ganz offen zu sagen, mit dem Genossen Kniebus kann man ja ein menschliches Wort reden.
KNIEBUS
Sie scheinen doch einer etwas deutlicheren Aufklärung zu bedürfen. Frau Butz. Ich habe in der Tat einmal die Mitgliedskarte dieser vaterlandsverräterischen Partei gehabt. Haben müssen. Sie haben es natürlich nie erfahren können, unter welchem Gesinnungsterror der Systemparteien, besonders der SPD, wir Kämpfer an der Kulturfront standen. Jahrelang habe ich gestöhnt unter der Heuchelei, zu der die schwarz-rot-gelben Unterrichtsministerien die leitenden Schulmänner zwangen. Und Sie können mir glauben, werte Frau mit einem Schrei der Erleichterung haben wir am dreißigsten Januar anno domini neunzehnhundertunddreiunddreißig dieses Joch von uns geworfen, da wir wussten: Nun endlich ist die Bahn den aufrechten Männern frei gemacht. In dieser Stunde bereits erwarb ich das Mitgliedsbuch der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Nun, hoffe ich, wissen Sie, mit wem Sie reden!
FRAU BUTZ
(verwirrt) Entschuldigen Sie vielmals, Herr Direktor!
KNIEBUS
Sehen Sie, wir Nationalsozialisten
FRAU BUTZ
Entschuldigen Sie. Ich möchte nicht länger stören ich wusste nicht
KNIEBUS
Nun wissen Sie also. Der Fall Ihres Sohnes Ferdinand liegt, nach dem Rapport seines Ordinarius, folgendermaßen: Der Schüler Butz erlaube sich des Öfteren, besonders bei Behandlung des Pflichtthemas Deutschlands Verfall und Aufstieg, 1918 bis 1933, ungehörige Fragen zu stellen und Einwürfe zu machen, die deutlich als Ausflüsse unvölkischer und zersetzender Ideologien erkennbar seien.
FRAU BUTZ
Ich habe nicht ganz verstanden. Was hat er gemacht?
FERDINAND
Erlauben Sie mir eine Bemerkung, Herr Direktor?
KNIEBUS
Bitte.
FERDINAND
Es ist anders. Herr Doktor Spannlang gibt mir seit längerer Zeit auf Fragen überhaupt keine Antwort mehr.
KNIEBUS
Es gibt Fragen, die keine Antwort verdienen.
FERDINAND
Ich weiß nicht. Darf ich Ihnen ein Beispiel anführen? Als er neulich ein Lebensbild von Karl Marx entwarf und diesen als einen perversen jüdischen Syphilitiker und stümperhaften Philosophaster bezeichnete und ich ganz bescheiden fragte, wie es dann aber zu erklären sei, dass selbst bürgerliche Kritiker, die ich gelesen hatte, ihn als einen der größten, wenn nicht den größten Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts hinstellten
KNIEBUS
Da hat er Ihnen keine Antwort gegeben, nicht wahr?
FERDINAND
Nicht nur das er hat mir drei Striche wegen flegelhaften Betragens eingetragen!
FRAU BUTZ
Hast du denn das so flegelhaft gesagt, Ferdi?
FERDINAND
Nein.
KNIEBUS
(steht auf) Seien Sie doch mal ganz ehrlich, junger Mann. Sie haben doch mit dieser Frage eine bestimmte Absicht verbunden, nämlich Ihren Ordinarius in den Augen Ihrer Mitschüler zu diskreditieren!
FERDINAND
Nein, Herr Direktor!
KNIEBUS
Unterbrechen Sie mich nicht. Und nicht nur Ihren Ordinarius, sondern auch die leuchtende Weltanschauung unseres Führers verächtlich zu machen? Wie?
FERDINAND
(steht auf) Nein, Herr Direktor!
FRAU BUTZ
Mit Absicht sicher nicht, Herr Direktor! Aber ich bitte Sie, bedenken Sie doch, wie der Junge erzogen worden ist!
KNIEBUS
Gar kein Milderungsgrund, gar kein Milderungsgrund! Ein Jüngling, der von der heiligen Welle der nationalen Revolution nicht höher getragen wird und mit der greisenhaften ratio an der Welt herumtüftelt, anstatt wie sich das gehört zu glauben, ein solcher Jüngling hat das Anrecht verwirkt nun, ich möchte nicht beleidigend werden.
FRAU BUTZ
Nun, Herr Direktor, dann wird wohl auch jede Anstrengung meines Sohnes vergeblich sein. Verzeihen Sie die Belästigung, Herr Direktor! (Sie steht auf.)
FERDINAND
Einen Augenblick, Mama! (Sein Gesicht ist gerötet.) Herr Direktor, wenn wir auch glauben und nicht mehr denken sollen darf ich Sie dennoch um eine Aufklärung bitten?
KNIEBUS
(unruhig am Fenster) Stehe zur Verfügung.
FERDINAND
Ich entsinne mich, dass Sie einmal bei einem Jungbannerabend die Festrede gehalten haben. Da stellten Sie die Prinzipien der Demokratie, des Humanismus und der Meinungsfreiheit als die unzerstörbaren Säulen der menschlichen Gesittung hin.
KNIEBUS
(gereizt) Na und?
FERDINAND
War das bei Ihnen damals Überzeugung, Herr Direktor?
KNIEBUS
Schon die Frage ist eine Unterstellung, junger Mann! Das war meine Überzeugung; aber Überzeugungen ändern sich mit den Erlebnissen. Wer gegen seine Überzeugung spricht, ist ehrlos!
FERDINAND
Das meine ich auch. Und deshalb werde ich meinem Ordinarius nie die Antwort geben, zu welcher er mich zwingen möchte, sondern nur die, welche ich für richtig halte!
KNIEBUS
Soso! Sprechen Sie übrigens auch mit Ihren Mitschülern in dieser Weise?
FERDINAND
Ja.
KNIEBUS
So. Dann wären Sie ja relegationsreif.
FRAU BUTZ
Herr Direktor, er spricht unüberlegt.
FERDINAND
(heftig) Nein, ich weiß, was ich spreche!
KNIEBUS
Soso! Sie machen also marxistische Propaganda in der Anstalt.
FERDINAND
Jawohl. Weil ich nicht so feige bin, meine Überzeugung für eine Karriere zu verkaufen!
FRAU BUTZ
(entsetzt) Ferdinand!
KNIEBUS
(geht zur Tür und öffnet) Ich darf wohl bitten!
FRAU BUTZ
(im Hinausgehen) Verzeihen Sie
FERDINAND
(geht mit stolzem Schritt hinaus, sehr laut) Mahlzeit!
KNIEBUS
(aufgeregt ihm nachrufend) Wissen Sie nicht, was sich gehört? Können Sie nicht Heil Hitler sagen?
FERDINAND
(von der Treppe heraufbrüllend) Nein!
KNIEBUS
(ruft in den Korridor nach dem Schuldiener) Dießel, kommen Sie mal rein!
SCHULDIENER
(kommt) Herr Direktor?
KNIEBUS
Notieren Sie mal: Schüler Butz, Ferdinand, Untersekunda III, darf das Gebäude der Anstalt nicht mehr betreten. Staatsfeindliche Betätigung.
SCHULDIENER
(schreibt) Staatsfeindliche Betätigung.
KNIEBUS
Sie informieren wohl Ihren Pg. Sturmführer.
SCHULDIENER
Den Jungen werden wir uns mal angucken!