Radioansprache im Sender Barcelona, März 1938
Als Guernica von Hitlers Fliegern zusammengetrümmert wurde, hatte der entsetzliche Schrei der Mütter Spaniens um die Welt geschollen. Und wo in der Welt dieser Schrei Menschenherzen getroffen hatte, die Gewöhnung an das Grauen noch nicht um die Empfänglichkeit gebracht hatte, mitzuleiden, klang er aus ihr zurück als Schrei der furchtbarsten Anklage gegen die faschistischen Mörder.
Seitdem wurde solch unerhörte Untat zur täglichen Übung der elenden Invasoren; sie durfte es werden, weil die gesittete Welt sich mit papiernen Protestschreiben zufriedengegeben hatte, hoffend, dass diese von den Untätern gehört und erhört wurden.
Es war ein Irrtum, dies zu hoffen; sie wurden es nie. Die nationalsozialistischen und faschistischen Mörder, denen das Organ für die Unterscheidung zwischen ehrlos und ehrenhaft von Natur aus fehlt, setzten ihr feiges Handwerk fort. Jeden Tag zerschlugen sie mit ihren Bomben die Städte und Dörfer des Hinterlandes; und ihre stupiden Gesichter lachten, wenn sie Flammen und Staub ihrer Zerstörung unter sich aufstieben sahen.
Was in Guernica geschah, geschieht seitdem an tausend Orten zu tausenden Malen. Schreit euer Herz eigentlich noch, wenn ihr in den täglichen Berichten des republikanischen Generalstabes lest: 15.15 Tarragona bombardiert, 40 Tote, 65 Verwundete, 16 Häuser zerstört 16.30 Tortosa bombardiert, 12 Tote, 43 Verwundete, 9 Häuser zerstört 19.05 Sitges bombardiert, 24 Tote, 64 Verwundete, 23 Häuser zerstört Valencia vom Meer aus beschossen, 212 Tote, 429 Verwundete, 31 Häuser zerstört? Schreit euer Herz noch jeden Tag beim Lesen solcher lakonischen Kommuniqués? Ich will damit nicht sagen, ihr tapferen Freunde der Menschlichkeit, dass das Furchtbare euch heute weniger bewege als beim ersten unerhörten Male; aber wir wissen, wie leicht auch das edle Herz stumpf werden kann durch Gewöhnung. Noch sitzt ihr in euren warmen Wohnungen, Freunde, noch schlaft ihr in euren Betten und denkt ein unausgesprochenes Gott sei Dank, dass eure Häuser und eure Betten noch behütet stehen. Aber heute ist kein Haus und kein Bett mehr behütet, wenn ihr sie nicht vor der grauenvollsten Zerstörung bewahrt, die ganz Europa bedroht!
Ihr habt in euren Zeitungen gelesen, dass Barcelona über zwanzigmal in den drei Tagen vom 16. bis zum 18. März aus der Luft bombardiert worden ist, dass es fast 1000 Tote, fast 2000 Verwundete gegeben hat, dass fast 100 Häuser eingestürzt sind.
Damit ihr einen Begriff davon bekommt, was diese trockene Notiz bedeutet, lasst euch von einem, der mitten in diesen zwanzig Bombardements war, dem die Bombensplitter um die Ohren geflogen sind, lasst euch von einem Augen- und Sinnenzeugen in schonungsloser Aufrichtigkeit erzählen, was in diesen drei Schreckenstagen in Barcelona sich ereignete.
Am 16. März begann es. Waren es früher mehr die Hafengegenden, die unter den Bombardements zu leiden hatten, so galt der Angriff dieses Mal dem Zentrum der Stadt, wo es gar keine militärischen Objekte gibt. Früher blieben die Tausende Passanten auf den großen Boulevards und den Plätzen stehen und beobachteten neugierig den Himmel, wo in unendlicher Höhe die Mordflieger kreisten. Die Bombeneinschläge waren gewöhnlich an der Peripherie, und nur die dumpfe Lufterschütterung zeigte sie an. Heute aber waren die Boulevards, die großen Plätze, die breiten Straßen mit den achtstöckigen Häusern das Ziel der Zerstörer.
Am 16., beim Einbruch der Nacht, ging es los. Die Sirenen schreien, Alarm! Das Licht verlischt in der ganzen Stadt. Nur der verfluchte Mond leuchtet. Die Menschen laufen von den Straßen in die Häuser, noch nicht überstürzt, denn noch nie hat es in dieser Gegend eingeschlagen. Plötzlich geht ein Zischen und Fauchen über den Himmel. Eine Sekunde darauf schlagen die Bomben in die Straßen ein, in die hohen Häuser. Alle Fenster in der Umgegend splittern heraus. Flammen schlagen zum Himmel. Von ferne hören wir das Schreien der Getroffenen. Wenige Sekunden später rasen die Ambulanzen und die Feuerwehren durch die Straßen der schwarzen Stadt. Wütend bellen die Abwehrbatterien. Die Scheinwerfer fassen mit mächtigen Lichtarmen weit in den Himmel. Rauch- und Staubschwaden ziehen durch die Straßen. Nach zwei Minuten ist Ruhe. Aber unter dem Schutt liegen unzählige erschlagene Frauen und Kinder.
Der Alarm ist vorbei. Das Licht kommt wieder. Wir gehen in unser Hotel, um zu essen. Wir sind eben beim letzten Bissen, da heulen die Sirenen von neuem. Tiefe Finsternis. Die Batterien besäen den Himmel mit Granaten und Leuchtkugeln. Wieder das fauchende Heulen. Die Erde zittert. Weg von den Fenstern! Deckung! Furchtbare Einschläge! Beim Arc de Trionf brennts. Der Himmel wird schrecklich rot. In den finsteren Hotelkorridoren wimmern die Frauen und drücken ihre weinenden Kinder an ihre Leiber, als wären sie ein Schutz.
Es wird wieder still. Nur die heulenden Hupen der Ambulanzen und die Klingeln der Feuerwehr gellen durch die Stadt. Nach einer Stunde Dunkelheit und Schweigen verkünden die Sirenen das Ende des Alarms. Das Licht kommt wieder. Viele gehen ins Bett, viele hocken in den unteren Gängen der Häuser und Hotels, auf Stühlen, auf der Erde.
Gegen elf schreien die Sirenen wieder. Ich höre, wie die Kinder in den Hotelzimmern entsetzenvoll aufschreien. Die Treppen dröhnen vom Hinabrennen der Bewohner. Noch ehe sie das Parterre erreichen, setzt wieder das furchtbare Heulen und Fauchen über der Stadt ein. Die Bomben! Fünf, zehn, zwanzig. Die Erschütterung in den Häusern ist so heftig, dass die Möbel krachen. Die Fenster fliegen heraus. Unheimlich schwirren und singen die Sprengstücke der Abwehrgeschütze auf die Straßen nieder.
Um halb zwei ist das nächste Bombardement. Um fünf Uhr wieder eins. Die Mütter sind inzwischen mit ihren Kindern in die Untergrundbahntunnels geflüchtet. Um acht ist das nächste Bombardement. Wieder mitten über dem Zentrum der Stadt geht der Todesdonner nieder. Ein Theater ist getroffen. Der Schnürboden hängt in der Luft an dünnen Trägern. Mehrere riesige Häuser sind zusammengefallen wie Zigarrenkisten. Hunderte Menschen, die, übermüdet, am Ende der Nacht noch einmal in ihre Betten gekrochen waren, um vor der Arbeit noch eine Stunde Schlaf mitzunehmen, liegen zerschmettert unter dem Schutt ihrer Häuser.
Um elf ist das nächste Bombardement. Um zwei und fünf und so weiter wieder die ganze Nacht. Wir schlafen nicht mehr. Es gibt nur noch eine Sicherheit, das ist, heraus aus dem Zentrum der Stadt, an den Fuß des Tibidabo! Die Bomben, die dort draußen fallen, sind Zufallstreffer.
Als der Morgen des 18. März graut und wir wieder in die Stadt zurückkehren, begegnen uns Heerscharen von Flüchtenden. Die Männer tragen Matratzen und Decken, die Frauen Körbe und Taschen mit dem Notwendigsten, die Kinderchen trappeln mit blassen, übermüdeten Gesichtchen hinterdrein. Sie fliehen in die Vorstadtgärten, zu Bekannten, sonst wohin, nur heraus aus der Zone des Grauens!
Heute, am 18. März, sind es neunzig Jahre, dass in Berlin, Dresden, Budapest und Wien die Demokraten, die Handwerker und Arbeiter auf die Barrikaden gingen im Kampf des Rechts gegen das Unrecht. Heute ist es siebenundsechzig Jahre her, dass die Demokraten, die Arbeiter und Soldaten von Paris die große Commune proklamierten. Das ist ein Datum, das die Obskurantisten unserer Zeit mit besonderem Hass erfüllt. Und sie haben ihm Ausdruck gegeben.
Früh kamen die Bomben wieder, unheimlicher und zerstörender als je. Wieder fielen die Häuser wie Schachteln zusammen. Das Furchtbarste aber geschah am Mittag. Wir saßen wieder beim Essen im Speisesaal an der Plaza de Catalunya. Da setzen die Sirenen mit voller Kraft ein und schreien ihre Warnung über die Stadt. Einen Augenblick sitzen alle wie erstarrt. Die Abwehrbatterien donnern. Im nächsten Moment kommt wieder das heulende Fauchen vom Himmel hernieder. Jeder spürt: Der Ton heult direkt auf uns zu. Frauen, Kinder und alte Leute rennen in panischer Angst aus dem Saal. Da schlägt es ein. Ganz nah. Ein zweiter Donner. Noch einer. Die ganze Erde bebt. Die Einschläge kommen näher. Draußen rennen Menschen über den Platz, um noch in die Metro zu kommen. Die letzte Bombe schlägt uns gegenüber auf der andern Straßenseite ein. Alles stürzt hin. Die riesigen Fenster des Speisesaals explodieren in hunderttausend Stücke und hageln über uns. Die Tische fliegen um. Die Türen reißen aus ihren Angeln. Die Straße steht voll Qualm und Staub.
Wir laufen hinaus. Wie der Rauchvorhang fällt, öffnet sich eine grauenvolle Szene vor unseren Augen. Die Bombe hat die Straße aufgerissen. Die großen Platanen liegen quer über dem Boulevard. Alle Fenster des Hotels Colon sind mit dem Rahmen herausgeschmettert. Eine besetzte Straßenbahn die Menschen konnten in der Hast nicht mehr aus dem Wagen ist wie eine Blechschachtel zusammengequetscht. Ein Auto brennt mit hoher, dunkelroter Flamme. Alles liegt voller Toter und Verletzter. Die Schaufenster der ganzen Umgebung sind herausgerissen. Die hölzernen Mannequins liegen auf den Straßen zwischen Hemden, Krawatten, Uhren, Fotoapparaten und Keramiken. Und alles übersät von Millionen Glassplittern. Der Totenwagen kommt. Er sammelt die Leichen und die abgerissenen Gliedmaßen. Helfer laufen und werfen menschliche Stücke, die sie finden, auf den Wagen zum Übrigen. An den Wagenplanken hängen zähe Blutfäden.
Laufen wir weiter! Es gibt noch ein furchtbareres Bild, um die nächste Ecke, an einer Kreuzung der Calle de Cortes. Dort haben die vorletzten Bomben unbeschreibliche Zerstörungen hervorgerufen. Zehn hohe, achtstöckige Häuser sind zu Schutt zusammengefallen. Nur einige Brandmauern stehen noch, ein paar halb weggerissene Zimmer kleben noch an ihnen. Da schwebt ein Bett über dem Abgrund. Der in ihm lag, ist von der Explosion hinausgeworfen worden und schläft jetzt den letzten Schlaf unter dem Schutt. Ein goldgerahmtes Familienbild hängt im fünften Stock an der Wand und lächelt unheimlich über all das Grauen hinweg. In der stehengebliebenen Ecke eines Kinderzimmers lehnt noch ein Schaukelpferd; eine hölzerne bunte Eisenbahn hängt vom weggebrochenen Fußboden herab. Die Kleinen, die gestern noch mit ihnen spielten, liegen jetzt, in Stücke gerissen, unter den Steinen.
Schon hat sich die Stätte der Verwüstung mit Tausenden Helfern gefüllt, die über den Schutt klettern und aufzuräumen beginnen. Sie versuchen, eine Straßenbahn zu löschen, in der die Menschen verbrennen. Die mächtigen Steinblöcke der Häuser werden mit Ketten weggeschleift. Überall ziehen sie zwischen den Steinen und Blechen, Sparren und Möbelresten Teile von menschlichen Körpern heraus. Ein Soldat sammelt pietätvoll in einem Kasten, was er an kleinen Menschenresten findet, Schädelstücke mit schwarzen und grauen Haaren, Kinderfüßchen, zerrissene Eingeweide. Er zischt einen Fluch durch die Zähne: Canalla fascista!
Die Dunkelheit kommt. Hier gibt es keinen Feierabend. Die Tausende schaffen unverdrossen. Stein für Stein, Balken für Balken, Splitter für Splitter wird weggeräumt. Die Asaltos haben auf den umliegenden Dächern Scheinwerfer aufgestellt, damit die Arbeit nicht unterbrochen zu werden braucht.
Um neun läuft einer über die Straße und ruft: Da drüben unter dem Schutt, da muss einer leben, der hat sich gemeldet. Sie stürzen mit Picken und Schaufeln hin und lehnen die Ohren an die stehengebliehene Wand des Nebenhauses. Sie hören etwas. Sie schlagen Löcher in die Mauer. Jetzt ruft es aus der Tiefe: Aqui camaradas, aqui! Hier! Hier! Die Steine brechen heraus. Jetzt ist ein Loch in der halbmeterstarken Wand. Lebt der noch? Ja, sie sprechen schon mit ihm, sagt der Carabinero.
Als sie ihn gerade herausholen wollen, heulen die Sirenen wieder. Die Scheinwerfer verlöschen. Alle werfen ihre Werkzeuge weg und stürzen in Deckung. Und wieder heulen die Bomben über Barcelona. Der Himmel flammt auf. Und wieder brechen woanders Häuser zusammen und begraben Frauen und Kinder.
Ich richte meinen Ruf an die ganze gesittete Welt. Ich habe euch ein furchtbares Erlebnis mitgeteilt. An euch Millionen, an euch alle, wende ich mich. In wenigen dürren Worten will ich euch mit diesem Bericht eine Vorstellung geben, was euch allen bevorsteht, wenn ihr nicht begreift, dass das Mittel des Protestes unzureichend geworden ist. Die Stunde drängt zu Aktionen! Heute ist es Barcelona! Morgen ist es Paris und London! Aber übermorgen ist es Berlin!